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Die DDR war ihrem Anspruch nach der Versuch einer sozialistischen Alternative zur
kapitalistischen BRD. Warst Du jemals von der Machbarkeit dieser Alternative überzeugt,
bzw. wann hast du den Glauben daran verloren?
XBernd Gehrke Die DDR
war vor allem der Widerspruch zwischen dem ideologischen Anspruch der Herrschenden und der
Realität eines Polizeistaats, in dem die verkündeten Ansprüche einer
Alternative zu Ausbeutung und Unterdrückung nur gegen die Realität des Polizeistaats
hätten verwirklicht werden können.
Ich hatte zwar nicht den
„Glauben”, aber durchaus die Hoffnung auf die Machbarkeit dieser Alternative.
Allerdings nicht im Sinne einer singulären Verwirklichung des Sozialismus im
ausschließlichen Rahmen der DDR, sondern als Teil einer europäischen
revolutionären Entwicklung. Immerhin war die DDR von Anfang an sowohl ein Satellit der
Sowjetunion als auch ein spezifischer abgegrenzter Teil der deutschen Gesellschaft.
Sebastian Gerhardt Im Herbst 89 wurde ich 21 Jahre alt und leistete meinen
Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee als Unteroffizier auf Zeit ab. Wie viele andere Leute
im Lande wollte ich einen anständigen Sozialismus in der DDR und nicht nur dort.
Darüber haben wir miteinander diskutiert. Für uns stand also nicht das
„ob”, sondern das „wie” einer sozialistischen Umgestaltung der DDR zur
Debatte. Nur aus Ungarn kamen im Sommer 89 schon private Berichte, dass dort gerade der
Kapitalismus eingeführt wird.
Ich war überzeugt, dass
ein irgendwie anständiger Sozialismus nur gegen „die da oben” und mit einer
Mehrheit „von unten” machbar sein würde. Ich habe mir aber nicht die Frage
gestellt, was diese Überzeugung für die Machbarkeit einer sozialistischen
Alternative zur kapitalistischen BRD bedeuten würde. Wieweit die eigenen Ideen machbar
waren — das war wohl nur durchs Machen herauszukriegen. Auf jeden Fall ging ich, sobald
das Gerücht dann bis in mein mecklenburgisches Garnisonsdorf gedrungen war, ganz
selbstverständlich zu den Leuten, die nicht nur von Basisdemokratie und Sozialismus
redeten, sondern auch die Gefahren einer kapitalistischen Restauration benannten: nämlich
zur „Initiative für eine Vereinigte Linke in der DDR”
Renate Hürtgen Ich bin 1947 in Ostberlin geboren und in einem Elternhaus
groß geworden, das mich dazu erzogen hat, stets das zu tun und zu denken, was die Schule
sagt. Ich wurde ein zukunftsoptimistischer junger Pionier, eins mit mir und dem Staat. Der
Mauerbau am 13.August 1961 hat mich nicht negativ berührt, obwohl nun die halbe
Verwandtschaft in Westberlin von uns getrennt lebte. Als der Prager Frühling
niedergeschlagen wurde, war mir allerdings ziemlich unwohl, irgendetwas stimmte nicht. Aber
erst im Rahmen des Studiums in den 70er Jahren setzte sich wie ein Widerhaken der Gedanke
fest: Das ist kein Sozialismus, was in der Sowjetunion, hier in der DDR und in den anderen
Ostblockstaaten aufgebaut wird. Von da an gab es ein zentrales Thema für mich:
herauszufinden, was das für eine Gesellschaft ist bzw. gewesen ist, in der es
Unterdrückung, Ausbeutung und immer geringere Emanzipationsmöglichkeiten gab.
Thomas Klein Ich war immer davon überzeugt, dass es weltweit eine
sozialistische Alternative zum real existierenden Kapitalismus gibt. Dass für Deutschland
der „real existierende Sozialismus” in der DDR ein größeres Hemmnis auf
diesem Weg zu werden begann, als der benachbarte Kapitalismus in den Farben der BRD, war mir
seit den 70er Jahren klar.
Silvia Müller 1953 wurde ich geboren und bin aufgewachsen mit Eltern, die
sich als politisch „fortschrittlich” verstanden. Getragen von dem Vorsatz
„Nie wieder Krieg” waren sie SED-Mitglieder geworden. Aus einfachen
Verhältnissen kommend, sahen meine Eltern in der DDR eine Alternative zum
„Adenauerstaat”, in dem — wie sie uns drei Kindern stetig vermittelten
— noch immer „alte Nazis” in Amt und Würden waren. Wie meine Eltern
meinte auch ich zunächst, mich als „brave Schülerin” in der
Pionierorganisation und der FDJ für „das bessere Deutschland” ehrlich
engagieren zu können. Doch in der Pubertät stieß ich mit meinen kritischen
Fragen auf den Widerspruch zwischen dem formulierten Anspruch der „antifaschistischen
sozialistischen Republik” und der realsozialistischen Wirklichkeit. Es war ein lang
andauernder Prozess, bis ich in den von Heuchelei, Dogmatismus und Karrierismus geprägten
bürokratischen, undemokratischen Verhaltensweisen nicht die Fehler einzelner Menschen
sah, sondern diese als der „Diktatur des Proletariats” systemimmanent begriff.
Folgerichtig war mein Schritt Anfang der 80er Jahre in die linke Opposition und die
unabhängige Friedensbewegung der DDR.
Gerd Szepansky Ich war nie überzeugt, dass die praktische Umsetzung durch die
SED erfolgreich sein würde. Unsere Vision war ein Sozialismus ohne Alleinanspruch einer
Partei, freie Wahlen, Leistung, die sich lohnt, Meinungsfreiheit und freies Reisen. Den
Glauben daran habe ich nach dem 9.11.89 verloren, als ich die Bewegung der Menschen hin zum
vereinten Deutschland erlebte.
Klaus Wolfram An einen Staat sollte man ja auch nicht glauben, an die Gesellschaft
ohne Privateigentum an den großen Produktionsmitteln dagegen bis zuletzt.
Was war die DDR für die Menschen? Hat sich die DDR bezüglich ihrere
Selbsteinschätzung seit ihrer Gründung verändert? Hat sich deine
Einschätzung der DDR nach 1989 geändert?
Bernd Gehrke Was die DDR für „die” Menschen war, hängt
natürlich davon ab, welche Bevölkerungsgruppe ins Auge gefasst wird. Wenn man von
jenen Aufsteigern nach 1945 absieht, die sich bedingungslos mit dem Regime arrangiert hatten,
bildete die DDR für die Mehrheit der Arbeiter und kleinen Angestellten wohl ein Amalgam
von politischer Knechtschaft mit Abkopplung von den kulturellen Entwicklungen der Welt
einerseits, und einer für die Mehrheit wünschenswerten sozialen Grundversorgung, die
den sozialen Absturz verhinderte und eine relativ gesicherte soziale Perspektive
ermöglichte andererseits. Der rohe Polizeistaat der Anfangsjahre wurde für die
Mehrheit immer milder, aber die „Musik” spielte immer im Westen, trotz des
wachsenden Wohlstands im Lauf der Jahrzehnte. So trabte die DDR für die Mehrheit immer
hinter dem Westen hinterher. Am Besten war sie dort, wo es „fast wie im Westen
war”
Wesentlich war, dass es nach
der gewaltsamen Niederschlagung des Arbeiteraufstands 1953, der Einmauerung 1961 und der
gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings zu einer Art „sozialstaatlichem
Klassenkompromiss” kam: Die Arbeiterklasse verzichtete namentlich seit Honeckers
Machtantritt 1971 auf ihre demokratisch-emanzipatorischen Ansprüche und arrangierte sich
mit den politischen Gegebenheiten der Diktatur. Das SED-Regime verzichtete auf die politische
Provokation der Mehrheit und versuchte, deren sozialen Bedürfnisse im Rahmen seiner
Möglichkeiten zu befriedigen. „Wir regieren für euch, und ihr arbeitet
dafür schön fleißig, streikt und organisiert euch nicht — dann bekommt
ihr irgendwann auch einen Trabbi oder eine Neubauwohnung mit fließend warmem
Wasser!” In der DDR hielt dieser versorgungsdiktatorische Herrschaftskompromiss bis Ende
der 80er Jahre, in Polen zerbrach er bereits Ende der 70er.
Es gab jedoch immer auch eine
andere DDR, die den Anspruch einer Alternative ernst nahm und sich deshalb kritisch mit den
Verhältnissen in beiden deutschen Staaten auseinandersetzte. Diese DDR existierte vor
allem in den Köpfen der kritischen Intelligenz und in den politischen Aktionen der
kleinen Opposition.
Renate Hürtgen Die Mehrheit der Bevölkerung hatte — darin
unterschied sich die Situation deutlich von der im Faschismus — nie ein loyales
Verhältnis zum DDR-Staat. Zudem stellte sich für einen großen Teil der DDR-
Bevölkerung die Teilung noch bis 1989 als eine unnatürliche Situation dar. Man hatte
sich zwar eingerichtet in den Verhältnissen, die Zeit des massenhaften Aufbegehrens war
mit der Niederschlagung des 17.Juni 1953 vorbei; die Lebenslagen verbesserten sich namentlich
in den 70er Jahren und „Friedhofsruhe” trat ein. Aber mit der Verschlechterung der
Versorgung und der Arbeitsbedingungen in den 80er Jahren bei gleichzeitiger Zunahme der
Chance, dieses Regime loszuwerden, traten diese Grundhaltungen wieder ans Licht. Dies
unterschätzt zu haben, etwa die Frage der „deutschen Einheit” nicht
problematisiert und diskutiert zu haben, letztlich nicht zu wissen, was die Mehrheit der
Bevölkerung dachte und wollte, war kein Ruhmesblatt der Bürgerbewegung in der DDR,
besonders der linken. Ich nehme mich da nicht aus. Trotz schärfster Kritik an diesem
Gesellschaftstyp wurden mir einige Folgen für die dort sozialisierten Menschen (nicht nur
für die Arbeiter!) erst nach 1989 richtig bewusst. 1989, als Mit-Initiatorin einer
unabhängigen Gewerkschaftsbewegung, wurde mir schmerzlich klar, dass diese auch daran
scheitern würde, dass kaum „personelle” Voraussetzungen für eine
selbstorganisierte Basisbewegung vorhanden waren.
Thomas Klein Die DDR verfügte über ein beträchtliches Reservoir an
aktiven Systemgestaltern, das weit über die Funktionseliten hinausging. Sie stellten
gesellschaftlich eine starke Minderheit dar. Hinzu kam eine Mehrheit von
„Mitläufern”, die von diesem System profitierten oder sich in ihm
einrichteten, jedoch höchstens eine passive Loyalität zu diesem System aufzubringen
bereit waren. Aktiver Widerstand und Opposition war (wie in allen Diktaturen) in der DDR bis
1989 eine absolute Minderheitserscheinung. Die (Selbst-)Diskreditierung des Herrschaftssystems
ging einher mit der Aushöhlung sogar der passiven Loyalitätsgarantien innerhalb der
Mehrheitsbevölkerung und mündete 1989 explosionsartig in eine demokratische,
antidespotische Revolution. Die „historische Leistung” von Stalinismus und
Politbürokratismus bestand in der weitgehend erfolgreichen Vermittlung des Bildes, ihr
System repräsentiere Sozialismus als Realität. Das historische Versagen der linken,
sozialistischen, antistalinistischen Opposition besteht in ihrem Scheitern beim Versuch, den
Kampf für einen demokratischen Sozialismus als Alternative zum DDR-
Politbürokratismus gesellschaftlich zu vermitteln.
Silvia Müller Ab 1972 studierte ich an der Humboldt-Universität Berlin
„Kulturwissenschaften” Neben Vorlesungen in Philosophie und zur Geschichte der
Ästhetik, von denen ich viel profitiert habe, wurde dort, anlehnend an das Ideal der
„allseits gebildeten sozialistischen Persönlichkeit” auch die
„sozialistische Kulturtheorie” vermittelt. Ohne familiären intellektuellen
Hintergrund spürte ich zunächst nur Unsicherheit und dann Unstimmigkeiten zwischen
erhabener Theorie und schlichter Realität. Sollte — überzogen dargestellt
— wirklich jeder Arbeiter den „Faust” gelesen haben oder auf dem
„Bitterfelder Weg” selbst „zur Feder greifen"? 1975 unterbrach ich mein
Studium und suchte ein Jahr lang als Verzinnerin von Kohlebürsten am Säurebad im VEB
„Elektrokohle” Lichtenberg Antworten in der Produktion. Das brachte mir mindestens
so viel wie ein Jahr Studium und war ernüchternd — sowohl die vorsintflutlichen
Produktionsbedingungen als auch der politische und geistige Horizont der unterbezahlten Frauen
und Männer in den Niedriglohngruppen. Nach der ersten Diskussion in der obligatorisch von
der Gewerkschaft veranstalteten ideologischen „Schule der sozialistischen Arbeit”
wurde ich als Nicht-SED-Mitglied zum Parteisekretär bestellt. Der sah in meinen
kritischen Meinungen einen Angriff auf die Arbeiterklasse, die den „Stift, mit dem sie
Geschichte schreibe”, doch führte, auch wenn die Arbeiter selbst nicht alle
politischen Entwicklungen verstünden.
Ebenso ernüchternd war
das anschließende Jahr als „Eingabenbearbeiterin” beim Bürgermeister des
Berliner Stadtbezirkes Weißensee. Meine Kollegen im Staatsapparat hatten, wie es in der
DDR üblich war, Marx nur in Auszügen gelesen, im Staatsbürgerkundeunterricht,
im FDJ-Studienjahr, in Gewerkschaftskursen oder im „Parteilehrjahr” der SED. Sie
waren entsetzt und hielten mich für ketzerisch, als ich ihnen in der monatlichen
politischen „marxistisch-leninistischen” Schulung offenbarte, dass nach Marx im
Kommunismus der Staat, und damit ihre Tätigkeit, abgeschafft würden.
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