SoZ - Sozialistische Zeitung |
Ein Gericht in Sizilien verurteilt Fischer,
die Flüchtlingen geholfen haben, wegen Widerstand gegen die
Staatsgewalt.
Agrigent.
Zwei Jahre hat der Prozess gegen sieben tunesische Fischer aus dem kleinen
Hafen Teboulbah gedauert. Der Fall ist ähnlich gelagert wie der der
Cap Anamur: Die Fischer hatten am 8.August 44 Menschen aus Seenot gerettet
— und wurden dafür anschließend verhaftet. Die Anklage
lautete auf Beihilfe zur illegalen Einwanderung und, im Unterschied zur Cap
Anamur, auf Widerstand gegen die Staatsgewalt. Am 17.November sprach die
Richterin Sabatino vom Gericht in Agrigent die sieben Fischer von der
Anklage der Schlepperei frei, verurteilte jedoch die beiden Kapitäne,
Abdelkarim Bayoudh und Abdelasset Zenzeri, zu zwei Jahren und sechs Monaten
Haft wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt.
Was war
geschehen? Die beiden tunesischen Fischerboote Mortedha und Mohamed El Hedi
waren rund 30 Meilen vor Lampedusa unterwegs, wo sie — zusammen mit
einem dritten Boot — gefischt hatten, als sie bei Windstärke 5
und drei Meter hohen Wellen ein kaputtes Gummiboot mit 44 Menschen an Bord
bemerkten. Flüchtlingsboote waren für die Fischer schon
alltäglich, doch zum ersten Mal kreuzten sie eines in akuter Seenot.
Unter den 44 Flüchtlingen an Bord waren auch elf Frauen, zwei von
ihnen schwanger, und zwei Kinder.
Kapitän Abdel Zenzeri veranlasste die Rettung, 33 Flüchtlinge
kamen auf die Mortadha, elf auf die El Hedi. Gleichzeitig verständigte
der Kapitän die tunesische Küstenwache. Laut Gerichtsakten
verständigte die tunesische Seenotleitstelle um 15.15 Uhr die
italienischen Kollegen in Rom. Diese schickten daraufhin die Korvette Vega
der Marine, die gegen 18 Uhr die Fischerboote erreicht. Der
Militärarzt kam nicht an Bord, meinte aber, den Flüchtlingen gehe
es gut genug, dass sie die 90 Seemeilen zurück nach Tunesien fahren
könnten — was den Vorgaben des internationalen Seerechts
widersprochen hätte, dieses fordert das Anlanden im nächsten
sicheren Hafen. Die Korvette drehte wieder ab und, wie Kapitän Zenzeri
beim Prozess aussagte, Boote der italienischen Küstenwache gaben ihm
zu verstehen, nach Lampedusa weiter zu fahren. Angesichts des Zustands der
Flüchtlinge und der hohen Wellen taten die Fischer das auch. Dann aber
versuchte die Korvette, die beiden Boote zu blockieren, sie wichen aus und
begingen damit „Widerstand gegen die Staatsgewalt”
Nach ihrer
Ankunft in Lampedusa wurden die sieben Fischer verhaftet, die schwangere
Frau und ein Kind in ein Krankenhaus nach Palermo geflogen, die anderen von
Ärzte ohne Grenzen versorgt. Die Fischerboote wurden beschlagnahmt.
Die Fischer wurden der „Beihilfe zur illegalen Einreise” und
des „Widerstands gegen die Staatsgewalt” angeklagt. Der Vorwurf
der Schleuserei rührte daher, dass die beiden Boote keine Netze an
Bord hatten. Der Grund: Sie fischten, wie die Sizilianer es nennen,
„a cianciolo”, ein Mutterschiff hat die Netze an Bord und zwei
kleine Schiffe locken mit Scheinwerfern die Fische an.
Rund ein
Monat blieben die Fischer in Untersuchungshaft, die Boote sind bis heute
beschlagnahmt. Nach heftigen Protesten — auch von Seiten des
tunesischen Botschafters —, dem Besuch einer Delegation von
Europarlamentarieren und einer Resolution von 106 EU-Parlamentariern kamen
die Fischer frei. Doch bis heute haben sie von den tunesischen
Behörden ihre Fischereilizenz nicht wieder bekommen. Einer der Fischer
versuchte sich sogar das Leben zu nehmen.
Die beiden
Verteidiger Leonardo Marino und Giacomo La Russa kündigten nun
Berufung an. Leonardo Marino ist zumindest froh, dass alle sieben von der
Anklage der Schlepperei freigesprochen wurden, die Verurteilung zu
zweieinhalb Jahren wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt”
wertet er als „Ergebnis eines Kompromisses mit Staatsanwalt Santo
Fornasier” (derselbe wie im Cap-Anamur-Prozess). Beobachter werten
das Urteil als sehr widersprüchlich — einerseits gesteht es den
Fischern zu, eine Seenotrettung durchgeführt zu haben, andererseits
wirft es ihnen „Widerstand gegen die Staatsgewalt” vor, nur
weil sie bei Windstärke 5 und hohen Wellen einem Blockademanöver
der Marine ausgewichen sind.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |