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Klaus Kinkel, amtierender Außenminister der FDP in der Regierung
Kohl, erklärte 1993 über die Rolle Deutschlands nach der
Wiedervereinigung in der FAZ:"Nach außen gilt es etwas zu
vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: Im Einklang mit
unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und
unserem Potenzial entspricht.” Noch bündiger war Edmund Stoiber
(CSU) 1992: „Kohl vollendet, was Kaiser Wilhelm und Hitler nicht
erreicht haben.” Und 2007 attestierte Günther Gloser, SPD und
Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt: „Wir haben in
der jüngeren Geschichte dreimal sehr viel Geld investiert und nur
einmal ist eine positive Dividende herausgekommen."
Diese
Steilvorlagen in ihrem jüngsten Buch Spiel ohne Grenzen nicht
angeführt zu haben, ist einer der wenigen Vorwürfe, die man dem
Autorengespann Werner Biermann/Arno Klönne machen kann. Was sie indes
leisten, ist weit wertvoller: Sie machen die zitierten Äußerungen
derart nachvollziehbar, dass ein Ausrutscher ausgeschlossen ist.
Entstanden
ist ein prägnanter und fundierter Abriss über „Wirtschaft,
Politik und Großmachtsambitionen in Deutschland von 1871 bis
heute” Das Buch ist eine gut lesbare Einführung in die
Geschichte, der auch der historisch bewanderte Leser immer noch etwas
abgewinnen kann, und zugleich ein brauchbares Nachschlagewerk.
Der
Untertitel lässt sich als Dreiklang verstehen: Wirtschaft und Politik
werden im Hinblick auf deutsche Weltmachtambitionen, Kapitalstrategien
sowie deren politische Vermittlung und notfalls militärische
Durchsetzung dargestellt.
Gleich das
erste Kapitel zum Deutschen Reich von 1871 bis 1918 führt in eine Zeit
kriegerischer Zuspitzung und verschärfter sozialer Kämpfe.
„Die Schwerindustrie vertrat einen harten Kurs gegen die
Arbeiterschaft ... Der Elektro-Chemie-Komplex hingegen sprach sich für
eine Linie aus, die als Bekämpfung der Revolution durch die Reform
umschrieben werden kann”, beschreiben Biermann/Klönne die
unterschiedlichen Kapitalinteressen.
Bereits
1905 arbeitete die Militärführung angesichts eines Streiks der
Bergarbeiter an den Ruhr und reichsweiter Solidaritätsaktionen,
angesichts aber auch der Revolution im zaristischen Russland
Bürgerkriegspläne aus. Den Plan entwarf der Generalstab in
Abstimmung mit der Regierung, Grundlage dafür war ein Schreiben des
Kaisers an den Reichskanzler, in dem es hieß: „Erst die
Sozialisten abschießen, köpfen und unschädlich machen, wenn
nötig per Blutbad, und dann Krieg nach außen. Aber nicht vorher
und nicht à tempo."
Der Stoff
ist spannend, und so hätte man es hier und da gerne etwas
ausführlicher, gerade dort, wo politische Auseinandersetzungen
erwähnt werden. Beispiel: In den 1890er Jahren gelang es „trotz
massiver Propaganda der Arbeitgeberverbände nicht, die
Zuchthausvorlage durch den Reichstag zu bringen. Der Sturm der
Empörung unter den Arbeitern war so groß, daß flexiblere
Unternehmer zur Zurückhaltung rieten.” Wie sich die
Empörung äußerte, ist leider nicht zu erfahren —
schließlich werden knapp 150 Jahre Geschichte kompakt auf rund 290
Seiten behandelt.
Der
Schwerpunkt des Buchs liegt auf den Grundlagen deutscher
Großmachtambitionen, dabei schält sich ein bemerkenswerter roter
Faden heraus: die Europastrategien. Was heute allgegenwärtig ist (Ex-
Kanzler Schröder: „Deutschland macht heute Außenpolitik in
Europa, für Europa und von Europa aus"), ist für die Zeit um
1900 weniger bekannt.
Biermann/Klönne: „In den Berliner Expansionsideen nahmen seit
der Jahrhundertwende Pläne eines mitteleuropäischen
Wirtschaftsverbundes, dem, natürlich unter deutscher Führung,
Länder wie Belgien, die Niederlande und Luxemburg zugerechnet wurden,
einen besonderen Platz ein ... Dank ihrer ökonomischen
Überlegenheit würde die deutsche Industrie eine Hegemonie
gegenüber ihren Partnern durchsetzen und so eine
ökonomische und politische Grundlage für das eigentliche Ziel,
nämlich die Beherrschung des Weltmarktes schaffen und, en passant,
Frankreich an die Kette legen."
Und weiter:
„Die auf deutsche Hegemonie gerichtete Durchdringung Mitteleuropas
sollte zu einer Mitteleuropäisch-Vorderasiatischen Militär-
und Wirtschaftsunion führen, der auch die Türkei
angehören sollte. Von dieser Basis ausgehend sollte dann das
weitergehende Ziel, die Weltherrschaft, in Angriff genommen werden."
Nach 1945
diente Europa der BRD ökonomisch als Hebel, um ihre Weltmarktanteile
stetig auszubauen. Bei der empirisch sorgfältigen Darstellung dieser
Entwicklung dürfte mit ausschlaggebend sein, dass Werner Biermann als
Privatdozent für Soziologie und International Business Culture an der
Universität Paderborn tätig war. Entsprechend informativ ist etwa
das Kapitel zur Treuhandanstalt und deren Wirken ab 1990.
Zu
diskutieren bliebe punktuell die Interpretation des Zahlenmaterials. So
wird im Zusammenhang mit der „Strukturanpassung” der
ostdeutschen Wirtschaft auf die gigantischen Gewinne westdeutscher
Unternehmen verwiesen, die sich „nach dem Anschluss durchschnittlich
verdoppelten, und zwar von insgesamt 345 Milliarden DM jährlich
zwischen 1980 und 1989 auf 653 Milliarden für 1995”
Ernst Nolte
drückte sich in diesem Zusammenhang 1992 in der FAZ drastischer aus:
„Zeigt sich nicht, dass sogar Hitlers Vorstellung vom
Lebensraum keine bloße Phantasie war, da doch ganz
Osteuropa heute der Tätigkeit der deutschen Wirtschaft offenzustehen
scheint?"
Von
aktuellem Interesse sind die Ausführungen zur neuen Rolle der
Bundeswehr und zur europäischen Aufrüstung. Dabei führen die
Autoren eine symptomatische Überlegung des ehemaligen Bundesministers
und alten Strategen der SPD, Egon Bahr, an, die pikanterweise einem
Interview mit der Jungen Freiheit entstammt: „Wir müssen lernen,
wieder eine normale Nation zu sein ... Wenn wir nur eine
Wirtschaftsgemeinschaft bleiben, werden wir politisch immer durch die USA
manipulierbar sein. Wenn wir bei dem beschlossenen Ziel einer politisch
selbstbestimmten Gemeinschaft bleiben, muss Europa Streitkräfte
aufstellen, die auch selbstbestimmt eingesetzt werden können."
In diesem
Zusammenhang werden beispielsweise die Hintergründe der Bundesakademie
für Sicherheitspolitik (BAKS) aufgedeckt, in deren Beirat neben
wichtigen Thinktanks wie der Bertelmann-Stiftung und der Deutschen
Gesellschaft für Auswärtige Politik auch die Konrad-Adenauer-
Stiftung, die Evangelische Kirche und der DGB vertreten sind. Oder die
Verzahnung der Rüstungsindustrie auf dem Markt der Inneren Sicherheit.
Oder der Zusammenhang der Energiepolitik der EU mit militärischen
Planungen.
1995
schrieb Joseph Fischer in einem Brief an seine Partei, was sich
rückwirkend wie ein inoffizielles Bewerbungsschreiben an das
Auswärtige Amt liest: „Bekommt Deutschland jetzt, nachdem es
friedlich und zivil geworden ist und mit dem Ende des Kalten Krieges seine
Einheit im internationalen Einvernehmen zurückerhalten hat, all das,
was ihm Europa, ja die Welt, in zwei großen Kriegen erfolgreich
verwehrt hat, nämlich eine Art sanfter Hegemonie über
Europa, Ergebnis seiner Größe, seiner wirtschaftlichen
Stärke und seiner Lage und nicht mehr eines militärstrategischen
Potenzials?"
Heute
heißt nicht nur bei den Grünen Friedenssicherung, was früher
einmal Imperialismus hieß.
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