SoZ - Sozialistische Zeitung |
Es gab am 17.11., anlässlich des Internationalen
Studierendentags, nicht nur in Österreich Studentenproteste, sondern
auch weltweit. Wer hat das organisiert?
Eine solche „Globale Aktionswoche” gab es schon letzten
Frühling. Da wurden auch erste Versuche unternommen, das nicht nur
europaweit, sondern international aufzuziehen. Bei der jetzigen globalen
Protestwoche haben wir stark auf die Mobilisierunge und den Austausch
über das Internet zurückgegriffen, ein reales Treffen von
Vertretern der einzelnen Unis gab es bis jetzt noch nicht.
Organisieren das die Studentenverbände der verschiedenen
Länder?
Organisatorisch läuft viel auf nationaler Ebene. Es gibt eine
kleine Gruppe, die sich regelmäßig in Internetchats trifft und
sich darüber austauscht, was geplant ist und wie die Mobilisierung
läuft.
In welchen Ländern gab es Proteste?
In Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden
Hörsäle besetzt — das konnte man in mehreren Ländern
beobachten. Aktionen gab es aber auch in Polen, in Indonesien, in einer
ganzen Reihe von Ländern.
Die Proteste gehen ja weit über die EU hinaus, das kann also
nicht alles mit Bologna zusammenhängen. Wie erklärst du Dir die
Synchronisation der Studierendenproteste, das hat es ja seit Jahrzehnten
nicht mehr gegeben?
Das ist richtig. Eine positive Folge der Globalisierung ist, dass
Protestbewegungen immer stärker versuchen, international was auf die
Beine zu stellen. Man muss sich aber auch konkret anschauen, was die
Ursachen in den einzelnen Ländern sind. In den USA ist das relativ
offensichtlich, hier sind es hauptsächlich die Studentenkredite,
teilweise haben die Studierenden nach dem Studium bis zu 100000 Dollar
Schulden. Oder aber auch in diversen südostasiatischen Ländern,
wie Indonesien: Dort spielt auch die Frage eine Rolle, inwiefern Bildung
für alle Gesellschaftsschichten zugänglich ist. Abgesehen von den
unterschiedlichen Ursachen kann man jedoch gewisse synchrone Entwicklungen
beobachten, in manchen Ländern ist Bildung noch gar nicht als
demokratisches Grundrecht festgeschrieben. Es ist auf jeden Fall gelungen,
durch die Bewegungen der letzten Jahre, durch internationale Aktionstage
das Thema Bildung ins Blickfeld zu rücken, wenn es dafür auch
noch keine koordinierte internationale Basis gibt.
Ihr habt das in Österreich ein bisschen ins Rollen gebracht.
Wie kam es dazu?
Angefangen hat das vor fast vier Wochen. Am 20.Oktober, einem Dienstag,
wurde die Akademie der bildenden Künste besetzt. Konkret ging es da
darum, dass die Akademie in das dreigliedrige Bologna-System eingebunden
werden sollte. Dazu sollten das Rektorat und das Wissenschaftsministerium
eine Leistungsvereinbarung unterzeichnen. Um das abzuwenden, wurde die
Akademie besetzt, zum Teil auch mit Einverständnis des Rektors.
Aufgrund einer breiten Solidaritätsbewegung, angereichert durch den
angestautem Unmut über die Studienbedingungen, gab es zwei Tage danach
eine Demonstration, die spontan in der Hauptuniversität Wien endete.
Dort beschloss man, das Audimax, den grössten Hörsaal hier, zu
besetzen. Anfänglich war alles sehr unorganisiert, es war unklar, wie
lange das Ganze dauern würde. Noch dazu war das darauffolgende
Wochenende ein langes Wochenende [der 26.10. ist in Österreich
Staatsfeiertag]. Es wurde schnell klar, dass das etwas Längerfristiges
werden wird. Dann wurden Arbeitsgruppen gebildet, Pressemitteilungen
verfasst und diverse politische Fragen diskutiert. In einer Vollversammlung
wurden die politischen Grundlinien beschlossen. Es um konkrete Forderungen,
aber auch um taktische Perspektiven — wie zeigt man Präsenz auf
der Straße, welche Form von Aktionen möchte man machen, und
ähnliches. Die Besetzung war also durch und durch spontan entstanden,
weswegen anfangs unklar war, wie sich die offizielle Studierendenvertretung
dazu verhält.
Welche politischen Gruppen halten denn die Vertretung der
Studierenden?
Es gibt für alle Studenten Österreichs eine
Pflichtmitgliedschaft in der Österreichischen Hochschülerschaft
(ÖH). Die Bundesvertretung hat zur Zeit eine grüne Vorsitzende.
Von Anfang an wurde der Protest nicht von der ÖH kontrolliert, das ist
relativ einzigartig für einen Protest in Österreich. Die ÖH
hat sich aber im nachhinein solidarisch erklärt und auch finanzielle
Unterstützung gewährt — für Plakate, Flugblätter,
Demos...
Wie stark ist die Beteiligung? Macht die Mehrheit der Studenten
mit?
In den ersten zwei Wochen herrschte eine sehr breite Dynamik, die jetzt
langsam abnimmt. Nach wie vor gibt es sehr viele Diskussionen, in denen man
versucht, konkrete Probleme an den einzelnen Instituten zu analysieren. Die
Vollversammlungen sind nicht mehr so gut besucht wie anfangs, als rund 1500
Leute kamen. Der Architekt des Audimax war sogar um die statische
Sicherheit besorgt, als er die Berichte im Fernsehen gesehen hatte —
er bat uns, nicht mehr als 200 Leute auf die Galerie zu lassen. Derzeit
nehmen rund 300—500 Leuten an den Plena teil.
Das
Grundproblem ist meiner Meinung nach aber, dass man es in der dynamischen
Phase der Bewegung nicht geschafft hat, eine funktionierende bundesweite
Koordinationsstruktur aufzubauen. Es hat in mehreren Städten
Österreichs zwei Großdemonstrationen gegeben, in Wien nahmen
daran rund 20000 Menschen teil, also ein Viertel der Studierenden. Das ist
sehr viel. Es gab auch kleinere Aktionen, teils mit Unterstützung der
Lehrenden. Zum Beispiel wurden Lehrveranstaltungen als Kundgebung
angemeldet und in den öffentlichen Raum verlegt.
Haben sich alle Universtitäten beteiligt?
Nein. Es waren zwar Studierende aller Unis auf der Demonstration,
Besetzungen gab es aber nicht überall. In Wien ist zur Zeit noch die
Akademie der bildenen Künste, die Hauptuni, der Campus, die Technische
Universität und die Universität für Bodenkultur besetzt. Und
es gibt noch Aktionen in Innsbruck, Klagenfurt, Salzburg und Linz.
nWas sind
eure Hauptforderungen?
In
Österreich wurden vor einem Jahr die Studiengebühren abgeschafft,
jetzt denkt man über eine Wiedereinführung nach. Außerdem
argumentieren vor allem die Medien, dass durch den Zuzug deutscher
Studenten Zugangsbeschränkungen notwendig seien. Konkret versucht man,
durch K.o.-Prüfungen im 1.Semester die Zahl der Studierenden
einzudämmen. Ebenso wurden im Rahmen des Bologna-Systems die Bachelor-
Zugänge mit K.o.-Prüfungen versehen, und es gibt strenge Regeln
für den Masterstudiengang, die entscheiden, ob man einen Master machen
kann oder ob man an der Stelle durch den Rost fällt.
Diese
unmittelbaren Fragen werden mit allgemeinen Forderungen, wie mehr
Demokratie an den Universitäten, kombiniert. Daneben gibt es
praktische Forderungen, wie z.B. die Schaffung von behindertenfreundlichen
Zugängen an den Unis.
In Deutschland reagiert die Politik nach außen hin
verständnisvoll, bspw. soll die Zahl der möglichen Studienjahre
angehoben werden, und die Studenten sollen mehr Wahlmöglichkeit
erhalten. Ist das bei euch ähnlich?
Man muss trennen zwischen der Reaktion der Politik und der
Universitätsleitungen. Die Universitätsleitungen fahren eine
Doppelstrategie. Einerseits sind sie natürlich gegen die Besetzung
„ihrer Hörsäle”, andererseits versuchen sie, durch
die Protestbewegung mehr Geld für die Universitäten zu bekommen.
Denn wegen ihrer zunehmenden Finanzautonomie (ihre Festlegng auf
betriebswirtschaftliche Rechnungsprüfung) sind sie gezwungen, Gelder
für die Unis durch die Vergabe von Forschungsaufträgen an
Unternehmen einzuwerben. Dagegen protestieren wir natürlich.
An den Unis
weiß man also um die schlechten Zustände. Ein Beispiel: Der
Rektor der Wiener Wirtschaftsuniversität, Christoph Badelt, hat 1 Mrd.
Euro mehr für die Universitäten gefordert. Zum Vergleich: Die
österreichischen Universitäten haben ein Budget von 2,56 Mrd.
Euro. Die Unis fordern also wie wir mehr Geld, sind aber relativ
reserviert, was die Demokratisierung betrifft.
Von
politischer Seite reagierte zunächst nur Wissenschaftsmininister
Johannes Hahn von der ÖVP, er versuchte, die Proteste als spontane,
chaotische Aktion hinzustellen, bis er eingesehen hat, dass diese Bewegung
eine reale Grundlage hat. Er wollte uns dann mit 34 Mio. Euro abspeisen,
die aber eh im Haushalt eingeplant waren und Anfang nächsten Jahres
fällig geworden wären. Wir haben das schnell durchschaut und
zurückgewiesen. Es war gut, dass wir von Anfang an die Forderungen
nicht nur an das Wissenschaftsministerium, sondern auch an das
Finanzministerium und den Bundeskanzler gestellt haben.
Wir haben
neben der Diskussion um die Finanzen sicherlich auch eine sog.
Bildungsdiskussion ausgelöst, aber wir sind noch weit entfernt von
einer Anerkennung unserer Forderungen durch die Politik.
Wir haben mit Neid gesehen, dass sich auch die Gewerkschaften bei
euren Demonstrationen beteiligt haben. Welche Gewerkschaften waren das und
wie habt ihr das geschafft?
Das waren die Vertretungen der Kindergärtnerinnen, der Drucker und
die Metallbranche, die selber aktuell Proteste organisieren bzw. in
Tarifverhandlungen stecken oder steckten. Es gab gemeinsame Kundgebungen
von Studierenden und Beschäftigten, und darüber gab es
Unstimmigkeiten in der Gewerkschaftsführung. In den letzten Monaten
haben unterschiedliche Branchengewerkschaften immer wieder auf Mahnwachen
vor der Wiener Wirtschaftskammer zurückgegriffen, um den Druck in den
Auseinandersetzungen zu erhöhen. Diese Aktionen haben fast immer in
der Früh, von 7 bis 9 Uhr morgens stattgefunden. Wir haben es im Zuge
der Uni-Proteste geschafft, gemeinsam mit über 300 Studierenden und
Metallern vor der Wirtschaftskammer zu stehen.
Wie geht es jetzt weiter? Bei uns soll es am 10.Dezember eine
bundesweite Demonstration in Bonn geben, ist das mit euch abgesprochen?
Nein, das ist nicht abgesprochen. In Wien ist am 25.11. ein
Hochschulgipfel geplant, dazu werden wir einen alternativen Bildungsgipfel
organisieren. Wir versuchen, vom Kindergarten über die Schule bis zur
Universität so viele Vertreter wie nur möglich einzubeziehen.
Diesem Alternativgipfel soll ein bundesweiter Gipfel am 5./6. Dezember
folgen, kombiniert mit einer Großdemonstration.
Wichtig ist
auch, dass sich vor allem die Lehrenden, die noch keine Professur haben,
kampfbereit gezeigt haben, weil sie teilweise unter den schlechtesten
Bedingungen lehren müssen. Mehr als 700 Lehrende haben sich bereits in
einer Petition mit den Studierenden solidarisiert.
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