SoZ - Sozialistische Zeitung |
Nutzer und Beschäftigte der Post in Frankreich ermächtigen sich selbst, die
Bevölkerung zu befragen über ihre Meinung zur Privatisierung der Post. 2.123.717 Citoyens haben ihre Antwort an
mehr als 10.000 Wahlorten abgegeben, fast alle sind gegen die Privatisierung.
Organisiert wurde das Ganze ohne Erlaubnis der Regierung
von einem breiten Bündnis von Organisationen, Gewerkschaften, Initiativen und Parteien. Geplant ist eine landesweite
Demonstration, die ein offizielles Referendum über die Privatisierung der Post fordert. Die Aktionen knüpfen an
das erfolgreiche Referendum gegen den EU-Vertrag 1995 an.
Die Post mit ihren öffentlichen Postämtern,
Briefträgern und Schalterangestellten macht in Frankreich einen wichtigen Teil des öffentlichen Sektors aus
— ebenso wie Schulen, die Bahn und Krankenhäuser. Ihr Angestellten unterhalten besondere Beziehungen zu den
Nutzern, oftmals ist es auch eine Vertrauensbeziehung. Gerade in der Figur des Briefträgers, der täglich die
Post vorbeibringt, ist dies sichtbar; besonders in den weiträumigen ländlichen Gebieten stellt er die Beziehung
nach draußen her.Er führt kleine Gespräche mit den Postempfängern, bringt gehbehinderten
Bewohnerinnen Zigaretten vorbei usw. Damit soll jetzt Schluss sein, er wird jetzt begleitet von einem amtlichen
Kontrolleur, der die Rentabilität seiner Botengänge untersuchen soll.
Im September 2009 brach in Paris, im populären
Viertel Chateau rouge im 18.Pariser Bezirk mit einem hohen Anteil an Arbeitern und Migranten, ein Streik aus. 15
Schalterbeschäftigte begannen ihn am 7.September, denn es sollten vier Stellen gestrichen werden. Von vier Schaltern
sollten nur noch zwei offenbleiben, gleichzeitig sind viele der täglich tausen Nutzer Immigranten, die
Überweisungen tätigen oder einfach eine Beratung brauchen. Im oft überhitzten Raum gab es manchmal
Wartezeiten von mehr als einer Stunde — für alle Beteiligten hyperstressig. Gleichzeitig müssen die
Angestellten jetzt aufrecht stehen, sie dürfen nicht mehr sitzen. Es gibt sehr viele körperliche Beschwerden
gerade wegen dieser Maßnahme. Die Arbeitszeiten wurden flexibilisiert, Schichtpläne waren nicht länger als
zwei Wochen gültig und wurden ständig geändert. Das Durchschnittsalter bei der Post liegt bei 47 Jahren.
Der Streik dauerte vier Wochen mit täglichen
Versammlungen, Gesprächen und einer grossen Unterstützung aus dem Bezirk. Die Streichung der Stellen wurde
zurückgenommen.
Seit Jahren läuft die Debatte um die Transformation der öffentlichen Post zu einem rentablen Unternehmen
für die Finanzmärkte. Hinter einem scheinbar formalen Wechsel der Eigentumsformen steht eine grundlegende
Veränderung der Beziehungen zwischen Beschäftigten und Nutzern. Der Nutzer soll zum Kunden werden, dem im
Postbüro die unterschiedlichsten Produkte angedreht werden, die mit seinem Kommen zur Post nichts zu tun haben. Die
Schalterbeamten sollen zu Verkäufern werden, ähnlich wie Bankberater, und nicht ihre Zeit mit unproduktiven
Ratschlägen oder Gesprächen verbringen und den Nutzern eventuell sogar noch beim Ausfüllen von Formularen
helfen. Die Schalter verschwinden hinter dem Angebot an teilweise fremden Produkten. Die Schlangen der Wartenden werden
dadurch nicht kürzer.
Genau das nährt die Unzufriedenheit aller
Beteiligten, führt zu individuellen Wutausbrüchen auf beiden Seiten und zu offensiven Streikbewegungen.
In der Frage, wie eine öffentliche bürgernahe
lokale Dienstleistung wie die Post funktionieren soll, unterscheiden sich die Vorstellungen der beteiligten
Gewerkschaften. Um die Post zu verteidigen, muss man sie erneuern und beleben durch das Bündnis von
Beschäftigten und Nutzern, meint die Gewerkschaft SUD-PTT. Auf dieser Linie führt sie seit Jahren die
inhaltliche Auseinandersetzung mit den Befürwortern der Privatisierung, organisiert Diskussionen zwischen
Beschäftigten und Nutzern, organisiert Streikbewegungen.
Damit — wie auch mit ihrer absoluten Verpflichtung
auf basisdemokratische Entscheidungen (z.B. in täglichen Streikvollversammlungen) und mit ihrer unermüdlichen
Informationsarbeit — ist sie so erfolgreich, dass sie innerhalb von zehn Jahren bei der Post zur
zweitstärksten Gewerkschaft nach der CGT aufstieg und bei der Telekom mit dieser sogar gleichzog. Die Orientierung
der SUD-Gewerkschaften auf den gesellschaftlichen Bedarf ist ungewöhnlich, im traditionellen Selbstverständnis
sind Gewerkschaften ausschließlich Interessenverbände von Lohnabhängigen, die mit den Unternehmen um den
Preis und die Nutzungsbedingungen der Arbeitskraft ringen.
Der Kampf um die staatliche Post wird landesweit
geführt: Flächendeckend haben sich Komitees gegen die Privatisierung der Post gegründet, die Nutzer und
Beschäftigte zusammenbringen. Alle Gewerkschaften beteiligen sich an dieser Bewegung, mit Ausnahme der CFDT. Sie hat
den Umbau von Anfang an begrüßt.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |