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I dreamed I saw John Brown last night.
Keine Überraschung. Der alte Mann ist immer noch unter uns. Was manche
als seinen Wahn und andere als sein Märtyrertum betrachteten, wird immer
noch diskutiert, gefeiert oder geschmäht in jährlich Dutzenden von neu
erscheinenden Artikeln und Büchern. Außer vielleicht über Lincoln
ist über keinem seiner amerikanischen Zeitgenossen so viel geschrieben
worden wie über Old Captain John Brown: die Geißel der weißen
Vorherrrschaft.
Die Abschaffung
der Sklaverei war die große Sache seiner Zeit. Brown war ein Abolitionist
besonderer Art. Er erkannte den Kern der Angelegenheit: dass die Sklaverei ein
Krieg war, der Krieg eines Teils der Menschheit gegen einen anderen. Anders als
viele Vertreter der abolitionistischen Bewegung, sah er die Menschlichkeit der
Afrikaner als gegeben an; es war die Menschlichkeit der weißen
Bevölkerung, die für in fraglich war.
Brown war nicht
gut in Demokratie. Oder Kompromiss. Die Bundesregierung versuchte den Spagat,
die Sklaverei mit der weiteren Ausdehnung des US-Territoriums in Einklang zu
bringen, aber Brown blieb standhaft. Er war nicht gut darin, beide Seiten zu
sehen, aber er konnte die Angelpunkte der Geschichte genau ausmachen.
Einer dieser
Angelpunkte war Kansas.
Er schaffte
Waffen in das neue Territorium, das von sog. „Border Ruffians” aus
den Südstaaten belagert war, die entschlossen waren, mittels einer Kampagne
von Mord und Brandstiftung Kansas zu einem Sklavenhalterstaat zu machen. Die
Stadt Lawrence wurde von ihnen geplündert und in Brand gesteckt und die
free-staters 1 terrorisiert, bis eine einzige Nacht des Terrors
— fünf dieser „Ruffians” waren aus ihren Betten gezerrt
und umgebracht worden — die Südstaatler innehalten ließ und den
free-staters neuen Mut verschaffte.
Weder
reklamierte noch bestritt Brown seine Beteiligung an der blutigen Aktion im
Gasthaus Swamp of the Swan, aber beide Seiten wussten, wer es getan hatte. Die
Tat schreckte viele ab, brachte aber auch andere auf seine Seite. Die
Männer, die der alte Mann auswählte, war die Besten ihrer Tage:
Träumer vielleicht, Idealisten gewiss, aber Männer mit Mut.
Zu Pferde und
bewaffnet, konnte Browns Guerillagruppe bei Osawatomie und Black Jack
Streitkräfte, die ein Mehrfaches größer waren, besiegen oder
ihnen standhalten. Sie führten sogar Überfälle im
Sklavenhalterstaat Missouri durch, um Sklaven zu befreien und sie nach Kanada zu
schmuggeln. Harriet Tubman 2 hatte dies
stillschweigend und heimlich getan. Brown und seine Männer (darunter seine
Söhne) taten dies beritten und mit Armeecolts bewaffnet, ganz im Stil der
frontiersmen.
Die Zeitungen
des Osten liebten das. Osawatomie Brown, Kansas Brown wurde gefeiert und
gefürchtet. Dann verschwand er plötzlich. Ein Preis war auf seinen
Kopf ausgesetzt, aber niemand wagte es, sich ihn zu verdienen. Nur seine
vertrauten Freunde sahen ihn, als er in den Osten zurückkehrte: Frederick
Douglass, Emerson... Brown war mit Plänen zurückgekehrt, die
größer waren als Kansas. Er wollte den Krieg in den Süden tragen,
„nach Afrika”
Harpers Ferry,
damals in Virginia, gehörte zum Norden des alten Südens, wo der
Potomac nur sechzig Meilen von der Hauptstadt der Nation entfernt durch den Blue
Ridge stürzt. Freie Schwarze waren zahlreicher als die Sklaven, und die
Eisenbahn brauchte nur etwa eine Stunde bis Washington. Browns Ziel war ein
Waffenarsenal der Bundestruppen. Nicht wegen der veralteten Musketen (er hatte
bessere Gewehre), sondern wegen seines symbolischen Charakters, der Erkenntnis,
dass die Sklaverei eine Sache der ganzen Nation war und nicht nur des
Südens.
Brown
versammelte seine Kämpfer auf einer Farm in den Bergen. Zu den erfahrenen
Kämpfern aus Kansas stießen neue Rekruten, darunter entlaufene Sklaven
und freie Schwarze aus Oberlin. Aus Respekt für ihren Anführer lasen
sie die Bibel, aber sie kannten ihren Tom Paine und David Walker 3
besser. Brown wollte seinen Freund Frederick Douglass dabei haben, aber Douglass
drückte sich, überzeugt davon, dass Harpers Ferry „eine perfekte
Falle” sein würde. Falle oder Angelpunkt? Das hielt sich die Waage.
Die beiden Männer umarmten sich und schieden von einander. Shields Green,
ein entlaufener Sklave, der mit Douglass gekommen war, ging mit Brown:
„Ich glaube, ich gehe mit dem alten Mann."
Konnten 22
Männer, gut bewaffnet, diszipliniert, entschlossen, den Lauf der Geschichte
verändern? Brown dachte so. Sein Plan war zuzuschlagen und dann in den
Bergen zu verschwinden: um den Sklaven Mut zu machen und um die Sklavenhalter zu
erschrecken und die schwankenden Abolitionisten zu zwingen, die Angelegenheit
als das zu betrachten, was sie war: ein Krieg. Hätte er Erfolg gehabt,
wäre der Bürgerkrieg nicht von den Sezessionisten, sondern von den
Abolitionisten begonnen worden, und vom ersten Schuss an wäre es um die
Freiheit und nicht um die Union gegangen. Der Krieg hätte vielleicht nicht
so lange gedauert und sein Ausgang wäre vielleicht weniger blutig gewesen.
Aber es sollte
nicht sein.
In Harpers Ferry
zögerte Brown. Er nahm Geiseln. Er schwankte, blieb zu lange in der Stadt,
zum Entsetzen seiner Stellvertreter. Nach einer Reihe brillanter Erfolge
versagte Brown nur einmal, aber, wie Che Guevara ein Jahrhundert später
feststellte, einmal ist auch schon das letzte Mal.
Verwundet,
gefangen, umgeben von seinen Feinden und seinen sterbenden Männern,
kämpfte Captain Brown mit den einzigen Waffen, die ihm geblieben waren:
seinen Worten. Er war freimütig gegenüber seinen Widersachern, tapfer
und ohne jede Reue bis zum Schluss, sich seines Scheiterns ("durch meine
Torheit") ebenso bewusst wie der Rechtschaffenheit seiner Taten.
Kentucky sandte
ein Hanfseil und John Brown wurde gehängt. Im gesamten Norden läuteten
die Glocken; der Süden war schweigsam und besorgt — und,
nichtsahnend, dem Untergang geweiht.
Auf dem ganzen
Weg in die Adirondacks, wo Old Captain John Brown begraben wurde, folgten
Trauernde dem Leichenzug. Die Schwarzen, die er liebte, kannten ihn wohl und
betrauerten ihn als einen gefallenen Kämpfer. Victor Hugo, Thoreau und
Emerson betrauerten ihn als einen Märtyrer. Die Abolitionisten, die nun
Unionisten waren, marschierten in Amerikas größten und schrecklichsten
Krieg unter seinem Banner und sangen dabei die Hymne „John Browns
Body”
Er war ein Mann
seiner Zeit, die von der unseren weit entfernt ist in Geist und Substanz: Und
doch formen seine Taten unsere Gegenwart und seine Worte weisen immer noch auf
eine Zukunft, in einem Amerika voller Erregung und Ungewissheit unter seinem
ersten schwarzen Präsidenten.
John Brown
— alive as you and me.4
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