SoZ - Sozialistische Zeitung |
Der israelisch-palästinensische Konflikt
wird international zum Ausgangspunkt für vielfältige Analysen und
Überlegungen zu Macht und Kontrolle genommen, zu Widerstand und
alternativer politischer Praxis, die weit über die Region hinaus
bedeutsam sind und wirken. Das israelische Besatzungsregime, das mehr ist
und anderes als nur die längste militärische Besatzung der
Moderne, scheint ein Modell und ein Vorreiter für aktuelle
Herrschaftsstrategien und -methoden weltweit zu sein. Das wird bei der
Lektüre von Eyal Weizmans Standardwerk über „Israels
Architektur der Besatzung” deutlich, das jetzt auf Deutsch erschienen
ist.
Weizman
geht detailliert und anschaulich auf Israel/Palästina ein, indem er
die räumlichen Strategien der Besatzung der palästinensischen
Gebiete seit 1967 aus interdisziplinärer Perspektive untersucht und
zeigt, dass die israelische Besatzung oder das israelische Regime eine
vielschichtige Durchdringung des Territoriums und der Sphären des
Alltäglichen ist. In einem Kapitel über die Siedlungen zitiert er
einen anonymen Palästinenser: „Ich schaue aus dem Fenster und
sehe den Tod, wie er näherrückt."
Die
vielfältigen Vorstöße, das Land zu besetzen, zu
fragmentieren, auszunutzen, wieder zusammenzufügen, aufzubauen und
erneut zu bombardieren, hinterlassen eine immer weniger bewohnbare
Landschaft: Hochstraßen „nur für Israelis” über
unsichtbaren palästinensischen Dörfern, in die man durch Tunnel
gelangt, Überlagerungen und Schichten — auch rechtlich,
kulturell und politisch — bilden das neokoloniale System der
Kontrolle, der Ausblendung und Negation des — allzu nahen —
Anderen. Die Mauer, die sich in Serpentinen in die Westbank frisst,
schildert Weizman als eine Maßnahme — einerseits zur Separation,
Enteignung, weiteren Entrechtung und Vertreibung, andererseits zur
Kolonialisierung, Eroberung und Ermächtigung, die letztlich die
„unmögliche Politik der Trennung” offenbart und nicht zwei
klar voneinander abgegrenzte Territorien für zwei Staaten schafft,
sondern Grenzarchipele aus extraterritorialen Inseln, Ein- und
Ausschließungen.
Das alles
findet auf einem vergleichsweise kleinen Gebiet statt und macht es
möglich, dass vollkommen getrennte Welten zugleich doch engstens
miteinander verzahnt sind. Die Grenzen sind nicht fest, sondern beweglich,
und das macht wahrscheinlich ein Moment des Modernen dieser Form der
Herrschaft aus. Denn, wie Eyal Weizman deutlich macht, gibt es keinen
umfassenden „Plan”, der „implementiert” würde.
Vielmehr wirken unterschiedlichste Akteure zusammen, die sich z.T. schroff
gegeneinander positionieren — Militärs, Politiker, Planer und
Siedler, der Oberste Israelische Gerichtshof, die internationalen
Hilfsorganisationen bis hin zur Palästinensischen
Autonomiebehörde, zu Widerstandskämpfern und
Menschenrechtsgruppen.
Er zeigt,
wie sich in dieser ständigen asymmetrischen Auseinandersetzung
verschiedene Kräfteverhältnisse und Fakten vor Ort, verschiedene
aufeinander reagierende Strategien und komplementäre Realitäten
herausbilden — die zusammen die Landschaft der Besatzung permanent
umformen.
Der
deutschen Fassung ist ein aktuelles Kapitel „Rechtskrieg in Gaza
— Der gesetzgebende Angriff” hinzugefügt, das sich auf die
Angriffe zur Jahreswende 2008/09 und ihre gründliche Vorbereitung
durch Spezialisten des Internationalen Rechts bezieht, die das israelische
Militär darin berieten, wie sie ihr Vorgehen gegen die
palästinensische Bevölkerung so gestalten könnten, dass es
juristisch unangreifbar wird — schließlich ist Israel kein
Schurkenstaat. Darüber hinaus geht es aber auch darum, dass „der
kriegerischen Gewalt ... ein rechtsetzender Charakter” innewohnt.
Die
Stärke von Weizman ist sein präzises Ausleuchten von Prozessen,
das mehr offenbart als jedes moralisierende Herangehen an die sehr
spezifische und doch in weltweite Entwicklungen eingebundene israelisch-
palästinensische Realität.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |