SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2009, Seite 28

John Brown (1800—1859)

Geißel der weißen Vorherrschaft

von Terry Bisson

Vor 150 Jahren, am 16.Oktober 1859, führte der weiße Abolitionist John Brown als Anführer einer aus 19 Schwarzen und Weißen bestehenden Guerillagruppe einen Angriff auf ein Waffenarsenal der US-Armee in Harpers Ferry (Virginia) durch. Der Anschlag scheiterte; Brown wurde gefangengenommen, hingerichtet und — zusammen mit zehn seiner Männer, die bei der Aktion getötet worden waren, darunter einer seiner Söhne — auf seiner Farm in North Elba, New York, beigesetzt. Militärisch war Browns Aktion ein Fehlschlag. Doch trotz aller Verleumdungen und Schmähungen — zu Browns wenigen prominenten Verteidigern gehörten damals Henry David Thoreau, Ralph Waldo Emerson und Walt Whitman —, war die Attacke ein Fanal, das den Weg zum Bürgerkrieg eröffnete. Der folgende Beitrag erschien in der Oktober-Ausgabe des New Yorker Magazins Monthly Review (www.monthlyreview.org).

I dreamed I saw John Brown last night.

Keine Überraschung. Der alte Mann ist immer noch unter uns. Was manche als seinen Wahn und andere als sein Märtyrertum betrachteten, wird immer noch diskutiert, gefeiert oder geschmäht in jährlich Dutzenden von neu erscheinenden Artikeln und Büchern. Außer vielleicht über Lincoln ist über keinem seiner amerikanischen Zeitgenossen so viel geschrieben worden wie über Old Captain John Brown: die Geißel der weißen Vorherrrschaft.
Die Abschaffung der Sklaverei war die große Sache seiner Zeit. Brown war ein Abolitionist besonderer Art. Er erkannte den Kern der Angelegenheit: dass die Sklaverei ein Krieg war, der Krieg eines Teils der Menschheit gegen einen anderen. Anders als viele Vertreter der abolitionistischen Bewegung, sah er die Menschlichkeit der Afrikaner als gegeben an; es war die Menschlichkeit der weißen Bevölkerung, die für in fraglich war.
Brown war nicht gut in Demokratie. Oder Kompromiss. Die Bundesregierung versuchte den Spagat, die Sklaverei mit der weiteren Ausdehnung des US-Territoriums in Einklang zu bringen, aber Brown blieb standhaft. Er war nicht gut darin, beide Seiten zu sehen, aber er konnte die Angelpunkte der Geschichte genau ausmachen.
Einer dieser Angelpunkte war Kansas.
Er schaffte Waffen in das neue Territorium, das von sog. „Border Ruffians” aus den Südstaaten belagert war, die entschlossen waren, mittels einer Kampagne von Mord und Brandstiftung Kansas zu einem Sklavenhalterstaat zu machen. Die Stadt Lawrence wurde von ihnen geplündert und in Brand gesteckt und die free-staters 1 terrorisiert, bis eine einzige Nacht des Terrors — fünf dieser „Ruffians” waren aus ihren Betten gezerrt und umgebracht worden — die Südstaatler innehalten ließ und den free-staters neuen Mut verschaffte.
Weder reklamierte noch bestritt Brown seine Beteiligung an der blutigen Aktion im Gasthaus Swamp of the Swan, aber beide Seiten wussten, wer es getan hatte. Die Tat schreckte viele ab, brachte aber auch andere auf seine Seite. Die Männer, die der alte Mann auswählte, war die Besten ihrer Tage: Träumer vielleicht, Idealisten gewiss, aber Männer mit Mut.
Zu Pferde und bewaffnet, konnte Browns Guerillagruppe bei Osawatomie und Black Jack Streitkräfte, die ein Mehrfaches größer waren, besiegen oder ihnen standhalten. Sie führten sogar Überfälle im Sklavenhalterstaat Missouri durch, um Sklaven zu befreien und sie nach Kanada zu schmuggeln. Harriet Tubman 2 hatte dies stillschweigend und heimlich getan. Brown und seine Männer (darunter seine Söhne) taten dies beritten und mit Armeecolts bewaffnet, ganz im Stil der frontiersmen.
Die Zeitungen des Osten liebten das. Osawatomie Brown, Kansas Brown wurde gefeiert und gefürchtet. Dann verschwand er plötzlich. Ein Preis war auf seinen Kopf ausgesetzt, aber niemand wagte es, sich ihn zu verdienen. Nur seine vertrauten Freunde sahen ihn, als er in den Osten zurückkehrte: Frederick Douglass, Emerson... Brown war mit Plänen zurückgekehrt, die größer waren als Kansas. Er wollte den Krieg in den Süden tragen, „nach Afrika”
Harpers Ferry, damals in Virginia, gehörte zum Norden des alten Südens, wo der Potomac nur sechzig Meilen von der Hauptstadt der Nation entfernt durch den Blue Ridge stürzt. Freie Schwarze waren zahlreicher als die Sklaven, und die Eisenbahn brauchte nur etwa eine Stunde bis Washington. Browns Ziel war ein Waffenarsenal der Bundestruppen. Nicht wegen der veralteten Musketen (er hatte bessere Gewehre), sondern wegen seines symbolischen Charakters, der Erkenntnis, dass die Sklaverei eine Sache der ganzen Nation war und nicht nur des Südens.
Brown versammelte seine Kämpfer auf einer Farm in den Bergen. Zu den erfahrenen Kämpfern aus Kansas stießen neue Rekruten, darunter entlaufene Sklaven und freie Schwarze aus Oberlin. Aus Respekt für ihren Anführer lasen sie die Bibel, aber sie kannten ihren Tom Paine und David Walker 3 besser. Brown wollte seinen Freund Frederick Douglass dabei haben, aber Douglass drückte sich, überzeugt davon, dass Harpers Ferry „eine perfekte Falle” sein würde. Falle oder Angelpunkt? Das hielt sich die Waage. Die beiden Männer umarmten sich und schieden von einander. Shields Green, ein entlaufener Sklave, der mit Douglass gekommen war, ging mit Brown: „Ich glaube, ich gehe mit dem alten Mann."
Konnten 22 Männer, gut bewaffnet, diszipliniert, entschlossen, den Lauf der Geschichte verändern? Brown dachte so. Sein Plan war zuzuschlagen und dann in den Bergen zu verschwinden: um den Sklaven Mut zu machen und um die Sklavenhalter zu erschrecken und die schwankenden Abolitionisten zu zwingen, die Angelegenheit als das zu betrachten, was sie war: ein Krieg. Hätte er Erfolg gehabt, wäre der Bürgerkrieg nicht von den Sezessionisten, sondern von den Abolitionisten begonnen worden, und vom ersten Schuss an wäre es um die Freiheit und nicht um die Union gegangen. Der Krieg hätte vielleicht nicht so lange gedauert und sein Ausgang wäre vielleicht weniger blutig gewesen.
Aber es sollte nicht sein.
In Harpers Ferry zögerte Brown. Er nahm Geiseln. Er schwankte, blieb zu lange in der Stadt, zum Entsetzen seiner Stellvertreter. Nach einer Reihe brillanter Erfolge versagte Brown nur einmal, aber, wie Che Guevara ein Jahrhundert später feststellte, einmal ist auch schon das letzte Mal.
Verwundet, gefangen, umgeben von seinen Feinden und seinen sterbenden Männern, kämpfte Captain Brown mit den einzigen Waffen, die ihm geblieben waren: seinen Worten. Er war freimütig gegenüber seinen Widersachern, tapfer und ohne jede Reue bis zum Schluss, sich seines Scheiterns ("durch meine Torheit") ebenso bewusst wie der Rechtschaffenheit seiner Taten.
Kentucky sandte ein Hanfseil und John Brown wurde gehängt. Im gesamten Norden läuteten die Glocken; der Süden war schweigsam und besorgt — und, nichtsahnend, dem Untergang geweiht.
Auf dem ganzen Weg in die Adirondacks, wo Old Captain John Brown begraben wurde, folgten Trauernde dem Leichenzug. Die Schwarzen, die er liebte, kannten ihn wohl und betrauerten ihn als einen gefallenen Kämpfer. Victor Hugo, Thoreau und Emerson betrauerten ihn als einen Märtyrer. Die Abolitionisten, die nun Unionisten waren, marschierten in Amerikas größten und schrecklichsten Krieg unter seinem Banner und sangen dabei die Hymne „John Brown‘s Body”
Er war ein Mann seiner Zeit, die von der unseren weit entfernt ist in Geist und Substanz: Und doch formen seine Taten unsere Gegenwart und seine Worte weisen immer noch auf eine Zukunft, in einem Amerika voller Erregung und Ungewissheit unter seinem ersten schwarzen Präsidenten.
John Brown — alive as you and me.4

Terry Bisson ist ein Science-fiction-Autor. Sein Buch Fire on the Mountain ist eine „alternative Geschichte”, die schildert, was geschehen wäre, hätte John Browns Überfall auf Harpers Ferry Erfolg gehabt. — Zu John Brown siehe auch George Novack, Homage to John Brown” (1938).
[Anmerkungen

1. Die Bewohner der free states, d.h. der US-Bundesstaaten und -Territorien, in denen schon vor der Sklavenemanzipation die Sklaverei nicht zugelassen war.
2. Harriet Tubman (etwa 1820—1913), schwarze Aktivistin der Abolitionistenbewegung und führende Vertreterin der als „Underground Railway” bekannten Bewegung, die entlaufene oder befreite Sklaven in die free states oder nach Kanada brachte. John Brown nannte sie „eine der besten und tapfersten Personen auf diesem Kontinent — General Tubman, wie wir sie nennen”
3. David Walker (1785—1830), radikaler schwarzer Abolitionist, der in einem Aufruf an die „Farbigen Bürger der Welt” (1829) die Sklaven zum Kampf für ihre Freiheit aufrief.
4. Die im Original wiedergegebenen Passagen am Beginn und Ende des Textes entstammen dem bekannten Lied der US-Arbeiterbewegung „Joe Hill” Der Autor hat statt Joe Hill den Namen „John Brown” eingesetzt.]


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang