SoZ - Sozialistische Zeitung |
Je mehr der real existierende Kapitalismus
Fragen nach Alternativen aufwirft, desto hysterischer wird es zum
Pflichtprogramm, die DDR zu verteufeln. Jubiläen sind da besonders
geeignet. Dabei geht es, wie schon vor dem Mauerfall bundesstaatlich
verordnet, nicht so sehr gegen die Schwestern und Brüder im Osten, als
vielmehr gegen „das System” Geschichte stellt sich als Problem
der Gegenwart. Dabei sind bei allen subjektiven Erinnerungen historische
Tatsachen aufzuarbeiten — und zwar vom Anfang der DDR.
Sofort nach Kriegsende wurden in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ)
alle Gliederungen des faschistischen Staatsapparats, Medien und
Organisationen aufgelöst und verboten. Grundlage waren das Potsdamer
Abkommen und Rechtsakte der sowjetischen Militäradministration (SMAD),
ab Oktober 1945 auch Gesetze der neuen Landesverwaltungen in ostdeutschen
Provinzen.
In ihnen
hatten Antifaschisten, die aus Konzentrationslagern, Zuchthäusern und
aus der Emigration zurückkehrten, Kommunisten und Sozialdemokraten den
bestimmenden Einfluss. Letztlich entschieden die örtlichen
sowjetischen Kommandanturen über ihre Zusammensetzung.
Vorausgegangen war am 11.6.1945 der „Aufruf der KPD an das deutsche
Volk”, in dem die Partei ihre Konzeption für einen
antifaschistisch-demokratischen Neuanfang darlegte. Der SPD-
Zentralausschuss unter Vorsitz von Otto Grotewohl stimmte dem zu und am
19.6.1945 verabschiedeten beide Parteien ein gemeinsames Aktionsprogramm
zur Durchsetzung dieser Ziele. Die ersten Verwaltungen wurden von
örtlichen Aktionsausschüssen beider Arbeiterparteien, von
Entnazifizierungskommissionen, Antifa-Ausschüssen, kommunalen
Beiräten, neu gebildeten Einwohnervertretungen und anderen Formen der
Selbstorganisation aus der Bevölkerung unterstützt.
Getragen
von einer vielschichtigen Massenbewegung wurde 1945 in Sachsen der
Volksentscheid zur Enteignung von Nazi- und Kriegsverbrechern
durchgeführt, an dem ca. 94% der Stimmberechtigten teilnahmen; 77,6%
stimmten für die Überführung von Betrieben — u.a. von
Flick und Siemens — in Volkseigentum.
"Aktivisten der ersten Stunde”, Gewerkschafter, gewählte
Betriebsräte, Vertreter auch der zugelassenen bürgerlichen
Parteien und loyale Fachleute entschieden in Sequesterkommissionen bei den
Verwaltungen über beschlagnahmte und unter zeitweiliger
Zwangsverwaltung stehende Betriebe oder wurden als Treuhänder
eingesetzt.
Bekanntlich
haben die westlichen Besatzungsmächte die Umsetzung eines ähnlich
manifestierten Volkswillens in ihren Zonen gemeinsam mit den alten
Herrschaften verhindert. Die sowjetische Administration hat sie
ermöglicht und ihre Durchsetzung gesichert, und dies nicht gegen den
Willen der Bevölkerung und nicht ohne schöpferisches Tun aus
ihrer Mitte.
Durch die Bodenreform im Herbst 1945 wurden Junker, Kriegsverbrecher und
Großgrundbesitzer mit über 100 Hektar Land und dazugehörigem
Inventar enteignet; landlose und landarme Bauern, Landarbeiter und
Umsiedler erhielten daraus Ackerland, Wiesen und Wälder schuldenfrei
übereignet.
Diese
gesellschaftliche Umwälzung auf dem Lande wurde von
Bodenreformkommissionen durchgeführt. In ihnen arbeiteten in
Gemeinden, Kreisen und Provinzen über 50.000 in Gemeindeversammlungen
gewählte Frauen und Männer. Die Gemeindekommissionen bereiteten
jeweils die Pläne über die Bodenverteilung vor, die sichtbar
ausgelegt werden mussten und von einer Dorfversammlung zu beraten waren.
Vorschläge der Kommissionen, wer wo wie viel Land bekommen sollte,
wurden in öffentlicher Abstimmung mit einfacher Mehrheit beschlossen
und erhielten nach Bestätigung durch die Kreiskommissionen
Rechtskraft.
Die
Kommissionen waren faktisch demokratische gesellschaftlich-staatliche
Machtorgane. Es war eine neue Eigentumsform und ihre rechtliche Gestaltung
geschaffen worden: Arbeitseigentum der Bauern mit dem Recht, sich die
eigenen Arbeitsergebnisse anzueignen, und mit dem gesetzlichen Verbot, die
Wirtschaften zu teilen, zu verkaufen, zu verpachten oder zu
verpfänden. Mit dem staatlichen Eingriff in das Verfügungsrecht
der Eigentümer wurden das Wiedererstehen kapitalistischen
Grundeigentums und die Gefahr der Bodenspekulation und Verschuldung der
Klein- und Mittelbauern verhindert.
Um die
Bodenreform produktiv zu machen, schufen sich die Bauern mit der
Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) eine Massenorganisation,
die mit landwirtschaftlichem Gerät, Saatgut, Reparaturkapazität,
aber auch mit Kreditvergabe und bei der Verarbeitung landwirtschaftlicher
Produkte half.
Die neu
geschaffenen staatlichen Verwaltungen von den Provinzen bis zu den
Gemeinden waren beschlussfassende und ausführende Organe zugleich.
Etwa die Hälfte der Frauen und Männer kamen aus der
Arbeiterklasse. Sie trugen zu der Zeit zur Mobilisierung und
Selbstorganisation der Bevölkerung bei, deren Organe zum Teil selbst
staatliche Entscheidungsbefugnisse wahrnahmen bzw. vorbereiteten.
Im Herbst
1946 wurden erstmals in der SBZ Gemeinde- und
Stadtverordnetenversammlungen, Kreis- und Landtage gewählt. Mit dem
Faschismus liierte Personen waren ausgeschlossen. Die Abgeordneten waren
ihren Wählern rechenschaftspflichtig und abberufbar.
Mit diesen
bürgerlich-demokratischen und antifaschistisch- antiimperialistischen
ökonomischen und politischen revolutionären Umwälzungen
waren erste Voraussetzungen für eine demokratisch-sozialistische
Entwicklung geschaffen worden. Das war ein historisch berechtigter Versuch.
Richter und Staatsanwälte, die zu ca. 80% der NSDAP angehört
hatten, ebenso Lehrer und Hochschullehrer, wurden entlassen. An deren
Stelle traten mit heißem Herzen und ohne Gesetzbuch und Studium
Hunderttausende Arbeiter aus Betrieben und aus der Landwirtschaft,
Antifaschisten, junge Leute, die nur Krieg und Gefangenschaft oder
Umsiedlung kannten. In Kurzlehrgängen wurden sie
„Volksrichter” und „Neulehrer”
Es wurden
Arbeiter- und Bauernfakultäten geschaffen, auf denen die
Hochschulreife erlangt wurde. Das bürgerliche Bildungsprivileg wurde
in jenen Jahren bei Hunger und Kälte, unter Häme und Verachtung
der „Habenichtse” gebrochen. In Fernstudien- und Nachtarbeit
haben sie ihre Fachqualifikationen erworben.
Die
amerikanische Rechtshistorikerin Inga Markovits schreibt in ihrer
Ostdeutschen Rechtsgeschichte (2006) von einer „heroischen Zeit, die
unter großen Anstrengungen versuchte, die Welt zu
verändern” Gemeinsam mit Vertretern aus den Westzonen arbeiteten
Bürgerinnen und Bürger aller Bevölkerungsschichten in der
Volkskongressbewegung für ein demokratisches friedliebendes
Gesamtdeutschland. Aus ihr ging nach der Gründung der BRD im Mai 1949
im Oktober die Konstituierung der DDR mit einer Provisorischen Volkskammer
hervor. In ihr waren neben den im „Demokratischen Block”
zusammen geschlossenen sechs politischen Parteien auch der
Gewerkschaftsbund und weitere Organisationen selbstständig vertreten.
Dass sich die da unten denen da oben entzogen hatten, wurde der DDR von
der ersten Stunde bis heute nicht verziehen. In systematischen groß
angelegten Terror-, Sabotage-, Spekulations-, Abwerbungskampagnen von
qualifizierten Fachleuten und staatlich verordneten Handelsblockaden der
BRD wurden auch im Innern bezahlte Handlanger der alten Herren aktiv. Das
Radio im amerikanischen Sektor (RIAS) u.a. verbreiteten Angst und Schrecken
und riefen mit der erklärten „Alleinvertretung aller
Deutschen” zu Widerstand und Aufstand im Osten auf.
Inzwischen
hatte der amerikanische Präsident Dulles verkündet, dass der
Westen nicht eher ruhen werde, „bis den Völkern Osteuropas die
Freiheit wiedergegeben” sei, und dabei hätte Westdeutschland
eine ganz besondere Funktion gegenüber Ostdeutschland zu
erfüllen. Die Eliten der BRD nahmen sich ausdrücklich dieser
Sache an.
Willy
Brandt z.B. sah die Aufgabe Westberlins darin, die Festigung der DDR
„so sehr wie möglich zu erschweren” Ein eigens
geschaffenes „Ministerium für gesamtdeutsche Fragen”
organisierte und koordinierte die konterrevolutionären
Aktivitäten. Im Juli 1952 wusste Der Spiegel, dass „der
Generalstabsplan für die administrative Machtübernahme” der
DDR so gut wie fertig war. Es würde nur noch die Gelegenheit fehlen,
ihn in der Praxis anzuwenden.
Diese Gelegenheit ergab sich aus vielerlei Gründen, die u.a. mit
dem 1952 verkündeten Aufbau des Sozialismus in der DDR zusammen
hingen. Mit diesem Beschluss reagierte die SED auch auf die
Remilitarisierung der BRD und ihren Beitritt zur EVG. Der Aufbau einer
Schwer- und Grundstoffindustrie im östlichen Deutschland wurde fortan
als vorrangig gesehen und verschlang finanzielle Mittel und
Arbeitskräfte. Hinzu kamen die Reparationen an die Sowjetunion.
Die
Konsumgüterproduktion wurde rückläufig. In dieser Situation
hat die SED-Parteispitze über den Ministerrat administrativ
„durchgestellt”, dass die Arbeitsnormen in vielen
Industriezweigen hochgesetzt wurden, dass zusätzliche
Lebensmittelkarten für Schwerarbeiter, Vergünstigungen bei
Bahnfahrten, Unterstützungen von Klein- und Mittelbetrieben,
Händlern und Bauern reduziert oder gestrichen wurden. Großbauern
wurden mit Abgaben- und Steuerpolitik zur Verzweiflung getrieben.
Die
Arbeiter- und Bauernjustiz und die gewählten Schöffen aus dem
Volk gingen z.T. mit unglaublicher Härte, langen
Gefängnisstrafen, fehlender Verteidigungsmöglichkeit auch gegen
„kleine Leute” vor, die sich bei überall herrschendem
Mangel einen Vorteil auf Kosten der Gesellschaft sichern wollten. Sie waren
vielfach zu Feinden des Sozialismus erklärt worden. So flüchteten
auch deshalb viele Menschen in das andere, unter dem Marshallplan schnell
erblühte, Deutschland.
Musste die
soziale Basis beim Hinüberwachsen von antifaschistischen und
antiimperialistischen zu sozialistischen Umwälzungen kleiner werden?
Wieviel davon war der notwendigen Entwicklung der Produktivkräfte im
wirtschaftlich unterentwickelten Teil einer Nation unter dem Trommelfeuer
des so starken Klassengegners mit seinem Staat geschuldet? Ist Brechts
Gedanke, dass die Schaffung einer Grundlage für Demokratie in den
seltensten Fällen auf demokratische Weise erfolgen könne,
relevant?
Unverkennbar aber auch: Von der KPdSU übernommene oder aufgezwungene
Praktiken einer „führenden Rolle der Partei” und eines
„demokratischen Zentralismus” in der SED und im Staatsapparat
hatten dazu geführt, dass ein immer weniger von unten beeinflussbarer
Apparat sich anmaßte, die Interessen der Bevölkerung ohne deren
tatsächliche kritische Mitwirkung zu bestimmen.
Dem lag
u.a. die Irrlehre von der „gesetzmäßigen”
Interessenübereinstimmung von Staat und Werktätigen infolge des
Volkseigentums zugrunde. Sie ging vielfach einher mit weniger Achtung vor
dem einzelnen Menschen, als vor einer „historischen Mission der
Arbeiterklasse”, aber auch mit verhängnisvollen Irrtümern
über „den neuen Menschen”
So wurde
die eben geborene Demokratieschon wieder eingeschränkt in einem
seltsamen Geflecht von seelenloser Bürokratie und Unterdrückung
von Kritik an „der Parteilinie"; eingeschränkt auch durch
Autoritätsglauben und Unterwürfigkeit. Dies alles geschah
gleichzeitig mit so viel menschlicher Schöpferkraft, zupackendem
Idealismus und vielfach beginnender neuer Mitmenschlichkeit!
Jedenfalls
wurden am 9. und 11.Juni 1953 von der engsten Parteispitze und dem
Ministerrat mit einer „Politik des neuen Kurses” viele der
offensichtlichen Fehler öffentlich korrigiert. Dennoch gingen am
17.Juni in Berlin und anderswo Arbeitermassen gegen die Regierungspolitik
auf die Straße, angefeuert vom RIAS und tatkräftig
unterstützt von Westberlin. Das war eine einschneidende Zäsur.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |