SoZ - Sozialistische Zeitung |
Die Automobilindustrie, mit etwa 800.000 Beschäftigten das Rückgrat der deutschen
Exportwirtschaft, steckt in einer tiefen Strukturkrise; sie wird durch die Klimakrise noch verschärft. Seit langem
gibt es daher wieder die Möglichkeit, über grundsätzliche Alternativen nachzudenken.
"Weltweite Krise und ihre Auswirkungen auf die
Beschäftigten — Was sind unsere Perspektiven und Strategien?” Unter diesem sperrigen Titel trafen sich
Automobilarbeiter mit Klimaschützern und Kritikern des Produkts Auto. Sie diskutierten Konzepte, wie
Massenentlassungen abgewehrt werden können und was die Abkehr vom Auto als individuellem Massentransportmittel dazu
leisten kann.
Das Seminar in Oer-Erkenschwick war von etwa 50 Personen
besucht: Kollegen von Daimler Untertürkheim, Bremen, Hamburg, Südafrika; Ford Köln; BMW Berlin; VW
Salzgitter; Toyota Köln; Volvo Schweden. Dazu Sam Gindin von der kanadischen Automobilarbeitergewerkschaft (CAW),
der Verkehrsexperte Winfried Wolf, Wolfgang Pomrehn als Klimawissenschaftler, Bernd Riexinger von Ver.di Stuttgart und
Lars Henriksson von Volvo. Auch ein Eisenbahner hatte sich in die Veranstaltung verirrt. Die Opelaner fehlten
vollständig — das war das größte Defizit an diesem verlängerten Wochenende.
Betriebliche Kämpfe mit einer ökologischen
Perspektive verbinden: das war der Grundtenor der Veranstaltung, der bereits in den beiden Einleitungen von Sam Gindin
und Winfried Wolf zum Ausdruck kam. Gindin hatte in den 80er Jahren maßgeblich mit dafür gesorgt, dass die CAW
sich von den Konzepten des Co-Managements verabschiedete und einen kämpferischen Kurs einschlug (den sie in den
letzten Jahren allerdings wieder verlassen hat).
Gindin setzte sich mit der Frage auseinander, warum die
Gewerkschaften durch die Krise so stark in die Defensive geraten sind, dass sie daraus keinen Ausweg finden. Er zog eine
Parallele zu den 30er Jahren: „Damals erlebten wir die größte Weltwirtschaftskrise seit Bestehen des
Kapitalismus, und die Arbeiterbewegung hat neue Organisationsformen geschaffen. Heute erleben wir das wieder, aber neue
Organisationsformen sind nicht in Sicht.” (In den 30er Jahren gab es in den USA eine massive Welle von Streiks und
Betriebsbesetzungen, in deren Verlauf sich die American Federation of Labor [AFL] spaltete und der Congress of Industrial
Organizations gegründet wurde. Sie vereinigten sich 1955 zum AFL-CIO.)
Gindin beklagte, die Linke habe keine gemeinsame
Erklärung für die Krise und ziehe deshalb auch unterschiedliche Schlussfolgerungen. Die Abhängigkeit von
Finanzprodukten (Verschuldung) habe nicht nur dem Kapitalismus geholfen, sich auf dem globalen Weltmarkt zurechtzufinden,
sondern auch den Arbeitern erlaubt, weiter zu konsumieren, obwohl ihre Löhne gesunken sind. Die Arbeiterbewegung
habe sich von ihren schweren Niederlagen in der ersten Hälfte der 80er Jahre noch nicht erholt. Die Gewerkschaften
repräsentierten einen immer kleineren Teil der Beschäftigten, zugleich gehe die Zahl der Beschäftigten im
verarbeitenden Gewerbe stetig zurück. Die Zahl der Streiks habe abgenommen, die Arbeiter hätten das
Kämpfen verlernt. „Die größte Krise ist die in uns selbst, die, in der die Arbeiterbewegung
steckt”, resümierte er seinen Ansatz.
Gindin sieht den Ausweg darin, neue Klassenstrukturen aufzubauen, die gewerkschaftlich Organisierte und Unorganisierte
zusammenführen. Die Gewerkschaften müssen transformiert werden und die Lohnabhängigen wieder
zusammenführen. Derzeit gehe nur das Kapital gestärkt aus der Krise hervor, weil es sich konzentriert; die
Arbeiter dagegen würden schwächer, weil sie fragmentiert werden.
Das Selbstvertrauen, dass Arbeiter eine andere
Gesellschaft erstreiten können, ist stark eingeknickt, das bestätigten alle Diskussionsredner, es muss erst
wieder aufgebaut werden, die Passivität überwunden werden. Wie kann das gehen? Zum Beispiel mit autonomen
Betriebsgruppen, die Organisierte wie auch Unorganisierte, Normalarbeiter wie auch Zeitarbeiter umfassen; mit
„Arbeiterzentren”, d.h. Hilfsstrukturen außerhalb der Betriebe, die gemeinsam von Gewerkschaften,
sozialen Bewegungen, Antiarmutsinitativen, Migrantenorganisationen usw. aufgebaut werden — das waren einige der
Vorschläge.
Vor allem waren sich alle einig darin, dass über den
Betrieb hinausgedacht werden muss: „Die Autokrise kann nicht allein im Autosektor gelöst werden.” Und es
wurde mehrfach betont: „Wir müssen bereit sein, die Machtfrage zu stellen.” Wenn Betriebsräte sich
das Ziel der Unternehmer zu eigen machen, „gestärkt aus der Krise hervorzugehen”, dann lassen sie zu,
dass die Kollegen aus schwächeren Betrieben zum Abschuss freigegeben werden. Deshalb müsse das Motto der IG
Metall: „Die Macht der Gewerkschaft liegt in den Betrieben, nicht auf der Straße”, zurückgenommen
werden; die Macht der Gewerkschaft liegt sehr wohl auch auf der Straße.
Eine Informationsrunde über die Lage in den
Betrieben ergab ein ziemlich gleich lautendes Bild: Die Belegschaften sind gespalten. Ein Teil sagt sich, es ist noch
immer gut gegangen; ein anderer, vielleicht größerer Teil, schaut auf die Gewerkschaft; nur ein kleiner Teil
ist bereit, das System in Frage zu stellen und aktiv zu werden. Die Gewerkschaft aber bewegt sich auf einer rein
defensiven Linie: „keine betriebsbedingten Kündigungen” Dafür ist sie bereit, alle Maßnahmen
„zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit” zu unterstützen, also alles, was den Druck auf die Arbeit und
die Löhne erhöht. Diese Konzessionsbereitschaft stößt auf Unmut: „Der Hass wächst."
Winfried Wolf analysierte die Krise der Automobilindustrie als eine von insgesamt sieben Krisen, die wir zeitgleich
erleben. In der Autoindustrie sind von weltweit 8 Millionen Arbeitsplätzen 3 Millionen gefährdet. Das
müsse Anlass sein, über eine Abkehr von der Autoindustrie nachzudenken. Denn diese ist nicht nur kein Jobmotor
mehr, sie ist auch hochgradig klimagefährlich und verursacht zudem hohe externe Kosten durch Unfälle,
Flächenverbrauch u.a. Investitionen in den Ausbau des Schienenverkehrs würden mehr Jobs schaffen, als in der
Autoindustrie vernichtet würden. Ein breit ausgebauter öffentlicher Verkehr käme die Gesellschaft
außerdem weit billiger.
Solche konkreten Szenarien machen deutlich, dass
Umweltschutz und die Schaffung von Arbeitsplätzen durchaus Hand in Hand gehen können. Umgekehrt ist es für
die Arbeit in den Betrieben wichtig, ein übergreifendes Ziel vor Augen zu haben, um nicht vom täglichen
Kleinkrieg erdrückt zu werden.
Damit war die Konversionsdiskussion auf dem Tisch.
Für ältere Metaller ist das nichts Neues; in den 80er Jahren hat die IG Metall schon einmal eine
Konversionsdiskussion geführt, die dann aber wieder in den Schubladen verschwand.
Wolfgang Pomrehn unterstrich die Dringlichkeit der
Aufgabe an Hand der Klimaprognosen für die nächsten 30—80 Jahre. Und Lars Henriksson von Volvo, der sich
gleich zu Beginn der Krise in einem Flugblatt an seine Kollegen gewandt und für eine Konversion der Produktion
plädiert hatte (vgl. SoZ 12/08), plädierte dafür, die Produktionsanlagen in der Autoindustrie nicht
einfach über den Haufen zu werfen, damit könne man noch viel anderes herstellen: z.B. in großem Stil
Straßenbahnen für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Konversion sei wichtig, weil sie erlaube, die
Arbeiterkollektive zusammenzuhalten. Sie erfordere aber, dass die Belegschaften die Kontrolle über die Produktion
übernehmen, z.B. durch Betriebsbesetzung. Er plädierte für den Aufbau einer Allianz „Rettet das
Klima und die Arbeitsplätze” „Man kann nicht abstrakt für Sozialismus mobilisieren, sehr wohl aber
für eine Produktion, die sich nach den Bedürfnissen der Menschen richtet und in Einklang mit der Natur zu
bringen ist."
"Wir haben einen Plan”, ergänzte Sam
Gindin. „Mit einer Perspektive für einen ökologischen Umbau der Produktion können wir eine
langfristige Kampagne führen, die die Arbeiterschaft wieder in eine Führungsposition bringt."
Die Zeit drängt. Das Netzwerk Auto hat verabredet,
kleine Broschüren zum Thema Krise/Ursachen und Perspektiven für die Kollegen zu erstellen und in den Betrieben
und in regionalen Gesprächskreisen die Diskussion darum anzufachen. Das Netzwerk will im April nächsten Jahres
wieder zusammenkommen.
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