Sozialistische Zeitung |
Die vom ruhmlosen Zusammenbruch der nichtkapitalistischen Staaten überraschte Linke leckt noch
immer ihre Wunden. Verdrängt wird vielfach, dass das ausgehende Jahrhundert nicht nur das zweier imperialistischer Weltkriege, das
von Auschwitz und Hiroshima gewesen ist, sondern auch ein Jahrhundert erfolgreicher sozialer und antikolonialistischer Revolutionen.
Ihnen gelang jedoch nicht der Durchbruch von der nationalen Ebene zur
weltweiten, globalen. So gerieten sie in eine bürokratische Sackgasse, deren Ausweg letzten Endes zum Rückfall in den
Kapitalismus führte. Dieser konnte nun als "Sieger der Geschichte" für um so größere Verwirrung sorgen,
als er die Globalisierung auf seine Fahne schrieb. Die unsichtbare Hand des Marktes soll durch die Konkurrenz aller gegen alle den Menschen
das materielle Glück bringen, das die staatliche geplante Zwangswirtschaft ihnen nicht zu geben vermochte.
Dem Dogma des Neoliberalismus, dass der Wettbewerb widerstreitender
Interessen auf dem freien Markt zum Erfolg der Besten, Stärksten und damit zum Nutzen aller führt, ist es gelungen, in Wissenschaft,
Politik und Medien einzudringen. Es hat wichtige Positionen in Universitäten und "Think Tanks", vor allem aber den
"Alltagsverstand" erobert. Denn hier bestimmt der Schein das Bewusstsein. In einem von Konkurs bedrohten Betrieb scheint die
Rettung darin zu liegen, durch Verzicht im Wettbewerb die Oberhand zu gewinnen. Wenn aber die Konkurrenten die gleiche Logik befolgen,
führt dies unweigerlich zur Verschärfung der Arbeitslosigkeit und Schwächung von Gegenwehr.
Der Jubel über die weltweit gestiegenen Aktienkurse und die
Voraussagen über das Wirtschaftswachstum im Jahr 2000 hat die Ängste verdrängt, die noch 1998 von höchsten
Autoritäten geäußert wurden, als ein Hurrikan über die globalen Finanzmärkte hinwegfegte. Über die
Gefahren, die der Menschheit vom Shareholder-Profit-Kapitalismus letzten Endes drohen, schreibt der Befreiungstheologe Franz Hinkelammert
in seinem kürzlich erschienenen Buch Kultur und Hoffnung: "Aus ,Die Weltgeschichte ist das Weltgericht wurde ,Weltmarkt
ist das Weltgericht. Das heißt, der Markt ist immer dann gerecht, wenn man die Gesetze des Marktes beachtet. Werden diese aber
beachtet, gelten auch die Ergebnisse als gerecht und richtig. Eine Kritik des Marktes im Namen der Ergebnisse des Marktes wird daher
ausgeschlossen. Diese Kritik wird selbst dann ausgeschlossen, wenn die Ergebnisse des Marktes durch die Zerstörung des Menschen und
der Natur das Überleben der Menschheit selbst gefährden. So verwandelt sich die freie Marktideologie in einen Heroismus des
kollektiven Selbstmords."
Ist es aber nicht ein hoffnungsvolles Zeichen, wenn 7500 von Entlassung
bedrohte Beschäftigte der Autoreifenfabrik Michelin in Paris unter der Losung demonstrieren: "An der Börse werden keine
Reifen produziert!"? Beweist dies nicht, dass in den Betrieben das Bewusstsein dafür wächst, wie irrsinnig ein
Wirtschaftssystem ist, in dem die Höhe der Aktienkurse über die Vernichtung von Arbeitsplätzen entscheidet?
Gilt heute nicht mehr, "dass die Menschheit sich immer nur den
Aufgabe stellt, die sie auch lösen kann", wie Karl Marx meinte? Denn "die Aufgabe selbst entspringt nur, wo die materiellen
Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder im Prozess des Werdens begriffen sind".
Aus einem Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen
vom Jahre 1998 geht hervor, wie der Grundbedarf der Weltbevölkerung an Nahrung, Bildung, Trinkwasser und Gesundheit problemlos
gedeckt werden könnte: mit nur 4% der Vermögen von 225 Milliardären! Es ist also wahr, dass jetzt - oder erst jetzt - die
Bedingungen zur Lösung der Aufgaben vorhanden sind, die sich der Menschheit stellen! Fragt sich nur, wo die Kräfte sind, um sie
durchzusetzen.
Es waren die sozialen Massenbewegungen - die Friedens-, die Frauen-, die
ökologische Bewegung, die letzten Endes auch die gewichtigen, schlecht manövrierbaren gewerkschaftlichen Großtanker ins
Schlepptau nahmen. Dem kleinen "Aktionskreis Leben" gelang es in den 70er Jahren sogar, die IG Metall nach neun Jahren dazu zu
bewegen, für die Abschaffung der Atomenergie zu stimmen.
Könnte nicht der massive Protest gegen die Errichtung einer Diktatur
der Welthandelsorganisation (WTO) ein Signal sein, das sich auch auf die Gewerkschaftsbewegung auswirkt? Immerhin geht es darum, dass
sich die von keinem Parlament gewählte oder absetzbare WTO das Recht herausnimmt, sämtliche Wirtschaftsbereiche, aber auch
Kultur, Gesundheit und Erziehung für den internationalen Wettbewerb zu öffnen, in dem nur die Mächtigsten überleben
und die Schwachen untergehen werden. Nationale, durch Parlamente beschlossene Gesetze können ausgehebelt werden, Widerstand
durch finanzielle Sanktionen bestraft werden. Alle Grundsätze der bürgerlichen Demokratie werden durch die WTO, die sowohl
Legislative als auch Exekutive und Judikative sein soll, aufgehoben.
In Seattle, wo die WTO-Konferenz scheiterte, wurde der Beweis erbracht,
dass die Globalisierung des Handels auch eine Weltunion des Widerstands geschaffen hat. Das war der zweite Schlag, den widerspenstige
Politiker, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Basisbewegungen der freien Marktwirtschaft versetzten. Im Oktober 1998 brachten sie
das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) zu Fall, das Konzernen das Recht geben sollte, ihre Investitionen gegen nationale
Abwehrmaßnahmen zu schützen. Das hätte das Ende staatlicher demokratischer Souveränität bedeutet.
Dass die WTO-Konferenz durch ein Direct Action Network zu Fall
gebracht wurde, das sich die Waffen der Globalisierer zu eigen machte, ist besonders pikant. Über eine Website und E-Mail-Listen
wurde monatelang zum Marsch auf Seattle aufgerufen. Vor Ort wurden Aktionen koordiniert, die zur Umzingelung der angereisten Minister
führten, mit einem Netzwerk aus Mobiltelefonen und Handfunkgeräten.
Francis Wurz, dem außenpolitischen Sprecher der
Französischen Kommunistischen Partei, der in Seattle erlebt hatte, dass die US-Außenministerin Albright, die über den Krieg
gegen Jugoslawien entscheiden konnte, von Demonstranten in ihrem Hotel gefangen gehalten wurde, war die Erregung noch anzusehen, als er
von Seattle geradewegs nach Berlin zur Bundeskonferenz der PDS kam. Er sagte dort: "Keine schicksalhafte Fatalität zeichnet den
Sieg eines immer wilderen Kapitalismus vor. Dass wir unsere politische Tätigkeit perspektivisch über den Kapitalismus hinaus
orientieren, scheint mir eine höchst aktuelle, gesellschaftliche Herausforderung zu sein." Wir werden uns im neuen Jahrhundert ihr
stellen müssen.
Jakob Moneta
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