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Es reicht ihnen nicht. Es genügt ihnen
nicht, dass der so widersprüchliche wie lebendige Versuch zur
Reformierung des Landes DDR am Ende resigniert im bürgerlichen
Normalzustand gelandet ist, dass der Beitritt zum Geltungsbereich des
Grundgesetzes objektiv das zentrale Ergebnis des politischen Aufbruchs im
Herbst 89 in der DDR gewesen ist. Staat und Kapital wollen nicht nur
gewonnen, sie wollen auch noch Recht gehabt haben. Deshalb der Aufwand zum
9.November.
Dabei
mussten drei Stolpersteine geschickt umgangen werden. Erstens ist da das
Problem, dass bis in ferne Zukunft von einer Angleichung der
Lebensverhältnisse in Ost und West keine Rede sein kann. Zweitens war
die deutsche Einheit gerade nicht das Ziel der Protagonisten des Aufbruchs
89, sondern markiert umgekehrt das einstweilige Ende ihrer
Hoffnungen. Und drittens fällt der Tag des Mauerfalls ausgerechnet auf
ein Datum, das die umstandslose Vereinnahmung als Nationalfeiertag nicht
zulässt. Anders als die Revolution von 1918 lässt sich der Tag
des Novemberpogroms 1938 nicht einfach in den Hintergrund drängen.
Schon vor
Jahren hatte die Bundesstiftung für die Aufarbeitung der SED-Diktatur
ihre Förderschwerpunkte für die Jahre 2008 bis 2010 vorgestellt.
Darin verkündete sie ihre Konzentration auf „Projektvorhaben,
die besonders geeignet sind, die epochale historische Bedeutung der
friedlichen Revolution in der DDR und der Wiederherstellung der deutschen
Einheit zu stärken” Nachdem im Jahr 2004 viele Menschen in
Ostdeutschland ihren positiven Bezug auf den Herbst 1989 mit der
Wiederaufnahme von Montagsdemonstrationen deutlich gemacht hatten, sollte
nun das letzte Jahr der DDR endgültig in die Geschichte des deutschen
Nationalstaats zurückgeholt werden.
Mit solchem
Vorlauf von mehreren Jahren wurden die Feiern zum Mauerfall weit
gründlicher vorbereitet als das Ereignis selbst. Auch wenn man heute
gerne so tut, als habe man den Zusammenbruch der Diktatur im Osten schon
immer vorhergesehen — im Herbst 87 war es wohl anders. Sonst
hätte die Bundesregierung damals dem Generalsekretär der SED und
Vorsitzenden des Staatsrats der DDR, Erich Honecker, die Ehrenformation der
Bundeswehr sicher verweigert. Hat sie aber nicht. Auch den Planungshorizont
imperialistischer Mächte sollte man nicht überschätzen. Erst
im Nachhinein sind alle schlauer.
Die
großen Schwierigkeiten einer offiziösen Geschichtsschreibung in
Zeiten wechselnder politischer Konjunkturen kennen wir aus dem
„sozialistischen Lager” nur zu gut. Schließlich sollte der
Kommunismus — d.h. die jeweilige Linie der Parteiführung —
stets als historische Notwendigkeit nachgewiesen werden. Ja nach aktueller
Lage war deshalb die Geschichte zu ändern, erschienen und verschwanden
Personen auf Fotografien und in historischen Darstellungen. Radio Jerewan
gab auf die Frage „Was ist schwerer vorauszusagen, die Vergangenheit
oder die Zukunft?” die weise Antwort: „Die Vergangenheit.
Unsere Zukunft ist sicher, die Vergangenheit aber ist unvorhersehbar."
Auch in den
heutigen Feierlichkeiten fehlt vieles. Vor allem fehlt, was 15 Jahre
später zu einer Neuauflage von Montagsdemonstrationen führen
konnte: die Erinnerung an einen Moment, als man es denen da oben mal so
richtig gezeigt hat. Diese Erfahrung, aber auch die Grenzen und
Widersprüche des „Kurzen Herbst der Utopie” haben wir
versucht, in einer Ausstellung der Stiftung Haus der Demokratie
zugänglich zu machen (www.hausderdemokratie.de/ herbstderutopie).
Darin
findet sich auch ein von Renate Hürtgen notierter Rückblick, der
ganz neue Perspektiven eröffnet: „Und ick würds wieder so
machen, ganz genauso. Und ick würd mich wieder an der falschen Stelle
aufräufeln, das heißt ja, an der richtigen, mit dem gleichen
Nichteffekt. Ich würde nichts anders machen, nee. Aber ick wär
doch am Ende schlauer” (Frau K., Arbeiterin in einem Ostberliner
Metallbetrieb, 89 Mitinitiatorin einer unabhängigen
Betriebsgruppe).
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