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Was treibt die Piraten an? Die „Freiheit der Meere” aus früheren Zeiten als Beispiel für heutige
Politik? Oder „Freibeuter” bei anderen Parteien sein, um ihnen Stimmen abzujagen?
Die größte Antriebskraft der Piraten ist der stetige Abbau der Bürgerrechte in den letzten Jahren. Die
Anhänger unserer Partei sind nicht länger gewillt, tatenlos mit anzusehen, wie durch immer neue
Gesetzesänderungen ihre Freiheit immer stärker eingeschränkt wird.
Ein wichtiger Auslöser der Piratenbewegung in
Deutschland war das 2008 geschaffene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Dieses schreibt eine Speicherung der
Telekommunikationsdaten für einen Zeitraum von 6 bis 7 Monaten vor. Dies schließt E-Mail, Handy, Festnetz und
andere Kommunikationsnetze ein. Gespeichert werden die Daten aller Kommunikationsteilnehmer. Die Nutzung entgeltlicher
Anonymisierungsdienste ist verboten.
Mit Hilfe dieser Daten ist es zum Beispiel möglich,
Bewegungsprofile der Handy-Nutzer zu erstellen, geschäftliche Kontakte zu rekonstruieren oder auf das soziale Umfeld
und die persönlichen Vorlieben von Menschen zu schließen. Zugriff auf die Daten können Polizei,
Staatsanwaltschaft und ausländische Staaten bekommen, die sich davon eine verbesserte Strafverfolgung versprechen.
Abgesehen von der generellen Tragweite und der
zweifelhaften Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes greift es zudem in verfassungsrechtlich geschützte
Grundrechte wie das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Die
Verschwiegenheitspflicht von Rechtsanwälten und Ärzten und das Seelsorge- bzw. Beichtgeheimnis von ordinierten
Geistlichen sind nicht mehr gewährleistet.
Dass die Piraten den anderen Parteien ihre Stimmen
abjagen ist nur ein Nebeneffekt unserer Politik der uns zeigt, dass die etablierten Parteien es in den letzten Jahren
verschlafen haben, die Bürgerrechte zu schützen.
Warum gründet ihr ausgerechnet eine Partei für die Verfolgung eurer Ziele, wo doch die Parteien
täglich zeigen, wie wenig sie innerhalb der etablierten politischen Institutionen zu positiven Veränderungen in
der Lage sind?
Wenn wir in Deutschland etwas verändern wollen, geht das nur, wenn wir in den Parlamenten vertreten sind. Das
ist nur als Partei möglich. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Petitionen, themenbezogene Arbeitskreise und
Bürgerinitiativen bei den etablierten Politikern keine wirkliche Beachtung finden.
Als Partei werden wir mit unseren Zielen aber durchaus
wahrgenommen, da wir die Etablierten Wählerstimmen kosten. Das war im Vorfeld der diesjährigen Bundestagswahl
zu beobachten, denn viele Politiker waren gezwungen, sich mit uns und unseren Themen auseinanderzusetzen.
Unabhängig davon stehen uns als Partei viele
Möglichkeiten offen, die wir mit einer anderen Organisationsstruktur nicht hätten. Und als Partei geben wir den
Bürgern die Möglichkeit, sich bei Wahlen explizit hinter unsere Ziele zu stellen und uns damit voranzubringen.
nWenn es um Freiheit vor Bespitzelung und Bevormundung
geht — wie machen die Bewegung, aus der ihr kommt, und eure Partei da Dampf?
Im Moment sehen wir es als unsere wichtigste Aufgabe an,
die Bevölkerung aufzuklären. Viele Bürger wissen gar nicht, wie stark sie schon durch den Staat
kontrolliert werden. Oder sie erfassen die möglichen Auswirkungen nicht. Damit sind wir auf dem richtigen Weg, wie
die Ergebnisse der letzten Wahlen gezeigt haben.
Der Gesetzgeber hat das BKA mit der Sperrung von Seiten beauftragt, die über Kinder-Porno-Links
verfügen. Das ist sicher ein Thema, woran sich die Freiheit des Internet nicht definieren kann. Wie grenzt sich eure
Forderung nach Nichtüberwachung da ab?
Um es ganz klar zu sagen: Die Piratenpartei ist selbstverständlich gegen Kinderpornografie. Wir wollen das
Internet nicht zu einem rechtsfreien Raum machen. Im Gegenteil, wir wünschen uns, dass mehr Polizeikräfte
eingesetzt werden, um Verbrechern im Internet das Handwerk zu legen. Uns ist aber wichtig, dass der Staat nicht versucht,
die Meinungsfreiheit im Internet einzuschränken.
Das von Familienministerin Ursula von der Leyen
durchgesetzte Zugangserschwerungsgesetz wird die Kriminalität im Internet nicht reduzieren. Ihr geplantes
Stoppschild ist kinderleicht zu umgehen und außerdem verfassungsrechtlich bedenklich, weil es für keinen
richterlichen Beschluss für die Sperrung von Seiten im Internet verlangt, sondern diese Aufgabe dem
Bundeskriminalamt (BKA) überträgt. Für Einzelpersonen, Unternehmen oder Institutionen kann das Gesetz
existenzbedrohend sein, wenn deren Web-Auftritt „versehentlich” auf die Sperrliste des BKA gelangt.
Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt am Gesetz ist die
damit verbundene Möglichkeit, eine Zensurinfrastruktur aufzubauen, mit deren Hilfe sich beliebige Inhalte sperren
lassen, beispielsweise missliebige politische Aussagen.
Im schlimmsten Fall kann das Gesetz sogar genau das
Gegenteil von dem bewirken, wofür es gedacht ist. Wenn die Sperrliste in falsche Hände gerät, wird sie zum
Inhaltsverzeichnis für Kinderpornografie. Dieses Szenario ist gar nicht so unwahrscheinlich. Die Listen werden
regelmäßig vom BKA an die verschiedenen Zugangsanbieter verschickt und in letzter Zeit gab es mehrere
Fälle, in denen ähnlich sensible Daten an die Öffentlichkeit gelangten.
Für die Piratenpartei gilt das Motto
„Löschen statt Sperren": Was von der Leyen nur tarnen will, das wollen wir beseitigen. Dass dies
möglich ist, zeigen verschiedene Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit. Sehr viele dieser Seiten werden auf
deutschen Servern betrieben und unterliegen daher dem deutschen Strafrecht. Aber auch international kann man gegen
rechtswidrige Internetpräsenzen vorgehen. Hier sind die Politiker gefragt, entsprechende Vereinbarungen mit anderen
Ländern auszuhandeln, soweit diese noch nicht existieren.
Ihr verlangt vom Staat Freiheit von Zensur oder Bevormundung im Internet. Ist die freie Informationsarbeit im
Internet aber nicht eher gefährdet durch die Datensammlung großer Konzerne wie Google, deren Kontrolle sich
fast jeder politischen Instanz entzieht?
Wie bereits erwähnt, müssen die Menschen wissen, wer welche Daten über sie sammelt. Wer weiß, was
mit seinen persönlichen Daten geschehen kann, wird verschiedene Dienste im Internet meiden oder sich zumindest genau
überlegen, welche Daten er herausgeben möchte.
Trotzdem ist es nötig, dass der Staat die
Bedingungen für eine wirkliche informationelle Selbstbestimmung schafft. Das Recht des Einzelnen, die Nutzung seiner
persönlichen Daten zu kontrollieren, muss gestärkt werden. Jeder Bürger muss zu akzeptablen Kosten
gegenüber den Betreibern zentraler Datenbanken einen durchsetzbaren Anspruch auf Selbstauskunft und gegebenenfalls
auf Korrektur, Sperrung oder Löschung seiner Daten haben. Dazu müssen insbesondere die Datenschutzbeauftragten
völlig unabhängig agieren können.
Die Freie-Software-Szene hat oft weitergehende Vorstellungen, die nicht nur die Ablehnung proprietärer
Software beinhaltet, sondern überhaupt die freie Verfügung von Können und Wissen der Menschen für
alle anderen fordert. Kommt das in eurem Programm vor, ist das ein Kern einer anderen gesellschaftlichen
Ökonomie?
Ja, das wollen wir! Es ist sehr wichtig, dass alles Wissen allen Menschen zur Verfügung steht. Die technischen
Möglichkeiten dazu wurden in den vergangenen Jahrzehnten geschaffen. Die Piratenpartei behandelt dieses Thema unter
dem Stichwort „Open Access”
Viele schöpferische Tätigkeiten werden aus dem
Staatshaushalt finanziert und bringen urheberrechtlich geschützte Werke hervor. Da diese Werke von der Allgemeinheit
finanziert wurden, sollten sie auch der Allgemeinheit kostenlos zur Verfügung stehen. Das ist heute selten der Fall.
Durch Open Access können auch Wissenschaftler und Institutionen mit geringem Budget an der wissenschaftlichen
Entwicklung teilhaben. Wer auf einen wissenschaftlichen Artikel nicht zugreifen kann, kann ihn auch nicht auf Fehler
überprüfen oder verbessern.
Patente auf Software, Lebewesen, Gene oder
Geschäftsideen lehnt die Piratenpartei ab. Sie haben unzumutbare und unverantwortliche Konsequenzen und behindern
die Wissensgesellschaft in ihrer Entwicklung. Sie privatisieren gemeinschaftliche Güter ohne Gegenleistung und
besitzen kein Erfindungspotential im ursprünglichen Sinn. Beispielsweise hat auf dem Softwaresektor die gute
Entwicklung kleiner und mittelständischer IT-Unternehmen in Europa hat gezeigt, dass Patente vollkommen unnötig
sind und im Gegenteil kontraproduktiv wären.
Wie seht ihr das Problem, dass viele Journalisten, Künstler, Freischaffende und Wissenschaftler für ihre
Denkarbeit bezahlt werden müssen. Wenn sie im Internet Texte, Bilder und andere Ergebnisse ihrer Arbeit
veröffentlichen, leisten sie Arbeit, die vergütet werden muss — wovon leben sie sonst?
Die derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen beim Urheberrecht beschränken das Potential vieler aktueller
Entwicklungen, da sie auf einem veralteten Verständnis von sog. „geistigem Eigentum” basieren.
Der Piratenpartei geht es nicht darum, das Urheberrecht
abzuschaffen, sie will es reformieren. Dabei soll der Zugang der Öffentlichkeit zu Kunst und Kultur verbessert
werden, während zugleich die Künstler und Kunstschaffenden nicht benachteiligt werden. Der Konsument soll dabei
sein Recht auf Privatkopien tatsächlich nutzen können, ohne durch das Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen
rechtswidrig zu handeln.
Dass für alle Beteiligten faire Systeme möglich
sind, zeigen Künstler, die beim Vertrieb ihrer Werke die Verwertungsgesellschaften umgehen. Sie verkaufen zwar
vielleicht weniger, aber ihre Erlöse sind dafür entsprechend höher. Die Piratenpartei setzt sich
dafür ein, dass derartige Modelle in Zukunft stärkere Beachtung finden.
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