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SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2009, Seite 10

Polen:

Profitgier tötet Bergleute

von Patryk Kosela

Am 18.September dieses Jahres kamen in der Zeche „Wujek-Slask” in Ruda Slaska, 20 Kilometer nordwestlich von Katowice, insgesamt 20 Bergleute ums Leben. Es war eine Tragödie, die ohne weiteres als perfider Mord bezeichnet werden könnte.
Die Zeche liegt 1050 m unter der Erde. Zwölf Kumpel waren sofort tot, acht starben in den darauf folgenden Tagen. Viele andere Kumpel trugen schwere Verletzungen davon, einige müssen immer noch in der Klinik behandelt werden. Die Schlagzeilen in den Medien lautete: „Methan tötete wieder”, „Unfall unter Tage”, „mörderische Natur” Welch ein Irrtum! Weder das Gas, noch die Natur, noch ein unglückseliges Los raubte zwanzig Bergleuten das Leben und ihren Familien den Ehemann, den Vater, den Sohn und Bruder. Die Verantwortlichen bemühten sogar die Heilige Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute, die jeweils vor ihrem Ehrentag am 4.Dezember ihre Hände nach Opfern ausstrecken würde.
Heute wissen wir allerdings, dass weder Methan noch die Schutzpatronin für dieses Ereignis verantwortlich sind. Dieses Wissen verdanken wir den Gutachten der Experten, den Aussagen der Kumpel, die in diesem Fördergebiet gearbeitet haben, und den Berichten der Gewerkschaften. Die Wahrheit ist: In der Zeche „Slask” wurden viele Normen des Arbeitsschutzes außer acht gelassen. In verhängnisvoller Weise wurde am Ort der Katastrophe die Förderwand nicht gesichert. Dies musste früher oder später zur Katastrophe führen. Bei den Stollen hatten die Gänge nicht die vorgeschriebenen Abstände, der obere Streb z.B. betrug 8 statt 2 Meter. So konnte sich dort das Methangas ansammeln. Darüber hinaus befanden sich im Förderbereich zu diesem Zeitpunkt weitaus mehr Kumpel, als zulässig war.
Die Stollen wurden nicht, wie üblich, nach und nach liquidiert, denn dies hätte nach Meinung der Verantwortlichen die laufenden Arbeiten kompliziert und aufgehalten. Damit wären die Fördermenge und der Gewinn geringer ausgefallen. Die zu große Anzahl der Kumpel hatte damit zu tun, dass mehr Hände mehr schaffen, obwohl es den geltenden Normen widersprach — dafür entsprach es der Logik des freien Marktes. Jedoch konnte dessen unsichtbare Hand die Kumpel der Zeche „Slask” nicht schützen.
"Während der Förderung wurden in diesem Bereich weitere Arbeiten durchgeführt, obwohl die Gefahr eines Methanausbruchs bestand. Es wurden sowohl Aufräumarbeiten durchgeführt, als auch neue Stollen vorbereitet — das sind weitere Unregelmäßigkeiten in dieser Zeche”, sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft Sierpien 80 (August 80), Boguslaw Zietek. „Dies alles führte schließlich zu der Tragödie."
Ein Kumpel sagt, allerdings anonym, weil er um seinen Arbeitsplatz oder gar Rache fürchtet: „In diesem Gebiet bestand auch die Gefahr eines Bergschlags. Dort hätten Menschen nichts zu suchen gehabt. Wenn die Förderwand in Betrieb ist, hat dort, außer den notwendigen 10—15 Kumpel, niemand etwas zu suchen. Es befanden sich dort aber 50 Kumpel. Hätte kein Abbau stattgefunden und wäre die Förderfräse nicht in Betrieb gewesen, so hätte alles dem Arbeitsschutz entsprochen. Bedenkt bitte auch, dass dort junge unerfahrene Kumpel arbeiteten."
Die Regionalzeitung Dziennik Zachodni berichtete, dass die zulässige Methankonzentration ein paar Stunden vor der Tragödie in diesem Bereich um das Zweifache überschritten war. Ähnlich sei es auch am Vortag gewesen. Die Kumpel wurden nie aus dem gefährdeten Gebiet entfernt.

Laxe Kontrollen

Theoretisch ist für die Arbeitssicherheit im polnischen Kohlebergbau die Oberste Bergbaubehörde (WUG) zuständig. In der Praxis finden die Kontrollen der WUG auf der Basis der Vorschriften des Gesetzes zur Förderung des freien Marktes statt. Grundsätzlich müssen die Kontrollen angemeldet werden. Das Unternehmen wird mindestens eine Woche vorher informiert, allerdings nicht darüber, welcher Teil des Betriebs untersucht wird. Diese Zeit erlaubt es, die Zeche in einen vorschriftsmäßigen Zustand zu versetzten. Nach der Kontrolle wird der alte Zustand wieder hergestellt.
"Auf dem Papier ist alles in Ordnung, aber mit der Realität hat es nichts zu tun. Die Herren der WUG tun so, als ob sie nicht wüssten, wie es in Wirklichkeit aussieht. Dabei handelt es sich um erfahrene Bergleute, die nicht so leicht betrogen werden können. Wenn sie sich also betrügen lassen, dann ist klar, dass etwas nicht stimmt”, erklärt Szczepan Kasinski, Chef der Gewerkschaftsgruppe von „Sierpien 80” auf der Zeche.
Natürlich hat der Tod der Kumpel die Politiker auf den Plan gerufen. Vergebens war die Erwartung, dass die Renten für Witwen von Kumpeln, die bei der Arbeit umkommen, wieder eingeführt werden; sie wurden vor zehn Jahren abgeschafft. Derzeit haben nur die Witwen Anspruch auf eine Rente, die selbst nicht gearbeitet haben und mindestens 50 Jahre alt sind oder ein minderjähriges Kind erziehen. Im polnischen Parlament gibt es seit zwei Jahren eine Gesetzesvorlage, die diese Einschränkungen wieder beseitigen soll, aber die Regierung ist dagegen. Derzeit leben in Polen etwa 1000 Witwen von Bergleuten.
Ein Skandal ist die Aussage der Vizepremiers und Wirtschaftsministers Waldemar Pawlak, der gleichzeitig Chef der PSL (Polnische Volkspartei) ist. In einem Interview mit einem Radiosender sagte er: „Mit aller Härte muss gegen die vorgegangen werden, die ihre Pflichten nicht erfüllten, aber auch gegen die, die ständig falschen Alarm schlagen.” Die geltenden Vorschriften für die Kontrollen im Bergbau reichten vollkommen aus, Veränderungen seien nicht nötig.
Kazimierz Kutz, ein schlesischer Abgeordneter der Regierungspartei, meinte, die Zechen gehörten privatisiert, ein privater Besitzer würde die Sicherheitsvorschriften besser einhalten. Dazu meinte Boguslaw Zietek: „Welch ein Hohn. Waren es doch privatisierte Betriebe, in denen es zu tragischen Unfällen kam, die vertuscht wurden. Ich erinnere nur daran, was vor Jahren bei Indesit in Lódz passierte."
Dort wurde eine Sicherheitsvorkehrung ausgeschaltet, um das Produktionstempo zu erhöhen, dadurch hat ein Blech einem 21-jährigen Arbeiter den Kopf abgetrennt. „Die Unfallstatistiken werden auch in anderen privaten Firmen gefälscht. Und im Bergbau ist die Gefahr viel höher. Es ist absurd zu behaupten in privaten Zechen wäre es sicherer!"
Der Verband der Arbeitgeber im Steinkohlebergbau erklärt am 18.September: „Wir fordern alle auf, sich unverantwortlicher Kommentare zu enthalten, bis alle kompetenten Institutionen die Vorgänge geklärt haben.” Nun ja, das kann Jahre dauern oder im Sande verlaufen.
Im Kohlebergbau regiert eine Mafia, und das ist keine neue Erkenntnis. Hier herrschen Seilschaften von miteinander vernetzten freundschaftlich- wirtschaftlich-politischen Beziehungen. Sicher könnten auch familiäre Beziehungen gefunden werden. Diese schwarze Mafia wird niemand bekämpfen, weil sie bis nach ganz Oben verankert sind.
Der Chef der Aufsichtsbehörde im Steinkohlebergbau (WUG) wurde 2007 in Krakau als Regionaldirektor des WUG wegen schlechter Arbeit abgesetzt. Der Chef der Arbeitssicherheit und -medizin in der Zeche „Solnica- Makoszowy” wurde wegen Fälschung von Dokumenten im Zusammenhang mit einem Brand 2003 in der Zeche „Bielszowice” verurteilt. Damals wurden 30 Kumpel schwer verletzt. Frei und glücklich sind auch die Verantwortlichen der Zeche „Halemba”, wo es vor genau drei Jahren zum Unglück kam und 23 zum Teil unerfahrene Fremdarbeiter das Bergen von Maschinen mit dem Leben bezahlen mussten. Auch hier war die Methangaskonzentration drastisch überschritten — die Messgeräte wurden einfach zugeklebt.
Die Lösung wäre die Zerschlagung der Seilschaften, die Verbesserung der Gesetze, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Viel wichtiger jedoch wäre es, dass die Beschäftigten Anteilseigner würden und somit über die Art und Höhe der Förderung Einfluß nehmen könnten.


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