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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.1 vom 08.01.2000, Seite 5

Einigung im Rentenstreit?

In den letzten Tagen vor Weihnachten hat sich - wie schon von früher bekannt - erneut eine "stille" große Koalition aus Regierungsparteien und CDU/CSU gebildet, um die Rentenfrage gemeinsam zu gestalten. Ausgangspunkt ist die von allen ausgerufene Krise des Sozialversicherungsystems. Die Renten würden wegen der demographischen Entwicklung in den nächsten fünfzig Jahren unsicher - entweder müssten die Aktiven zu viele Beiträge zahlen, oder die Rentner würden viel weniger Geld bekommen als heute (siehe SoZ 16-17/99, 18/99 und 20/99 zu Riesters Rentenreform).

Die Kohl-Blüm-Regelung bestand auf der langfristigen Absenkung des Rentenniveaus durch Neuberechnung aller Renten unter Einschluss eines demografischen Faktors. Nachdem die Schröder-Riester- Regierung dies rückgängig gemacht hatte, besteht ihre "Reform" nun in der kurzfristigen Absenkung aller Renten, die in den Jahren 2000 und 2001 nur noch um die Preissteigerungsrate, nicht mehr um die gesetzlich vorgeschriebene Erhöhung gemäß der Nettolohnentwicklung des Vorjahrs angehoben werden sollen.
Aber die Parteien und ihre Spitzen, die sich in ihrer Regierungszeit in unglaublicher Weise bereichert haben, möchten den Rentnern und den Beitragszahlern immer mehr Verzicht predigen. Drohend wird die "Rentnerschwemme" des nächsten Jahrhunderts an die Wand gemalt. Jeder müsse zusätzlich privat vorsorgen, sonst könne er keine auskömmliche Altersversorgung mehr erwarten.
Hier wird den Menschen, die nicht an die wirtschaftlichen Daten herankommen und die auf eine Berechnung durch Fachleute angewiesen sind, eine falsche Entwicklung vorgespiegelt. Herbert Schui, Volkswirtschaftsprofessor aus Hamburg, zeigte dies während einer Veranstaltung in Bochum im Dezember auf.
So sichert die Produktivitätsentwicklung auch in Zukunft die Versorgung von viel mehr Rentnern als heute, bei gleichbleibenden Beiträgen, wenn die Löhne entsprechend der Produktivität steigen würden - so wie es in den siebziger Jahren eine Zeit lang der Fall war (siehe auch SoZ 20/99).
Entscheidend ist: Die Gewerkschaften, oder vielmehr die Beschäftigten, müssen sich diese Lohnerhöhungen erkämpfen und damit gleichzeitig die Rentner versorgen.
Das ist allerdings der Verteilungskonflikt der kommenden Jahre, der durch eine schnelle Reform der Rentenversicherung vermieden werden soll. CDU und SPD sind sich einig, einer Rückkehr zur Nettolohnanpassung nach 2001 entgegenzutreten, die Riester zugesagt hat. Die sinkenden Rentenbeiträge kommen dann den Unternehmern zugute, während sich die Beschäftigten zusätzlich privat versichern, also steigende Beiträge allein tragen sollen. Zusätzlich lastet auf den Beschäftigten und allen anderen Konsumenten die steigende Ökosteuer, die die Unternehmen auf die Verbraucher über die Preise abwälzen.
Schui geißelte die "Dummheit", ein langfristiges System wie die Rentenversicherung über kurzfristige Steuern zu finanzieren, deren Zweck eigentlich ihre tendenzielle Abschaffung ist - denn natürlich ist eine Ökosteuer dazu da, die Umweltbelastung z.B. durch CO2 so teuer zu machen, dass sie immer mehr vermieden wird, was eigentlich zur Senkung dieser Steuer führen soll.
Man kann aber feststellen, dass das nicht die "Dummheit" der Regierenden ist, sondern eiskaltes Kalkül. Indem Ökosteuer und Rentenfinanzierung gemischt werden, wird einer Verschleierung beider Systeme Tür und Tor geöffnet und eine "Rente nach Kassenlage" politisch begründbar.
Dass sich dagegen nicht mehr Protest erhebt, sei es von Rentnern, sei es von Umweltschützern, ist ein großes Problem der politischen Entwicklung der nächsten Zeit. Dass die Gewerkschaften sich im Bündnis für Arbeit einbinden lassen und keine eigenständigen Forderungen erheben, ist der Skandal, den Beitragszahler und Rentner teuer bezahlen werden.
Herbert Schui schlug dagegen eine Produktivitätssteuer vor, die zur Finanzierung der Renten herangezogen werden könne. Wenn die Unternehmen aufgrund der Produktivitätsentwicklung immer mehr Menschen entlassen, immer mehr Arbeitsplätze vernichten, und die Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen dies nicht auffangen, dann führt die gestiegene Produktivität zu massiven Gewinnsteigerungen, die sich mit einer entsprechend gestalteten Steuer abschöpfen ließen.
Dieser Vorschlag wirkt bestechend. Das Problem - abgesehen von der Frage der Abwälzung über die Preise - ist die Machtfrage. Wer, wenn nicht eine stärkere Bewegung der abhängig Beschäftigten kann überhaupt Umverteilungen erzwingen? Und wer sonst könnte eine Regierung zu dieser Art Unternehmensbesteuerung veranlassen? Auch im neuen Jahr(hundert) wird nichts übrig bleiben, als Aufklärung und Widerstand gegen die Rentenlüge von oben zu organisieren.
Von den Gewerkschaften ist kaum ein müder Protest zu erwarten, haben sie sich doch fast alle darauf verständigt, ihren Mitgliedern zusätzliche "günstige" Lebens- und Rentenversicherungen anzubieten - bei privaten Versicherungen selbstverständlich. Irgend jemand muss ja daran verdienen können...
Rolf Euler
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