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Das neue Schutzgesetz für Berlusconi,
das Prozesse pro Instanz auf zwei Jahre verkürzen soll, gefährdet
auch den Prozess gegen ThyssenKrupp.
Am
6.Dezember ist es zwei Jahre her, als einer der schlimmsten tödlichen
Arbeitsunfälle ganz Italien und halb Deutschland aufrüttelte: In
der Turiner Niederlassung des deutschen Großkonzerns ThyssenKrupp
brach in der Nacht zum 6.Dezember ein Brand aus. Der Grund war ein
Rohrbruch, im Kaltwalzwerk lief heißes Öl aus, entzündete
sich und setzte binnen kurzem die Abteilung „Linea 5” in Brand.
Ein Arbeiter starb noch am Unfallsort, sechs starben später an
schweren Verbrennungen. Wenige Tage vorher hatte der Vorstandsvorsitzende
von ThyssenKrupp stolz vom erfolgreichsten Geschäftsjahr seit Bestehen
des Unternehmens berichtet, 11% Umsatzsteigerung konnte er verkünden.
Der schwere
Brandunfall brachte zu Tage, wie verantwortungslos das Unternehmen seine
Niederlassungen in Italien betrieb. Im Juli 2007 war entschieden worden,
das Werk in Turin zu schließen und die gesamte Produktion nach Terni
in Umbrien zu verlegen. Wie später die Arbeiter berichteten, waren die
Sicherheitsstandards in Turin schon lange nicht mehr eingehalten worden.
Die Notruftelefone funktionierten nicht, drei der fünf
Feuerlöscher waren leer. Defekte Rohre — ein solches war der
Grund für den Brand — wurden nur notdürftig repariert. Noch
dazu arbeitete man in Turin schon seit Monaten in 12-Stunden-Schichten, da
es im Werk in Umbrien Schwierigkeiten gab, die Aufträge fristgerecht
fertig zu stellen.
In den
Tagen nach dem Unfall gab es Protestdemonstrationen, an denen sich mehr als
30000 Menschen beteiligten.
Im Januar
2008 leitete die Turiner Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen
fahrlässiger Tötung und Körperverletzung gegen die
Verantwortlichen der Unternehmensleitung ein, u.a. gegen den
Vorstandsvorsitzenden von ThyssenKrupp Italien, Harald Espenhahn. Der
Hauptvorwurf: Espenhahn hatte, wie er Anfang November bei seiner Aussage
vor Gericht bestätigte, die Gelder für geplante Reparatur- und
Sicherungsarbeiten für ein anderes Projekt verwendet bzw. angesichts
der bevorstehenden Schließung des Werks in Turin nicht mehr wirklich
für notwendig erachtet.
Im Mai 2008
wurde der Prozess eröffnet.
Einen Monat
zuvor einigte sich der Konzern mit den Opfern auf eine
Entschädigungssumme von 13 Millionen Euro. Diese verzichteten
dafür, als Nebenkläger im Prozess aufzutreten.
Wie sehr der schwere Arbeitsunfall Italien aufgerüttelt hat, zeigte
sich auch bei den Filmfestspielen in Venedig im Sommer 2008. Die Regisseure
des Films ThyssenKrupp Blues, Paolo Balla und Monica Repetto, hatten schon
vor dem Unfall den Arbeiter Carlo porträtiert, einen jungen Mann aus
Kalabrien, der seit mehreren Jahren in Turin lebte und arbeitete. Es sollte
ein Film über den normalen Alltag von Arbeitern heute werden. Doch es
wurde ein anderer Film, denn sieben Kollegen von Carlo starben. Er selbst
überlebte an diesem Tage nur, weil seine Schicht am Nachmittag begann.
Nach einigem Überlegen entschieden sich die Regisseure, den Film unter
den geänderten Vorzeichen fertigzustellen.
Ein anderer
Film, La fabbrica dei tedeschi, „Die Fabrik der Deutschen”, des
Spielfilmregisseurs Mimmo Calopresti, konzentriert sich auf das
Unglück selbst. Im ersten Teil des Films nehmen professionelle
Schauspieler die Rollen der Menschen ein, deren Geschichten wir im zweiten,
dokumentarischen Teil von ihnen selbst hören. Beide Filme sind
zumindest in Teilen im Internet zu sehen (unter Google-Videosuche).
Nun droht
dem Prozess Gefahr: Als Anfang Oktober das Immunitätsgesetz für
die vier höchsten Staatsämter gekippt wurde, zimmerten
Berlusconis Juristen in Windeseile einen neuen Gesetzesvorschlag mit dem
Ziel, die Prozessdauer für Verbrechen, die mit wenigen Jahren Haft
geahndet werden, zu verkürzen. Die Voruntersuchungen zum Prozess
hatten schon im Januar 2008 begonnen, seit dem Prozessbeginn gab es bereits
41 Gerichtsverhandlungen, in denen 101 Zeugen gehört wurden. Wenn nun
den Angeklagten — ausgenommen dem Hauptangeklagten Espenhahn —
mildernde Umstände zugestanden werden (u.a. wegen der
Entschädigungszahlungen), besteht die Gefahr, dass die Anklagen im Mai
2010 verjähren, wenn Berlusconi sein Gesetz über den kurzen
Prozess durchboxen kann.
Der einzige
Überlebende, Antonio Boccuzzi, reagierte auf diese drohende Gefahr
wütend: „Schon wieder müssen die Allerschwächsten
dafür zahlen, dass ein einzelner Mann (Berlusconi) gerettet wird. In
den Prozessen Eternit und Thyssen geht es um Tote und um die
Angehörigen der Opfer, die darauf warten, dass Recht gesprochen
wird."
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