SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2009, Seite 11

Sonne aus der Wüste?

"Das ist ein Pakt mit dem Teufel"

Rededuell zwischen Hermann Scheer (SPD) und Hans-Josef Fell (Grüne)

Ist Desertec, der Solarstrom aus der Wüste, der Aufbruch in ein neues Zeitalter der ökologischen Stromerzeugung? Oder nur der vergebliche Versuch der Stromindustrie, ihre monopolartige Vormacht in die Zukunft zu retten? Ein Interview von Marcus Franken von Zeo2 — Magazin für Umwelt, Politik und Neue Wirtschaft.Herr Fell, Deutsche Großkonzerne wollen die Solarenergie nach Afrika bringen und die gesamte Grüne Partei wünscht alles Gute. Was fasziniert die Grünen an Desertec?

Fell: Desertec ist eine Initialzündung zur Ökologisierung der Wirtschaft. Heute fließen das große Kapital und die Investitionen der Energiewirtschaft immer noch in das alte Energiesystem; wir haben weltweit eine erschreckende Dominanz der Investitionen in Klimazerstörung und Atomgefahren. Mit Desertec wird ein Teil des Kapitals umgelenkt. Ich glaube zwar nicht, dass wir in Europa Wind- und Solarstrom aus Afrika brauchen. Denn wir können uns spielend zu 100% mit erneuerbaren Energien versorgen. Aber die Tatsache, dass Länder wie Algerien von ihren Erdöleinnahmen abhängig sind, führt dazu, dass sie den Klimaschutz aktiv verhindern, weil sie um ihre Einnahmen fürchten. Eine der entscheidenden Voraussetzungen für einen Aufbruch in eine andere Welt ist es, dass auch solche Länder Einnahmen aus den Erneuerbaren generieren können. Dass es die großen Konzerne machen, bereitet uns eher Bauchschmerzen.

Herr Scheer, Ihr Gegenüber ist immerhin Ihr Vizepräsident und Preisträger von Eurosolar. Er nennt Desertec „ein ganzheitliches Konzept für eine globale Klima- und Energiewende” Ist Fell naiv?

Scheer:
Jeder Schritt in Richtung erneuerbare Energien braucht geeignete Träger. Hinter Desertec stehen aber nicht afrikanische und arabische Firmen, sondern deutsche Unternehmen. Und die sind nicht gerade berühmt für die Förderung erneuerbarer Energien. Bisher haben sie alle Schritte in diese Richtung im Wesentlichen blockiert. Und wenn sie etwas mitgemacht haben, dann nur als Mitläufer.

Also keine Umlenkung des Kapitals?

Scheer: Natürlich brauchen wir eine Umlenkung von Kapital, aber ohne die großen Stromkonzerne. Denn die müssen immer noch ihre Altinvestitionen in Atom- und Kohlekraftwerke schützen und wollen im Grunde nur Zeit gewinnen und die Dezentralisierung verhindern. Ihr Interesse ist die Aufrechterhaltung des Erzeugungsmonopols. Wie man Desertec beurteilt, hat weniger mit Naivität zu tun als damit, wie man die politischen Gefahren einschätzt. Und Fell schätzt die Gefahren niedriger ein als ich.

Fell: Ich sehe tatsächlich stärker die Chancen und freue mich darüber, dass nicht E.on oder RWE die Wortführer sind, sondern die Münchener Rück. Die ist als Finanzinvestor in gewissem Sinne wertfrei: Die hat keine Altinvestition, die sie schützen muss. Die Gefahr, dass Stromkonzerne verzögern, ist real. Wir sehen das ja auch bei den Stockungen der Offshorewindkraft. Aber die Wachstumsgeschwindigkeiten der erneuerbaren Energien machen den großen Konzernen inzwischen richtig Sorgen: In zehn Jahren könnten deren Kunden ihren Strom nämlich selber billiger machen, als ihn bei den Konzernen zu kaufen. Deshalb müssen sie auch selbst in regenerative Energie investieren.

Herr Scheer, teilen Sie die Auffassung, dass nicht RWE und Co., sondern die Münchener Rück den Hut auf hat?

Scheer: Nein. Die Münchener Rück hat selbst erklärt, dass sie nicht investieren will. Sie versteht sich als Anstoßgeber. Immerhin müssen die Stromkonzerne inzwischen anerkennen, dass die generelle Route in Richtung erneuerbare Energie geht. Die Auseinandersetzung ist jetzt, ob wir dazu wenig oder viel Zeit brauchen. Die Koalition der Aufschieber sagt: Wir brauchen viel Zeit; und darum brauchen wir Verlängerung der Atomlaufzeiten plus neue Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung.

Fell: Die Münchener Rück will sich zwar nicht als Projektierer, aber sehr wohl als Finanzierer einbringen. Die Gefahr, dass es in Deutschland zu einem verlangsamten Ausbau der dezentralen Energieversorgung durch Desertec kommt, ist gering. Wir sind doch hier auf einem Pfad, der nicht mehr umkehrbar ist. Und bis Desertec den ersten Strom nach Europa liefert, werden wir längst einen starken Ausbau haben, sodass es keine Konkurrenz zum Häuslebesitzer geben wird, der sich seine Photovoltaikanlage aufs Dach bauen will.

Scheer: Die Verzögerung beginnt doch jetzt schon. Sehen Sie auf die Stimmen, die behaupten, Solarstromerzeugung hier sei unwirtschaftlich, und stattdessen auf die Sahara zeigen. Mein Hauptvorwurf an Desertec und jeden, der das unterstützt, ist: Hier werden nur technokratisch-wirtschaftliche Analysen gemacht, die zeigen sollen, dass Strom aus Afrika billiger ist als der erneuerbare Strom von hier. Und alle Gesichtspunkte, die Dynamik in die erneuerbaren Energien gebracht haben, werden ausgeblendet: Dezentrale Investoren, regionale Wirtschaftsförderung und Energieautonomie. Darum ist Desertec in einem völlig falschen Fahrwasser.

Herr Fell, Sie haben die Arbeiten des Club of Rome von Anfang an begleitet. Ist der Club of Rome, der Desertec ja angeschoben hat, politisch blind, wie Scheer sagt?

Fell: Nein, denn da werden natürlich auch kulturelle und andere Bedingungen ins Kalkül gezogen. Aber am Anfang steht die Machbarkeitsstudie, damit Fragen nach der Technik und den nötigen Investitionen erst mal grundsätzlich geklärt werden.

Müssen die grünen Wähler und Hermann Scheer sich davon verabschieden, dass die Erneuerbaren immer klein und kuschelig sind?

Fell: Nein, mehr als 10% Strom werden in den nächsten Jahrzehnten sicher nicht aus der Wüste kommen. Den Rest machen die kleinen dezentralen Anlagen. Da gibt es keine Konkurrenz. Aber eine Großstadt wie Kairo kann man nicht allein mit Solaranlagen auf dem Hausdach versorgen. Da braucht man zusätzlich solare Großkraftwerke. Aber leider sind die Staaten Nordafrikas seit 30 Jahren mit den erneuerbaren Energien nicht vorangekommen.

Herr Scheer, was ist schlecht daran, wenn in Afrika Solarkraftwerke gebaut werden und die Finanzierung über den Verkauf des Stroms nach Europa erfolgt?

Scheer: Ich bestreite die These, dass der Strom aus Afrika für uns billiger wäre als eigener Solarstrom. Es gibt in Nordafrika doch nur eine einzige vorteilhafte Randbedingung: die stärkere Sonneneinstrahlung. Alle anderen Randbedingungen sind schlechter: Sandstürme, hoher Wartungsaufwand, die ständigen Sandwehen. Da werden die Spiegel der Anlagen schnell blind. Und wo wollen sie das Wasser hernehmen, um die solarthermischen Anlagen zu kühlen? Außer Marokko und Jordanien ist keines dieser Länder politisch stabil. Und beim Leitungsbau wird man die Erfahrung machen, die man in jedem technischen Großprojekt macht: dass es viel teurer wird als geplant.

Aber bräuchten die afrikanischen Länder nicht jemanden, der die Entwicklung anstößt?

Und da meinen Sie, das klappt, wenn es jetzt deutsche Konzerne mit ihrer Gewinnerwartung von 15% machen? Die können ja da unten investieren: Aber ich werde mich nicht als politische Triebkraft hinter dieses politische Konzept stellen, wie es die Grünen tun.

Fell: Schauen wir uns mal den Status quo an. Es gibt aus diesen Ländern keine nennenswerten Eigeninitiativen und wenn, dann werden sie sehr schnell blockiert: von den Interessen der Öl- und Gaswirtschaft, durch Frankreichs Atomwirtschaft, aber auch durch fehlende Technikkenntnisse und Kapitalmangel.

Herr Scheer, welche Rolle billigen Sie den großen Konzernen in der Welt der Erneuerbaren überhaupt zu?

Scheer: Mir fehlt das Zutrauen, dass die Blockierer in Deutschland die Eisbrecher der Erneuerbaren in Nordafrika sein könnten. Die steigen nur ein, wenn es in ihre Strukturen passt oder um Projekte für andere Investoren zu blockieren. Sie schinden Zeit. Und wir sollten Zeit gewinnen, nicht verlieren.

Fell: Ich hätte den Satz mit den Blockierern und den Eisbrechern noch vor wenigen Jahren bedingungslos unterschrieben. Aber ich sehe Entwicklungen, die die Blockierer zu neuen Aktionen zwingen. Wenn sie das nämlich nicht tun, werden sie den Weg von General Motors gehen: schnell und tief in die Insolvenz. Einfach deswegen, weil die erneuerbaren Energien keine Brennstoffkosten haben und immer
mehr Kunden ihren Strom selber erzeugen, statt ihn zu kaufen. Das System der großen fossilen Kraftwerke wird in einigen Jahren kippen. Und dann will ich nicht erleben, dass wie jetzt bei Opel dann bei E.On Arbeitsplätze um jeden Preis und ohne Blick auf die Technologien gerettet werden. Desertec zeigt doch gerade, dass die Konzerne die Not spüren. Sonst hätten sie ähnliche Konzepte schon vor zehn Jahren unterstützt.

Was sagen Sie dazu, dass der ehemalige Grüne Übervater Joschka Fischer bei Desertec als Repräsentant im Gespräch ist?

Scheer: Mir ist Joschka Fischer nicht als großer Stratege für erneuerbare Energien bekannt.

Herr Fell, halten Sie es für technisch vorstellbar, Strom zu Kosten von 20—25 Cent aus Afrika zu liefern?

Fell: Allein mit solarthermischen Kraftwerken nicht. Aber Desertec ist kein ausschließlich solarthermisches Projekt mit Spiegelkraftwerken. Die Photovoltaik mit Halbleitertechnik ist im Spiel, auch die Windenergie und selbst die Geothermie. Technisch ist Desertec ja durchaus anspruchsvoll: Die solarthermischen Kraftwerke muss man vor Sandstürmen schützen. Und um die permanenten Sandverwehungen in einigen Teilen der Wüste zu vermeiden, muss man die richtigen Standorte auswählen. Aber das ist lösbar. Auch der Leitungsbau ist machbar. In China hat es nur drei Jahre gedauert, die neue verlustarme Hochspannungsleitung auf Gleichstrombasis vom Drei- Schluchten-Staudamm nach Shanghai zu bauen.

Scheer: So was testet man aber nicht in einem 400-Milliarden-Euro-Projekt! So eine Technik muss von unten wachsen. Und Spanien, Italien, Frankreich sind nicht China. Zu denken, dass die Bevölkerung dasteht und jubelt: Hurra, jetzt kommen die Stromleitungen aus Afrika für Mittel- und Nordeuropa!, das ist eine Bilderbuchvorstellung. Ich halte Fell einfach vor, dass er die Chancen überbewertet und die Strategie der Energiemonopole unterschätzt.

Fell: Ich denke, dass Scheer die Chancen nicht erkennt. Damit kommt eine gute Technik nicht zum Zug. Die Spiegelkraftwerke werden bald in Kalifornien, China und anderswo aufgebaut. Und auch Desertec wird nicht mit einem Schlag 15% des europäischen Stroms bereitstellen. Da werden erst einige Wind- und Solarkraftwerke in Marokko gebaut. Dazu wird man die Leitungen über Gibraltar nutzen, die es gibt und die heute nicht ausgelastet sind. Dann wird man das verstärken und vielleicht eine Leitung über Sizilien bauen.

Scheer: Desertec verspricht — und dafür wird der Mund wässrig gemacht —, dass es bis 2020 schon mal 3% der europäischen Stromversorgung bereitstellen will. Das sind 80 Milliarden Kilowattstunden. Aber bis 2020 werden keine Leitungen über 3000 Kilometer gebaut, die so etwas tragen können. Selbst wenn man sich noch so anstrengt.

Fell: Wenn ein Drittel dieser Energie nach Italien fließt, kann Italien sich von der französischen Atomkraft abschalten. Da muss niemand lange Leitungen über die Alpen oder die Pyrenäen legen.

Scheer: Die italienische Regierung und Desertec-Befürworter Enel sind im Moment in Verhandlungen mit Frankreich, um von dort Atomkraftwerke zu importieren. Und die französische Regierung strebt Atomkraftwerke in Libyen an. Das ist doch der Ort, wo im Moment die Musik spielt. Desertec ist nur eine Ablenkung.

Fell: Die italienische Atomlobby beginnt bereits gegen Desertec zu schießen, weil sie um ihre Kraftwerksträume fürchtet. Um Atomkraftwerke zu verhindern, braucht man eben auch Solarstrom aus Afrika.

Scheer: Aber nicht mit denselben Leuten, die gleichzeitig Atomanlagen bauen. Das ist ein Pakt mit dem Teufel. Die Stromleitungen für Desertec können auch Atomstrom liefern.


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