SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2009, Seite 2

20 Jahre danach

Das Verhältnis zur DDR prägt immer noch die politische Auseinandersetzung

von Angela Klein

Als die LINKE noch im Gespräch war für eine rot-rot-grüne Regierung in Thüringen, wurde in den Koalitionsverhandlungen eine Präambel zum Koalitionsvertrag, richtiger: ein Revers, entworfen, den sie zu unterschreiben hatte als Nachweis ihrer Regierungsfähigkeit. Der Revers sollte die Landesregierung auf die Sicht der Sieger auf die DDR festlegen. Mehrere Formulierungen wurden entworfen. Eine stammte von den Grünen und wurde von der Verhandlungskommission der LINKEN akzeptiert. Darin heißt es:
"Dabei geht es um die demokratische Kultur von morgen. Wer die Vergangenheit verharmlost, wird nur eine Demokratie der Formen, nicht aber der Herzen erhalten. Vor einer Aufarbeitung in die Gesellschaft hinein muss das Bekenntnis zur DDR als einem Staat stehen, der eine Diktatur war, der nicht nur kein Rechtsstaat war, sondern ein Willkürstaat, der in der Konsequenz Unrechtsstaat genannt werden muss ... Menschen, die leugnen, dass die DDR kein Rechtsstaat war, [sollen] keine Verantwortung in der gemeinsamen politischen Arbeit für Thüringen wahrnehmen."
Vor der Aufarbeitung der Geschichte der DDR steht ihr Ergebnis also schon fest. Dem Antikommunismus aus der Zeit des Kalten Krieges ist der Feind abhanden gekommen, dafür ist er zu einem Glaubensbekenntnis der Berliner Republik mutiert, das eine Art Eintrittstor oder Initiation zu jedweder Regierungsbeteiligung bildet. Der Staat wird Kirche, das ideologische Korsett für Verantwortungsträger ist vorgegeben.
DIE LINKE hat den Formulierungen der Grünen zugestimmt, weil sie keine Hemmungen kennt, wenn es um Regierungsmacht geht, aber auch, weil sie die bürgerliche Kritik an der DDR verinnerlicht hat. Diese Kritik greift im Kern die Enteignung der Junker und Konzerne an. Das versteckt sie hinter dem angeblich neutralen Wortungetüm „Unrechtsstaat” Auf seinen Gehalt abgeklopft sagt dieser Begriff nichts anderes, als dass es keine unabhängige Justiz gab; diese Formulierung hat aber unbestritten längst nicht dieselbe ideologische Aufladung wie „Unrechtsstaat”, worunter man sich alles und nichts vorstellen kann. Es geht eben um eine pauschale, möglichst nicht konkret bestimmte Abqualifizierung der DDR, um die Verbreitung des Gefühls, das sei alles nur Grauen und Knechtung gewesen; das Gefühl soll die konkrete Auseinandersetzung ersetzen und überflüssig machen.
Eine Linke, die diese Art der DDR-Verarbeitung mitmacht, hat den geistigen Horizont der bürgerlichen Gesellschaft übernommen, gleichgültig, was sie im Einzelnen dann noch fordert. Für Linke muss es aber gerade darum gehen, den Horizont zu durchbrechen. Dazu muss sie eine linke Kritik der DDR entwickeln, aus deren Grundsätzen sich zugleich die Umrisse einer völlig anderen Alternative zum Kapitalismus ergeben, als die DDR war.
Eine linke Kritik an der DDR verteidigt ihre realen Errungenschaften: die Bodenreform; ein Bildungssystem, das die Kinder der Arbeiter und der Bauern gezielt förderte und ihnen einen sozialen Aufstieg bis in die Spitzen des Staates ermöglichte; ein Gesundheitssystem, das flächendeckend, preiswert und von guter Qualität war, und einiges mehr.
Über diese Teilbereiche hinaus aber waren grundlegende Merkmale einer sozialistischen Ökonomie und Gesellschaft nicht verwirklicht: Die Arbeiter waren nur nominal, nicht real, Eigentümer an den Produktionsmitteln. Um die wirtschaftliche Entwicklung planbar zu machen, hätte dieses Eigentum kollektiv sein müssen — d.h. es hätte Formen der gesellschaftlichen Entscheidung über die Produktion geben müssen, unter Beachtung und Anerkennung der verschiedenen Bedürfnisse, die sich hätten artikulieren müssen, damit dann ein Kompromiss gefunden würde. Diesen kollektiven Entscheidungsprozess hat es nicht gegeben; die gesellschaftliche Willensbildung wurde von der SED monopolisiert, der Plan, den sie erstellte, wurde im Planungsbüro ausgearbeitet, gestützt auf Indikatoren, die aus politischem Interesse regelmäßig geschönt waren. Die Vorherrschaft der Partei und ihr allumfassender Wahrheitsanspruch bedeuteten, dass unterschiedliche Auffassungen nur in engen Grenzen geduldet wurde, und dass es keine Instanz gab, die eine Auffassung unabhängig von der Partei hätte durchsetzen können.
Das ist mit Vorstellungen, die Sozialismus mit maximaler Ausdehnung von direkter und partizipativer Demokratie in Verbindung bringen, nicht vereinbar.
Einen entscheidenden Punkt haben die bürgerliche und die bürokratische Herrschaft gemein: Die Menschen, die den gesellschaftlichen Reichtum produzier(t)en, durften und dürfen über ihn nicht verfügen und nicht entscheiden, was damit gemacht wird. Eine gesellschaftliche Alternative muss deshalb über die BRD und die DDR hinausgehen. Ein Gegenvorschlag für eine Präambel eines Koalitionsvertrags könnte dann so lauten:
"Der erste Versuch, auf deutschem Boden den Sozialismus aufzubauen, ist u.a. daran gescheitert, dass die arbeitende Bevölkerung nicht real Eigentümerin der Produktionsmittel war und dass die SED die politische Willensbildung monopolisierte, ein dichtes Netz der Kontrolle über die gesamte Gesellschaft legte, die Justiz von ihr abhängig war, Eigeninitiative, Kreativität sowie abweichende Meinungen massiv unterdrückt wurden. Das darf sich nicht mehr wiederholen. Den Unterzeichneten ist die Ausdehnung des realen Einflusses auf alle Felder der Wirtschaft und Gesellschaft sowie der Gestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bevölkerung ein zentrales Anliegen und Leitfaden ihrer Politik."


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang