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Der Zweite Vorsitzender der IG Metall, Detlef
Wetzel, hat im September ein Papier zur Strukturreform der IG Metall
herausgebracht, das die Gewerkschaft noch stärker von oben nach unten
durchstrukturieren soll, als sie es jetzt schon ist. Das Zauberwort
heißt: Effizienzsteigerung.
Im Auftrag
des Gewerkschaftstags, in der konkreten Umsetzung dann aber doch an
bestehenden Strukturen und Diskussionserwartungen vorbei, hat eine
Projektgruppe unter Leitung des 2.Vorsitzenden, Detlef Wetzel, im September
ein Thesenpapier vorgelegt, das der Gewerkschaft umfassende
Strukturreformen vorschlägt. Dieser Überraschungscoup mit dem
Titel „Projekt IG Metall 2009 — Sich ändern, um
erfolgreich zu sein” wird seitdem in allen Verwaltungsstellen und
Delegiertenkonferenzen diskutiert und soll schon im Frühjahr
nächsten Jahres mit der Einleitung von „satzungsändernden
Maßnahmen” praktisch umgesetzt werden.
Für
eine Großorganisation mit 2,3 Millionen Mitgliedern ist das ein
rasantes Tempo, bei dem die demokratische Diskussionskultur ziemlich sicher
auf der Strecke bleiben wird. Insbesondere die 2500 hauptamtlich
Beschäftigten, davon 550 in der Frankfurter Zentrale, sind
aufgeschreckt. Ihnen wird zwar vage eine Beschäftigungssicherung
versprochen, aber sie sollen „effizienter” und
„professioneller” werden. Warum sie es bisher nicht waren, wird
in den Thesen nicht aufgeführt. Deshalb erzeugen die Thesen
völlig unnötig ein Klima der Bedrohung, das einen überlegten
Entscheidungsprozess nicht gerade fördert.
Die IG
Metall soll sich auf von oben bis unten auf zwei Ziele konzentrieren:
Betreuung der bestehenden und „Erschließung” neuer
Mitglieder. Die Autoren der Thesen entschuldigen sich in einer Fußnote
zwar für den Begriff „Erschließung” (”..ist es
hier schwierig, jeden Geschmack zu treffen"), dass sie ihn aber
durchgängig benutzen und als „neue Dimension” der
Gewerkschaftspolitik verklären, ist mehr als Geschmacksverirrung.
Nichtmitglieder werden als Objekte ins Visier genommen, die durch
geschickte kommerzielle und ideelle Werbefeldzüge eines nach dem
anderen erlegt, sprich als Mitglied gewonnen werden sollen.
Den
Verwaltungsstellen (für Nicht-IG-Metaller: die lokalen Basisstrukturen
der Gewerkschaft) werden beachtliche finanzielle Zugeständnisse
gemacht. 60%, nach einem Jahr noch 40%, der Neueinnahmen dürfen bei
der Verwaltungsstelle bleiben. Auch ehrenamtliche Strukturen sollen das
Recht auf finanzielle Autonomie für Mitgliederwerbung erhalten. Bei
alledem darf aber die zentrale Kasse in Frankfurt nicht belastet werden
— alles muss, wie es heute so schön heißt,
„refinanziert” sein. Und wenn die Mitgliederwerbeaktionen nicht
kurzfristig Erfolg haben, sollen sie schnellstens wieder beendet werden.
Die
Struktur der IG Metall soll im Sinne der beiden Zielsetzungen verschlankt
und gestrafft werden: Statt sieben geschäftsführende
Vorstände, wie bisher, gibt es in Zukunft nur noch zwei für die
„strategischen Entscheidungen” und einen für die Kasse;
sie sollen vom Gewerkschaftstag gewählt werden. Doppelarbeiten sollen
vermieden und die immer schnell prophezeiten „Synergieeffekte”
voll genutzt werden. Zwischen Vorstand und Verwaltungsstellen erhalten die
Bezirksleitungen eine klar definierte Rolle als
„Scharnierfunktion”, sie sollen also von der einen Seite (von
oben) Impulse erhalten und zur anderen (nach unten) weitergeben.
Zur
Illustration dieses Zentralismus des 21.Jahrhunderts ein längerer
Originalton: „Grundsätzlich gilt: Strategiebildung ist Sache des
Vorstandes. Die Vorstandsverwaltung und die Verwaltung der Bezirksleitungen
sind Unterstützer des Vorstandes und benötigen daher strategische
Kompetenzen. Sie sollten sich ergänzen und Doppelarbeit untereinander
vermeiden. Konzeptionelle Arbeit findet auf allen Ebenen statt, wobei der
Anteil an koordinierenden Aufgaben nach oben zunimmt und der
operative Anteil abnimmt."
In dieses
Konzept passt ein DGB oder allgemein eine Gewerkschaftsbewegung nicht mehr
hinein. Der DGB soll entweder drastisch verkleinert werden und weniger IG-
Metall-Beiträge verbrauchen und erhalten, oder klar bestimmte
„allgemeinpolitische” Aufgaben für die IG Metall und gegen
gute Bezahlung erledigen, dann könne er bleiben.
Die IG
Metall ist sicher, wie alle DGB-Gewerkschaften, bürokratisch
verkrustet, von ideologisch und politisch nicht transparenten Hierarchien
geprägt, von Karrierismus und Intrigen gebeutelt. Diese Zustände
aber in ein von Auftrag und Auftragserfüllung, von quasi kommerziellen
Beziehungen geprägten Unternehmen mit straffer und moderner
Unternehmenshierarchie umzuwandeln, das sich dem Verkauf der Ware
„Mitgliedschaft” widmet, kann nicht die Lösung sein. Die
IG Metall als ADAC der Metaller wird nicht funktionieren, weil der ADAC und
andere Unternehmen in solchen Dingen einfach besser und nützlicher
sind. Gewerkschaft ist ein bisschen mehr — das lassen die Thesen von
Detlef Wetzel schmerzlich vermissen.
Effektiv ist, die richtigen Dinge zu tun. Effizient ist, die Dinge
richtig zu tun. Das „Projekt IG Metall 2009” sieht aus und
liest sich wie eine x-beliebige Vorlage eines Unternehmerberaters. Alles
muss effizienter, professioneller und „richtiger” gemacht
werden. Aber mit welchen Inhalten soll sich die IG Metall in Zukunft
aufstellen? Dazu kein Wort. Die Stichworte der veränderten
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen werden zu Beginn angedeutet:
„Der soziale Konsens der Bundesrepublik ist aufgebrochen. Dabei
stellt die Kapitalseite zunehmend bewährte Mechanismen der
Konsensfindung in Frage."
Und jetzt?
Wird der soziale Konsens durch eine effizientere IG Metall
wiederhergestellt? Oder muss eine Gewerkschaft diese Kriegserklärung,
diesen Klassenkampf von oben nicht auch mit einer neuen strategischen Linie
beantworten? „Ihr wollt Klassenkampf von oben, dann bekommt ihr ihn
von unten”, könnte sie lauten. Auch kleine gewerkschaftliche
Ziele können heute nur mit harten Auseinandersetzungen erreicht
werden. Muss die IG Metall deshalb nicht zunächst wieder das
Kämpfen, auch das Streiken lernen? Müssen Tarifbewegung und
Tarifpolitik nicht verstärkt als tatsächliche Bewegung und
Politik verstanden werden?
Die sich
selbst bestätigende These, die IGM hätte nicht genug Mitglieder,
deshalb sei sie nicht kampffähig, ist nur von hinten gelesen richtig:
Nur in der Bereitschaft zum Konflikt und in der Entschlossenheit zur
Eskalation wird die IGM neue Mitglieder gewinnen. Der Organisationsgrad der
IGM ist auf 26,8% gesunken und nur 52% der Metallbetriebe werden
gewerkschaftlich betreut. Nun sind das immer noch Werte, die weit besser
sind als in anderen Ländern, selbst da wo Gewerkschaften deutlich mehr
zum Kampf und Widerstand bereit sind und wo sie auch bessere materielle
Ergebnissen erzielen als deutsche Gewerkschaften.
Dennoch
bedeutet diese Schwächung, dass betriebliche Auseinandersetzungen sich
schnell ausbreiten, die Betriebe „verlassen” und sich
politisieren müssen, um erfolgreich zu sein. Das erfordert weniger
eine effiziente IG Metall, sondern eine zur Öffnung und auch zum
politischen Risiko bereite Gewerkschaft, die Bündnisse in den
Gemeinden und mit anderen sozialen Bewegungen sucht und mit eigener
Öffentlichkeitsarbeit zum gesellschaftlichen Meinungsführer
werden will. Eine solche Konfliktstrategie muss flexibel und zumindest
anfänglich bewusst dezentral sein. Zentralisiertes Effizienzmanagement
und kurzfristiges Bilanzdenken stört dabei ziemlich.
Die neuen
Strukturen der Erwerbsarbeit mit der drastischen Zunahme an
Niedriglöhnern und Prekarisierten, so konstatieren auch die Thesen,
schwächen die Gewerkschaft. Die neuen Unterschichten organisieren sich
nicht. Auch sonst verlassen immer mehr Mitglieder den Verband. All das wird
durch die neue Weltwirtschaftskrise noch beschleunigt werden.
Alles
richtig beobachtet. Aber ist es wirklich unmöglich, dass die IGM die
Prekarisierten erreicht? Wie wäre es mit einer gezielten
Zusammenarbeit mit der Erwerbslosenbewegung, mit einer deutlichen
Stärkung ihrer Rolle innerhalb der IGM? Wie wäre es mit
speziellen Forderungen für Niedriglöhner — von der guten
alten Festgeldforderung bis hin zum Verbot der Leiharbeit? Wie wäre es
mit einer ernsthaften Kritik am EU-Vertrag und dessen Orientierung auf den
Niedriglohnsektor?
Die IGM und
auch andere Gewerkschaften verlieren an Zuspruch und vor allem an
gesellschaftlicher Kraft. Der Zuspruch hängt ganz wesentlich von der
Erfüllung der wichtigsten gewerkschaftlichen Aufgabe ab: die
Verbesserung der Löhne und der Arbeitsbedingungen. Wenn die
Mitgliedschaft in der Gewerkschft nicht mehr einbringt als ein
individueller Arbeitsvertrag, dann sind Gewerkschaften
überflüssig. Die IGM muss Forderungen aufstellen, für die es
sich zu kämpfen lohnt. Darüber hinaus muss sie wegweisende
Initiativen ergreifen.
Das
wichtigste Thema liegt heute auf der Hand: Es gibt flächendeckende
Kurzarbeit auf Kosten der Sozialkassen, warum eröffnet die IGM nicht
gerade jetzt eine Kampagne zur Kurzarbeit auf Kosten der Unternehmer, also
eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung ohne Einkommensverluste? Warum
engagiert sich die IGM für eine Abwrackprämie, statt Vorreiterin
einer Initiative zum grundlegenden Umbau unserer Mobilität zu sein?
Und zu
guter letzt: Die politischen Bedingungen in Deutschland sind ja gar nicht
so schlecht. Die alte Tante SPD ist ins Nachdenken gekommen und eine neue
linke Partei spricht ein lautes Wörtchen mit. Warum schmiedet die IG
Metall — ohne die Idee der Einheitsgewerkschaft aufzugeben —
nicht politische Allianzen im Sinne ihrer Forderungen? Wenn zu all diesen
Fragen gute Antworten gegeben werden — dann freuen wir uns auch
über eine effizientere IG Metall.
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