SoZ - Sozialistische Zeitung |
1957 bezeichnete der chinesische KP-
Führer Mao Zedong die USA als imperialistischen Papiertiger. Ein
halbes Jahrhundert später führen die US-Regierung und ihre NATO-
Verbündeten Kriege, die sie nicht gewinnen können und werfen
einem maroden Finanzsystem Geld hinterher, über das sie nicht
verfügen. Kommunisten alten Schlags sollte dies ein paar bissige
Bemerkungen über westliches Papiergeld und lahme Tiger wert sein.
Was 1972
mit diplomatischem Austausch begann, hat sich schrittweise zu einer der
wichtigsten Geschäftsbeziehungen auf dem kapitalistischen Weltmarkt
entwickelt.
Sachfragen
haben die Polemik ersetzt: Wann werten die Chinesen den Renminbi auf und
verringern ihre Exportabhängigkeit? Können die Amerikaner ihre
Sparquote erhöhen und ihre Abhängigkeit von Kapital- und
Warenimporten verringern? Und weil echte Geschäftsfreunde sich nicht
über den Weg trauen, rätseln die Amerikaner, ob die Chinesen
tatsächlich eine neue Weltwährung wollen, oder ob sie das Thema
nur aufwerfen, um die Amerikaner von einer drastischen Dollar-Abwertung
abzuhalten. Schließlich behalten die in China aufgehäuften
Dollarvermögen und -reserven ihren Wert nur, wenn der Dollar
Weltwährung bleibt.
Der
frühere Antagonismus zwischen chinesischem „Kommunismus”
und amerikanischem Kapitalismus hat sich in den Augen liberaler
Zeitgenossen im Wohlgefallen gegenseitiger Geschäftsinteressen
aufgelöst. Chimerica oder G2 sind die Stichworte für diese
Sichtweise. Vorsichtigere Stimmen machen die transpazifischen
Ungleichgewichte — die eskalierenden Exportüberschüsse und
Leistungsbilanzdefizite — für den Ausbruch der Finanz- und
Wirtschaftskrise verantwortlich und warnen vor weiteren Einbrüchen,
die zu Protektionismus und einem neuen Kalten Krieg führen
könnten.
Verringerte Exportabhängigkeit Chinas bedeutet so viel wie
Erhöhung der Binnennachfrage. Bezüglich der chinesischen
Bourgeoisie muss sich da niemand Sorgen machen: Sie konsumiert und
investiert auf Teufel komm raus. Der Investitionsboom in China sowie der
damit einhergehende Aufbau von Produktionskapazitäten sind sogar eine
entscheidende Triebkraft der chinesischen Exportoffensive. Mangels
fehlender Massenkaufkraft sind diese Kapazitäten nur durch forcierte
Exporte halbwegs auszulasten. Die Alternative wären höhere
Löhne, die chinesische Arbeiter auch zu Konsumenten machen
würden.
Höhere
Löhne würden auch zur Lösung amerikanischer
Wirtschaftsprobleme beitragen. Um den American Standard of Living trotz
neoliberalen Rollbacks gegen Lohn und Sozialleistungen halbwegs
aufrechtzuerhalten, haben viele Arbeiterhaushalte im Laufe der letzten drei
Jahrzehnte ihre Ersparnisse aufgebraucht, ihre Häuser beliehen und
auch sonst jede Menge Schulden gemacht.
Für
das Finanzkapital waren diese Schulden ein gutes Geschäft. Der
schuldenfinanzierte Arbeiterkonsum war nützlich, weil er unter
Subalternen den Glauben wach hielt, dass es sich in Amerika viel besser
lebe als in Niedriglohnländern wie China.
Von
denselben Arbeiterhaushalten, deren Schulden bis zum Ausbruch der
gegenwärtigen Krise so manches Spekulationsgeschäft
ermöglicht und zur Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage
beigetragen haben, wird nun verlangt, mehr zu sparen, um künftige
Finanz- und Kreditkrisen zu vermeiden. Jeder Arbeiter weiß, dass man
nur sparen kann, wenn das Einkommen die laufenden Ausgaben für den
Lebensunterhalt übersteigt. Nur die Wirtschaftsexperten, die klug
über die Notwendigkeit einer höheren Sparquote fabulieren, wissen
es nicht.
Halten wir
fest: Der Abbau der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen
China und Amerika erfordert auf beiden Seiten des Pazifik höhere
Löhne. Nur dadurch kann in China die Massenkaufkraft gesteigert und in
Amerika die Belastung des Konsums durch private Überschuldung
verringert werden.
Ökonomen verpacken diese Botschaft in eine Technokratensprache, die
den darin enthaltenen Verteilungskonflikt verdeckt. Was aus
gesamtwirtschaftlicher Perspektive, und sei es zur Stabilisierung des
Kapitalismus, geboten ist, muss noch lange nicht mit den Interessen
praktizierender Kapitalisten übereinstimmen. Wenn überhaupt, sind
steigende Löhne nur gegen das Kapital durchzusetzen. Dafür ist
einzig die Frage nach den Aussichten der Klassenkämpfe von unten
praktisch relevant. Die Voraussetzungen dafür sind, gelinde gesagt,
nicht die besten.
Unter Maos
„sozialistischem” Regime wurden in China Industrie- und
Landarbeiterklassen erzogen, denen es an eigenständigen Organisations-
und Kampferfahrungen mangelt. Entsprechend schlecht waren sie darauf
vorbereitet, ihre Interessen gegen Dengs kapitalistische Restauration zu
verteidigen.
Beginnend
in den 80er Jahren wurde die chinesische Arbeiterklasse komplett
„umgebaut” Die Beschäftigung in den staatlichen Industrien
nahm dramatisch ab, während die Verelendung auf dem Land ein neues
Proletariat für den entstehenden Kapitalismus schuf. Heerscharen
inländischer, oft illegaler, Immigranten zogen vom Land in die
Elendsquartiere der Exportzentren entlang Chinas Küste.
Dem
Landleben noch halb verhaftet, mit unterschiedlichen regionalen Kulturen
groß geworden und ihrer Existenz als Industriearbeiter unsicher, haben
diese „Sunbelt-Proletarier” noch keine gemeinsame Sprache,
keine anderen kulturellen Ausdrucks-, Organisations- und Kampfformen
gefunden. Aber sie lernen: Eine Vielzahl lokal zersplitterter Kämpfe
gegen die Willkür von Bonzen und Bossen erweist sich als praktische
Schule des Klassenkampfs, aus der eine künftige Arbeiterbewegung
hervorgehen kann.
Ähnliche Entwicklungen sind mittlerweile auch im Staatssektor, Chinas
„Rustbelt”, zu beobachten. Nach Jahren passiven
Zurückweichens kommt es mittlerweile vermehrt zu Widerstand gegen
Arbeitsplatzvernichtung und die völlig unzureichende
Interessenvertretung durch Chinas Staatsgewerkschaften.
Parallel
zum Umbau der chinesischen Arbeiterklasse, und vielfach damit verwoben, hat
sich das Gesicht der amerikanischen Arbeiterklasse verändert. In den
alten Exportindustrien spielen Unternehmer und Gewerkschaften höhere
Produktivität gegen die Niedriglohnkonkurrenz aus China und anderen
Spätindustrialisierern aus. Die mit steigender Produktivität
verbundenen Arbeitsplatzverluste haben bereits in den 80er Jahren zur
Entstehung eines Rustbelts im Nordosten der USA geführt. Zugleich sind
im Südwesten gewerkschaftsfreie Sunbelt-Industrien entstanden, deren
Arbeitskräfte zu erheblichen Teilen aus den Agrarsektoren
Lateinamerikas eingewandert sind.
Die von IWF
und imperialistischen Interventionen erzwungene Integration dieser Sektoren
in den Weltmarkt hat zu Verelendungsprozessen und Migrationsbewegungen
geführt, die mit jenen vergleichbar sind, die durch die Privatisierung
der chinesischen Landwirtschaft ausgelöst wurden. Zudem hat sich,
über das ganze Land verstreut, ein Dienstleistungsproletariat
herausgebildet. Dessen Ränge bestehen insbesondere aus
lateinamerikanischen Einwanderern und Schwarzen, die von der
Restrukturierung der US-Ökonomie überdurchschnittlich hart
getroffen wurden.
Die
Vielfalt der neuen amerikanischen Arbeiterklasse wirft die gleichen
Probleme auf wie in China: Ohne praktische Erfahrungen im Konflikt mit
Staat und Kapital wird sich keine Arbeiterbewegung herausbilden, die
für höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten und bessere
Arbeitsbedingungen kämpfen kann.
Vor ein
paar Jahren ging eine Welle von Einwandererprotesten über das Land,
die 2006 zu den größten 1.-Mai-Kundgebungen in der Geschichte der
USA führten. Der Impuls dieser Bewegung ist teilweise in der im Namen
von „Change” geführten Wahlkampagne Barrack Obamas
aufgegangen.
Seit gut
einem Jahrzehnt bemühen sich darüber hinaus einige US-
Gewerkschaften um die Organisierung des neuen Proletariats in
Dienstleistungs- und Sunbeltindustrien.
Die Pleite
von General Motors und Chrysler in Michigan zeichnete sich seit geraumer
Zeit ab. Dass Kalifornien den Finanznotstand erklären und ehemalige
Computerspezialisten in Zeltstädten statt in schicken
Einfamilienhäusern leben würden, ist dagegen selbst für
viele Kritiker des US-Kapitalismus überraschend.
Ebenso
überraschend sind die Beschäftigungsprobleme in China. Das
Wirtschaftswachstum ist während der Krise nur leicht
zurückgegangen und lag selbst dann noch auf einem Niveau, das im
Westen mit dem Namen Wirtschaftswunder ausgezeichnet würde.
Das
Wachstum in China ist aber mittlerweile nahezu vollständig von
steigender Produktivität getragen und schafft daher keine neuen
Arbeitsplätze. Infolge anhaltender Zuwanderung vom Land ist daher auch
der chinesische Sunbelt von steigender Arbeitslosigkeit betroffen. Nun
dreht sich alles um die Frage, wie aktuelle Krisenerfahrungen und die
gemachten Arbeitskampf- und Organisationserfahrungen zusammenwirken.
Die Krise
kann zum Geburtshelfer neuer Arbeiterbewegungen werden, sie kann aber
ebenso zu einer Welle der Resignation, Anpassung und des
Zurückweichens führen.
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