SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2009, Seite 13

Der Senat ist nackt

Berliner Verfassungsgericht erklärt Wasservolksbegehren für zulässig

von Benedict Ugarte Chacón

Der Berliner Landesverfassungsgerichtshof hat das vom Senat ausgesprochene Verbot für das Volksbegehren „Schluss mit Geheimverträgen — Wir Berliner wollen unser Wasser zurück!” aufgehoben.
Der rot-rote Senat brüstete sich in den letzten Jahren immer wieder mit seiner angeblichen Bürgerfreundlichkeit, die er mit der Herabsetzung der Hürden für Volksbeghren und Volksentscheide geschaffen habe. Doch die Änderung der Formalitäten führt noch längst nicht zu einem tatsächlich bürgerfreundlichen Verhalten, wie die Initiatoren einiger Volksbegehren in den letzten Jahren erfahren mussten.
So auch die Bürgerinitiative Berliner Wassertisch. Diese hatte im Februar 2008 über 36.000 Unterschriften zur Einleitung eines Volksbegehrens gesammelt und dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine Offenlegung der Verträge zwischen dem Land Berlin und den privaten Anteilseignern der seit 1999 teilprivatisierten Berliner Wasserbetriebe vorsieht. Die Initiative sieht in den geheimen Verträgen u.a. einen Grund dafür, dass die Berliner mit die höchsten Wasserpreise in Deutschland zu zahlen haben, was lediglich die Rendite der privaten Anteilseigner füttert.
Da der Senat und die ihn tragenden Parteien SPD und LINKE mit Volksgesetzgebung meist nur dann zu tun haben wollen, wenn diese nicht in ihre Politik eingreift, erklärte der Senat das Volksbegehren einfach für unzulässig. Er begründete dies damit, dass der von der Initiative vorgelegte Gesetzentwurf gegen diverse Rechtsvorschriften verstoßen könnte.
Das Landesverfassungsgericht stellte nun am 6.Oktober klar, dass Volksgesetzgebung und Parlamentsgesetzgebung prinzipiell gleich zu behandeln sind. Dem Senat ist es also nicht erlaubt, im stillen Kämmerlein eine Präventivkontrolle vorzunehmen und dann ein Volksbegehren ggf. abzulehnen. Für das Handeln des Senats beim Wasservolksbegehren bestand laut Verfassungsgericht keine rechtliche Grundlage.
Mit der jetzigen Entscheidung wird der Senat gezwungen, auch mit ihm nicht genehmen außerparlamentarischen Gesetzentwürfen in einem geordneten Verfahren umzugehen, genauso, wie er es mit Gesetzentwürfen aus dem Abgeordnetenhauses auch tun muss. Die demokratisch fragwürdige Selbstherrlichkeit des Senats und seiner externen Rechtsberater hat damit einen längst notwendigen Dämpfer erhalten.
Richtig peinlich ist das Urteil zudem für die Führungsriege der Berliner LINKEN. Diese hatte versucht, wie bei anderen Volksbegehren auch, die Initiatoren als ahnungslose Dilettanten darzustellen. So begrüßte der Landesvorsitzende Klaus Lederer die verfassungswidrige Entscheidung des Senats, das Volksbegehren abzuwürgen, mit den Worten: „Wer ein politisch sinnvolles und unterstützenswertes Anliegen vertritt, sollte nicht die Augen vor der Rechtslage verschließen."
Nun wurde Lederer eines Besseren belehrt und markiert die beleidigte Leberwurst. Das Urteil des Verfassungsgerichts kommentiert er lapidar, direkte Demokratie sei eben nicht ohne Konflikte zu haben.
Diese Einschätzung Lederers offenbart den Kardinalfehler in der Strategie der Berliner LINKEN. Anstatt fortschrittliche Bürgerinitiativen als Partner zu sehen, bleiben sie für die Führung der LINKEN immer nur bedrohliche Störenfriede, die gesellschaftliche Konflikte an die bieder gedeckte rot-rote Kaffeetafel tragen. Dass die Basis dieser Partei, die in Teilen stets offene Ohren für die Anliegen von Bürgerinitiativen hat, sich dieses Schauspiel ihrer Parteiführung seit Jahren bieten lässt, ist ein anderes Thema.
Eine Nagelprobe für die Berliner LINKE könnte der Umgang mit den nächsten beiden Stufen des Wasservolksbegehrens sein. Denn diese fallen in den Berliner Vorwahlkampf und dann wird sich schon weisen, ob die Berliner LINKE auf ihrer langweiligen Politikverwaltung beharrt oder wirklich mal den Mut bekommt, politisch und vor allem links zu wirken.
Für den Berliner Wassertisch bedeutet das Urteil, dass er in den nächsten Monaten mit der Sammlung der für die zweite Stufe der Volksgesetzgebung notwendigen 170.000 Unterschriften loslegen kann. Ob dies gelingt, wird vor allem davon abhängig sein, ob die Initiative starke Verbündete gewinnen kann und ob sich das teilweise schrill hervortretende Personal des Wassertischs als zu Allianzen tauglich erweist.
In der Vergangenheit wurden rund um das Wasservolksbegehren und die gleichzeitig gestarteten (mittlerweile eingestellten) Volksbegehren zur Berliner Sparkasse und gegen die Studiengebühren „szeneintern” einige Konflikte über das teilweise unüberlegte Vorpreschen einzelner Aktivisten ausgetragen. Wenn das Wasservolksbegehren erfolgreich in die zweite und dritte Stufe geführt werden soll, ist vor allem hier ein Feld gegeben, das nur kollektiv bestellt werden kann.
Doch selbst wenn es dem Wassertisch gelingt, seinen Gesetzentwurf letztlich per Volksentscheid durchzusetzen, ist noch nicht gesagt, dass dieser auch als Gesetz Bestand haben wird. Denn allgemein verweist das Verfassungsgericht darauf, dass ein durch Volksentscheid zustande gekommenes Gesetz immer noch vom Verfassungsgericht für nichtig erklärt oder vom Abgeordnetenhaus geändert werden kann.
Doch schon allein die Bloßstellung des Senats vor dem Landesverfassungsgericht ist ein Erfolg für den Berliner Wassertisch, den dieser für die Berliner Demokratie erkämpft hat — und diesen Erfolg kann ihm keiner mehr nehmen.


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