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Als die LINKE noch im
Gespräch war für eine rot-rot-grüne Regierung in Thüringen, wurde in den Koalitionsverhandlungen eine
Präambel zum Koalitionsvertrag, richtiger: ein Revers, entworfen, den sie zu unterschreiben hatte als Nachweis ihrer
Regierungsfähigkeit. Der Revers sollte die Landesregierung auf die Sicht der Sieger auf die DDR festlegen. Mehrere
Formulierungen wurden entworfen. Eine stammte von den Grünen und wurde von der Verhandlungskommission der LINKEN
akzeptiert. Darin heißt es:
"Dabei geht es um die demokratische Kultur von
morgen. Wer die Vergangenheit verharmlost, wird nur eine Demokratie der Formen, nicht aber der Herzen erhalten. Vor einer
Aufarbeitung in die Gesellschaft hinein muss das Bekenntnis zur DDR als einem Staat stehen, der eine Diktatur war, der
nicht nur kein Rechtsstaat war, sondern ein Willkürstaat, der in der Konsequenz Unrechtsstaat genannt werden muss
... Menschen, die leugnen, dass die DDR kein Rechtsstaat war, [sollen] keine Verantwortung in der gemeinsamen politischen
Arbeit für Thüringen wahrnehmen."
Vor der Aufarbeitung der Geschichte der DDR steht ihr
Ergebnis also schon fest. Dem Antikommunismus aus der Zeit des Kalten Krieges ist der Feind abhanden gekommen, dafür
ist er zu einem Glaubensbekenntnis der Berliner Republik mutiert, das eine Art Eintrittstor oder Initiation zu jedweder
Regierungsbeteiligung bildet. Der Staat wird Kirche, das ideologische Korsett für Verantwortungsträger ist
vorgegeben.
DIE LINKE hat den Formulierungen der Grünen
zugestimmt, weil sie keine Hemmungen kennt, wenn es um Regierungsmacht geht, aber auch, weil sie die bürgerliche
Kritik an der DDR verinnerlicht hat. Diese Kritik greift im Kern die Enteignung der Junker und Konzerne an. Das versteckt
sie hinter dem angeblich neutralen Wortungetüm „Unrechtsstaat” Auf seinen Gehalt abgeklopft sagt dieser
Begriff nichts anderes, als dass es keine unabhängige Justiz gab; diese Formulierung hat aber unbestritten
längst nicht dieselbe ideologische Aufladung wie „Unrechtsstaat”, worunter man sich alles und nichts
vorstellen kann. Es geht eben um eine pauschale, möglichst nicht konkret bestimmte Abqualifizierung der DDR, um die
Verbreitung des Gefühls, das sei alles nur Grauen und Knechtung gewesen; das Gefühl soll die konkrete
Auseinandersetzung ersetzen und überflüssig machen.
Eine Linke, die diese Art der DDR-Verarbeitung mitmacht,
hat den geistigen Horizont der bürgerlichen Gesellschaft übernommen, gleichgültig, was sie im Einzelnen
dann noch fordert. Für Linke muss es aber gerade darum gehen, den Horizont zu durchbrechen. Dazu muss sie eine linke
Kritik der DDR entwickeln, aus deren Grundsätzen sich zugleich die Umrisse einer völlig anderen Alternative zum
Kapitalismus ergeben, als die DDR war.
Eine linke Kritik an der DDR verteidigt ihre realen
Errungenschaften: die Bodenreform; ein Bildungssystem, das die Kinder der Arbeiter und der Bauern gezielt förderte
und ihnen einen sozialen Aufstieg bis in die Spitzen des Staates ermöglichte; ein Gesundheitssystem, das
flächendeckend, preiswert und von guter Qualität war, und einiges mehr.
Über diese Teilbereiche hinaus aber waren
grundlegende Merkmale einer sozialistischen Ökonomie und Gesellschaft nicht verwirklicht: Die Arbeiter waren nur
nominal, nicht real, Eigentümer an den Produktionsmitteln. Um die wirtschaftliche Entwicklung planbar zu machen,
hätte dieses Eigentum kollektiv sein müssen — d.h. es hätte Formen der gesellschaftlichen
Entscheidung über die Produktion geben müssen, unter Beachtung und Anerkennung der verschiedenen
Bedürfnisse, die sich hätten artikulieren müssen, damit dann ein Kompromiss gefunden würde. Diesen
kollektiven Entscheidungsprozess hat es nicht gegeben; die gesellschaftliche Willensbildung wurde von der SED
monopolisiert, der Plan, den sie erstellte, wurde im Planungsbüro ausgearbeitet, gestützt auf Indikatoren, die
aus politischem Interesse regelmäßig geschönt waren. Die Vorherrschaft der Partei und ihr allumfassender
Wahrheitsanspruch bedeuteten, dass unterschiedliche Auffassungen nur in engen Grenzen geduldet wurde, und dass es keine
Instanz gab, die eine Auffassung unabhängig von der Partei hätte durchsetzen können.
Das ist mit Vorstellungen, die Sozialismus mit maximaler
Ausdehnung von direkter und partizipativer Demokratie in Verbindung bringen, nicht vereinbar.
Einen entscheidenden Punkt haben die bürgerliche und
die bürokratische Herrschaft gemein: Die Menschen, die den gesellschaftlichen Reichtum produzier(t)en, durften und
dürfen über ihn nicht verfügen und nicht entscheiden, was damit gemacht wird. Eine gesellschaftliche
Alternative muss deshalb über die BRD und die DDR hinausgehen. Ein Gegenvorschlag für eine Präambel eines
Koalitionsvertrags könnte dann so lauten:
"Der erste Versuch, auf deutschem Boden den
Sozialismus aufzubauen, ist u.a. daran gescheitert, dass die arbeitende Bevölkerung nicht real Eigentümerin der
Produktionsmittel war und dass die SED die politische Willensbildung monopolisierte, ein dichtes Netz der Kontrolle
über die gesamte Gesellschaft legte, die Justiz von ihr abhängig war, Eigeninitiative, Kreativität sowie
abweichende Meinungen massiv unterdrückt wurden. Das darf sich nicht mehr wiederholen. Den Unterzeichneten ist die
Ausdehnung des realen Einflusses auf alle Felder der Wirtschaft und Gesellschaft sowie der Gestaltungs- und
Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bevölkerung ein zentrales Anliegen und Leitfaden ihrer Politik."
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