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SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2009, Seite 21

Eyal Weizman: Sperrzonen.

Israels Architektur der Besatzung, Hamburg: Edition Nautilus, 2009, 352 S., 24,90 Euro

von Sophia Deeg

Der israelisch-palästinensische Konflikt wird international zum Ausgangspunkt für vielfältige Analysen und Überlegungen zu Macht und Kontrolle genommen, zu Widerstand und alternativer politischer Praxis, die weit über die Region hinaus bedeutsam sind und wirken. Das israelische Besatzungsregime, das mehr ist und anderes als nur die längste militärische Besatzung der Moderne, scheint ein Modell und ein Vorreiter für aktuelle Herrschaftsstrategien und -methoden weltweit zu sein. Das wird bei der Lektüre von Eyal Weizmans Standardwerk über „Israels Architektur der Besatzung” deutlich, das jetzt auf Deutsch erschienen ist.
Weizman geht detailliert und anschaulich auf Israel/Palästina ein, indem er die räumlichen Strategien der Besatzung der palästinensischen Gebiete seit 1967 aus interdisziplinärer Perspektive untersucht und zeigt, dass die israelische Besatzung oder das israelische Regime eine vielschichtige Durchdringung des Territoriums und der Sphären des Alltäglichen ist. In einem Kapitel über die Siedlungen zitiert er einen anonymen Palästinenser: „Ich schaue aus dem Fenster und sehe den Tod, wie er näherrückt."
Die vielfältigen Vorstöße, das Land zu besetzen, zu fragmentieren, auszunutzen, wieder zusammenzufügen, aufzubauen und erneut zu bombardieren, hinterlassen eine immer weniger bewohnbare Landschaft: Hochstraßen „nur für Israelis” über unsichtbaren palästinensischen Dörfern, in die man durch Tunnel gelangt, Überlagerungen und Schichten — auch rechtlich, kulturell und politisch — bilden das neokoloniale System der Kontrolle, der Ausblendung und Negation des — allzu nahen — Anderen. Die Mauer, die sich in Serpentinen in die Westbank frisst, schildert Weizman als eine Maßnahme — einerseits zur Separation, Enteignung, weiteren Entrechtung und Vertreibung, andererseits zur Kolonialisierung, Eroberung und Ermächtigung, die letztlich die „unmögliche Politik der Trennung” offenbart und nicht zwei klar voneinander abgegrenzte Territorien für zwei Staaten schafft, sondern Grenzarchipele aus extraterritorialen Inseln, Ein- und Ausschließungen.
Das alles findet auf einem vergleichsweise kleinen Gebiet statt und macht es möglich, dass vollkommen getrennte Welten zugleich doch engstens miteinander verzahnt sind. Die Grenzen sind nicht fest, sondern beweglich, und das macht wahrscheinlich ein Moment des Modernen dieser Form der Herrschaft aus. Denn, wie Eyal Weizman deutlich macht, gibt es keinen umfassenden „Plan”, der „implementiert” würde. Vielmehr wirken unterschiedlichste Akteure zusammen, die sich z.T. schroff gegeneinander positionieren — Militärs, Politiker, Planer und Siedler, der Oberste Israelische Gerichtshof, die internationalen Hilfsorganisationen bis hin zur Palästinensischen Autonomiebehörde, zu Widerstandskämpfern und Menschenrechtsgruppen.
Er zeigt, wie sich in dieser ständigen asymmetrischen Auseinandersetzung verschiedene Kräfteverhältnisse und Fakten vor Ort, verschiedene aufeinander reagierende Strategien und komplementäre Realitäten herausbilden — die zusammen die Landschaft der Besatzung permanent umformen.
Der deutschen Fassung ist ein aktuelles Kapitel „Rechtskrieg in Gaza — Der gesetzgebende Angriff” hinzugefügt, das sich auf die Angriffe zur Jahreswende 2008/09 und ihre gründliche Vorbereitung durch Spezialisten des Internationalen Rechts bezieht, die das israelische Militär darin berieten, wie sie ihr Vorgehen gegen die palästinensische Bevölkerung so gestalten könnten, dass es juristisch unangreifbar wird — schließlich ist Israel kein Schurkenstaat. Darüber hinaus geht es aber auch darum, dass „der kriegerischen Gewalt ... ein rechtsetzender Charakter” innewohnt.
Die Stärke von Weizman ist sein präzises Ausleuchten von Prozessen, das mehr offenbart als jedes moralisierende Herangehen an die sehr spezifische und doch in weltweite Entwicklungen eingebundene israelisch- palästinensische Realität.

Eyal Weizman ist Architekt und Direktor des Center for Research Architecture am Goldsmiths College (Universität London). Er arbeitet mit verschiedenen NGOs und Menschenrechtsgruppen in Israel-Palästina zusammen und ist seit 2008 Vorstandsmitglied von B‘Tselem. Er veröffentlichte bisher u.a. A Civilian Occupation und die Serie Territories. 2007 erhielt er den James Stirling Memorial Lecture Prize.


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