SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2009, Seite 18

Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg

Das Schicksal der Soldaten aus den Kolonien

von Peter Nowak

Die Wanderausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg”, die erstmals im September in den Uferhallen in Berlin-Wedding gezeigt wurde, basiert auf einem Buch mit dem gleichnamigen Titel. Sie dokumentiert den Einsatz der Soldaten aus den Kolonien im Krieg gegen Hitler. Teil der Ausstellung sind auch Tafeln, die die Kollaboration mit den Nazis zeigen. Beides zusammen hat zu einer heftigen Kontroverse geführt.

"Jetzt sind sie selbst einen furchtbaren Tod gestorben —
durch Feuer und Schwert.
Sie starben in ihren Häusern,
sie starben in ihrer Stadt,
und vielleicht ist es besser so.
Denn sonst hätte ihnen der Tod das Herz gebrochen."

Mit diesen Zeilen hat der philippinische Schriftsteller Nick Joaquin an die Zerstörung Manilas durch das japanische Militär erinnert. Über eine Million Menschen sind dabei gestorben. In Deutschland ist davon nichts bekannt.
Darüber informiert die Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg” auf 96 Schautafeln, die in den nächsten Monaten in verschiedenen deutschen Städten zu sehen sind. Grundlage der Ausstellung ist das von dem Kölner Journalisten Karl Rössel herausgegebene Buch Unsere Opfer zählen nicht, das im Verlag Assoziation A herausgegeben wurde. Dort erzählen Rössel und andere Autoren den Zweiten Weltkrieg aus einer afrikanischen, südamerikanischen, asiatischen und ozeanischen Perspektive.
Sehr eindrucksvoll ist der knapp 10-minütige Film Der Freund aus den Kolonien, den der algerische Regisseur Rachid Bouchareb gedreht hat. Er zeigt wie afrikanische Soldaten auf der Seite der Franzosen gegen das NS-Regime kämpfen mussten. Sie starben auf den Schlachtfeldern, kamen in Gefangenschaft und wurden als Afrikaner von den Nazis und ihren Helfershelfern besonderer Grausamkeit ausgesetzt. Als der Krieg zu Ende wurden sie aus der Armee entlassen, der Sold wurde ihnen verweigert und als sie dagegen rebellierten, haben französische Offiziere auf sie geschossen. Denn in der französischen Armee fanden sich genug Rassisten und heimliche Bewunderer von Hitler und seinem französischen Helfer Petain.
Die Informationstafeln berichten über ein Massaker, das französische Truppen am 8.Mai 1945 in Algerien anrichteten. Während überall in Europa die Freude über die Niederlage des NS- Regimes groß war, starben 3000 algerische Soldaten im Kugelhagel der französischen Armee. Die Armee dankte ihnen ihren Einsatz im Kampf gegen die Nazis mit Kugeln und mit Gefangenschaft und Terror für die Überlebenden. Der 8.Mai 1945 hat sich in Algerien und vielen nordafrikanischen Ländern nicht als Tag des Sieges über das NS-Regime sondern als Tag des Massakers ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. An diesem Tag wurden die Grundlagen gelegt für den algerischen Unabhängigkeitskampf.
Auch für die Menschen in Ozeanien war der Krieg im Mai 1945 nicht zu Ende. Im Kalten Krieg wurden die Inseln für Atombombenversuche genutzt. Die Anzahl der Menschen, die dabei gestorben sind oder irreparable gesundheitliche Schäden davon getragen haben, ist bis heute nicht bekannt. Denn auch heute noch zählt das Leben eines Menschen in Ozeanien, Afrika und Asien weniger als das Leben eines Europäers. Rössel hat das große Verdienst, mit seinem Buch und der Ausstellung endlich die vergessenen Befreier vorgestellt zu haben.
Leider war der Beginn der Ausstellung mit einem Streit belastet, der wohl vor allem auf Missverständnissen und Empfindlichkeiten beruht. Die Premiere sollte eigentlich in der Neuköllner „Werkstatt der Kulturen” stattfinden. Aber deren Leiterin Philippa Ebéné weigerte sich kurzfristig, die Räumlichkeiten wie geplant zur Verfügung zu stellen — angeblich, weil auf einigen Tafel auch die Kollaboration mit den Nazis dargestellt wird, die besonders für den arabischen Raum, aber auch für Indien, Thailand und Argentinien dokumentiert ist. Natürlich bestreiten auch die Kritiker der Ausstellung nicht, dass es diese Kollaboration gegeben hat. Sie wollen nur die beiden Sachverhalte: die Kollaboration mit den Nazis und den Einsatz in den Reihen der Alliierten Streitkräfte, getrennt dokumentiert wissen. Tatsächlich würden beide Themenkomplexe eine eigene Ausstellung verdienen. Aber da eine solche Exposition natürlich auch finanziert werden muss, können solche Vorstellungen oft nicht umgesetzt werden.
Rössel betonte, es sei ihm nicht darum gegangen wäre, eine Hommage für die People of Colour zu inszenieren. Das ist natürlich auch nicht der Anspruch einer wissenschaftlichen Ausstellung.
Einrichtungen wie die Werkstatt der Kulturen der Welt hingegen, die von vielen Menschen aus der Dritten Welt besucht wird, sehen in der Ausstellung über die vergessenen Befreier die längst fällige Rehabilitierung. Sie leugnen nicht, dass es auf allen Kontinenten Nazihandlanger gab, in Europa, in Asien, Afrika und Lateinamerika. Aber sie wollen diese historischen Sachverhalte getrennt dokumentiert sehen. Man kann hierin eine Überempfindlichkeit erkennen. Man kann aber auch einfach dieses Ansinnen akzeptieren.
In den 90er Jahren gab es eine ähnliche Auseinandersetzung, anlässlich der Herausgabe der deutschsprachigen Ausgabe der Malcolm-X-Biografie im Bremer Atlantik-Verlag. Stein des Anstoßes war damals das Vorwort des Hamburger Publizisten Günther Jacob, der sich in einem Vorwort kritisch mit der politischen Biografie von Malcolm-X auseinandersetzte. Der Übersetzer Yonas Endaras kritisierte nicht den Inhalt, aber die Tatsache, dass die Leser, bevor sie überhaupt eine Zeile der Biografie gelesen haben, schon mit einer Wertung konfrontiert sind. Es gab dann den Kompromiss, den Text als Nachwort zu drucken.
Die Beteiligten haben die Auseinandersetzung im Nachhinein als fruchtbare Diskussion gewertet. Es wäre zu hoffen, dass die Kontroverse um die Ausstellung auch in eine fruchtbare Debatte mündet. Zumal sich mit dem Neurechten Clemens Henni auch schon Leute zur Wort gemeldet haben, die eine Beschäftigung mit den vergessenen Befreiern als antiwestlich, antiamerikanisch und antisemitisch diffamiert hat. Die Ausstellung beschäftige sich nicht mit der Shoah und sei arabophil. Die Jüdische Gemeinde wiederum wirft der Leiterin der Werkstatt der Kulturen der Welt indirekt Antisemitismus vor, weil sie sich weigere, die Geschichte der Kollaboration mit dem NS-System zu zeigen. Eine Sprecherin der Antonio-Amadeus-Stiftung, die sich seit vielen Jahren sowohl gegen Rassismus wie auch gegen Antisemitismus engagiert, erklärte dazu: „In Deutschland hat es bis heute keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema Kolonialismus gegeben."

"Unsere Opfer zählen nicht” — Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg (Hg. Rheinisches JournalistInnenbüro/Recherche International e.V.), Hamburg/Berlin: Assoziation A, 2005 (zweite Auflage zur Ausstellung 2009), 444 S., 29,50 Euro.


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