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Am 18.September dieses Jahres kamen in der
Zeche „Wujek-Slask” in Ruda Slaska, 20 Kilometer nordwestlich
von Katowice, insgesamt 20 Bergleute ums Leben. Es war eine Tragödie,
die ohne weiteres als perfider Mord bezeichnet werden könnte.
Die Zeche
liegt 1050 m unter der Erde. Zwölf Kumpel waren sofort tot, acht
starben in den darauf folgenden Tagen. Viele andere Kumpel trugen schwere
Verletzungen davon, einige müssen immer noch in der Klinik behandelt
werden. Die Schlagzeilen in den Medien lautete: „Methan tötete
wieder”, „Unfall unter Tage”, „mörderische
Natur” Welch ein Irrtum! Weder das Gas, noch die Natur, noch ein
unglückseliges Los raubte zwanzig Bergleuten das Leben und ihren
Familien den Ehemann, den Vater, den Sohn und Bruder. Die Verantwortlichen
bemühten sogar die Heilige Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute,
die jeweils vor ihrem Ehrentag am 4.Dezember ihre Hände nach Opfern
ausstrecken würde.
Heute
wissen wir allerdings, dass weder Methan noch die Schutzpatronin für
dieses Ereignis verantwortlich sind. Dieses Wissen verdanken wir den
Gutachten der Experten, den Aussagen der Kumpel, die in diesem
Fördergebiet gearbeitet haben, und den Berichten der Gewerkschaften.
Die Wahrheit ist: In der Zeche „Slask” wurden viele Normen des
Arbeitsschutzes außer acht gelassen. In verhängnisvoller Weise
wurde am Ort der Katastrophe die Förderwand nicht gesichert. Dies
musste früher oder später zur Katastrophe führen. Bei den
Stollen hatten die Gänge nicht die vorgeschriebenen Abstände, der
obere Streb z.B. betrug 8 statt 2 Meter. So konnte sich dort das Methangas
ansammeln. Darüber hinaus befanden sich im Förderbereich zu
diesem Zeitpunkt weitaus mehr Kumpel, als zulässig war.
Die Stollen
wurden nicht, wie üblich, nach und nach liquidiert, denn dies
hätte nach Meinung der Verantwortlichen die laufenden Arbeiten
kompliziert und aufgehalten. Damit wären die Fördermenge und der
Gewinn geringer ausgefallen. Die zu große Anzahl der Kumpel hatte
damit zu tun, dass mehr Hände mehr schaffen, obwohl es den geltenden
Normen widersprach — dafür entsprach es der Logik des freien
Marktes. Jedoch konnte dessen unsichtbare Hand die Kumpel der Zeche
„Slask” nicht schützen.
"Während der Förderung wurden in diesem Bereich weitere
Arbeiten durchgeführt, obwohl die Gefahr eines Methanausbruchs
bestand. Es wurden sowohl Aufräumarbeiten durchgeführt, als auch
neue Stollen vorbereitet — das sind weitere
Unregelmäßigkeiten in dieser Zeche”, sagt der Vorsitzende
der Gewerkschaft Sierpien 80 (August 80), Boguslaw Zietek. „Dies
alles führte schließlich zu der Tragödie."
Ein Kumpel
sagt, allerdings anonym, weil er um seinen Arbeitsplatz oder gar Rache
fürchtet: „In diesem Gebiet bestand auch die Gefahr eines
Bergschlags. Dort hätten Menschen nichts zu suchen gehabt. Wenn die
Förderwand in Betrieb ist, hat dort, außer den notwendigen
10—15 Kumpel, niemand etwas zu suchen. Es befanden sich dort aber 50
Kumpel. Hätte kein Abbau stattgefunden und wäre die
Förderfräse nicht in Betrieb gewesen, so hätte alles dem
Arbeitsschutz entsprochen. Bedenkt bitte auch, dass dort junge unerfahrene
Kumpel arbeiteten."
Die
Regionalzeitung Dziennik Zachodni berichtete, dass die zulässige
Methankonzentration ein paar Stunden vor der Tragödie in diesem
Bereich um das Zweifache überschritten war. Ähnlich sei es auch
am Vortag gewesen. Die Kumpel wurden nie aus dem gefährdeten Gebiet
entfernt.
Theoretisch ist für die Arbeitssicherheit im polnischen
Kohlebergbau die Oberste Bergbaubehörde (WUG) zuständig. In der
Praxis finden die Kontrollen der WUG auf der Basis der Vorschriften des
Gesetzes zur Förderung des freien Marktes statt. Grundsätzlich
müssen die Kontrollen angemeldet werden. Das Unternehmen wird
mindestens eine Woche vorher informiert, allerdings nicht darüber,
welcher Teil des Betriebs untersucht wird. Diese Zeit erlaubt es, die Zeche
in einen vorschriftsmäßigen Zustand zu versetzten. Nach der
Kontrolle wird der alte Zustand wieder hergestellt.
"Auf
dem Papier ist alles in Ordnung, aber mit der Realität hat es nichts
zu tun. Die Herren der WUG tun so, als ob sie nicht wüssten, wie es in
Wirklichkeit aussieht. Dabei handelt es sich um erfahrene Bergleute, die
nicht so leicht betrogen werden können. Wenn sie sich also
betrügen lassen, dann ist klar, dass etwas nicht stimmt”,
erklärt Szczepan Kasinski, Chef der Gewerkschaftsgruppe von
„Sierpien 80” auf der Zeche.
Natürlich hat der Tod der Kumpel die Politiker auf den Plan gerufen.
Vergebens war die Erwartung, dass die Renten für Witwen von Kumpeln,
die bei der Arbeit umkommen, wieder eingeführt werden; sie wurden vor
zehn Jahren abgeschafft. Derzeit haben nur die Witwen Anspruch auf eine
Rente, die selbst nicht gearbeitet haben und mindestens 50 Jahre alt sind
oder ein minderjähriges Kind erziehen. Im polnischen Parlament gibt es
seit zwei Jahren eine Gesetzesvorlage, die diese Einschränkungen
wieder beseitigen soll, aber die Regierung ist dagegen. Derzeit leben in
Polen etwa 1000 Witwen von Bergleuten.
Ein Skandal
ist die Aussage der Vizepremiers und Wirtschaftsministers Waldemar Pawlak,
der gleichzeitig Chef der PSL (Polnische Volkspartei) ist. In einem
Interview mit einem Radiosender sagte er: „Mit aller Härte muss
gegen die vorgegangen werden, die ihre Pflichten nicht erfüllten, aber
auch gegen die, die ständig falschen Alarm schlagen.” Die
geltenden Vorschriften für die Kontrollen im Bergbau reichten
vollkommen aus, Veränderungen seien nicht nötig.
Kazimierz
Kutz, ein schlesischer Abgeordneter der Regierungspartei, meinte, die
Zechen gehörten privatisiert, ein privater Besitzer würde die
Sicherheitsvorschriften besser einhalten. Dazu meinte Boguslaw Zietek:
„Welch ein Hohn. Waren es doch privatisierte Betriebe, in denen es zu
tragischen Unfällen kam, die vertuscht wurden. Ich erinnere nur daran,
was vor Jahren bei Indesit in Lódz passierte."
Dort wurde
eine Sicherheitsvorkehrung ausgeschaltet, um das Produktionstempo zu
erhöhen, dadurch hat ein Blech einem 21-jährigen Arbeiter den
Kopf abgetrennt. „Die Unfallstatistiken werden auch in anderen
privaten Firmen gefälscht. Und im Bergbau ist die Gefahr viel
höher. Es ist absurd zu behaupten in privaten Zechen wäre es
sicherer!"
Der Verband
der Arbeitgeber im Steinkohlebergbau erklärt am 18.September:
„Wir fordern alle auf, sich unverantwortlicher Kommentare zu
enthalten, bis alle kompetenten Institutionen die Vorgänge
geklärt haben.” Nun ja, das kann Jahre dauern oder im Sande
verlaufen.
Im
Kohlebergbau regiert eine Mafia, und das ist keine neue Erkenntnis. Hier
herrschen Seilschaften von miteinander vernetzten freundschaftlich-
wirtschaftlich-politischen Beziehungen. Sicher könnten auch
familiäre Beziehungen gefunden werden. Diese schwarze Mafia wird
niemand bekämpfen, weil sie bis nach ganz Oben verankert sind.
Der Chef
der Aufsichtsbehörde im Steinkohlebergbau (WUG) wurde 2007 in Krakau
als Regionaldirektor des WUG wegen schlechter Arbeit abgesetzt. Der Chef
der Arbeitssicherheit und -medizin in der Zeche „Solnica-
Makoszowy” wurde wegen Fälschung von Dokumenten im Zusammenhang
mit einem Brand 2003 in der Zeche „Bielszowice” verurteilt.
Damals wurden 30 Kumpel schwer verletzt. Frei und glücklich sind auch
die Verantwortlichen der Zeche „Halemba”, wo es vor genau drei
Jahren zum Unglück kam und 23 zum Teil unerfahrene Fremdarbeiter das
Bergen von Maschinen mit dem Leben bezahlen mussten. Auch hier war die
Methangaskonzentration drastisch überschritten — die
Messgeräte wurden einfach zugeklebt.
Die
Lösung wäre die Zerschlagung der Seilschaften, die Verbesserung
der Gesetze, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Viel
wichtiger jedoch wäre es, dass die Beschäftigten Anteilseigner
würden und somit über die Art und Höhe der Förderung
Einfluß nehmen könnten.
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