Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.1 vom 08.01.2000, Seite 14

Kohl und die Kohle

Das Ende von Jahr, Jahrzehnt, Jahrhundert und Jahrtausend hat der deutschen Mainstream-Linken noch ein schönes Thema serviert: die Fundraising-Methoden der CDU und ihres Ex-Kanzlers Kohl. Doch wie immer beweist sie auch hier ihre devote Ergebenheit vor und Versöhnung mit dem kapitalistischen System. Mehr noch: man liest aus den Stellungnahmen der Nahles, Gilges, von Larcher, Thierse, Brie, Gysi und wie sie alle heißen eine doppelte Dankbarkeit heraus.
Zunächst erlaubt die heuchlerische Klage über den Regelverstoß von Kohl eine kostenlose Reparatur der ideologischen Märchenkulisse von der "uneigennützigen politischen Arbeit der Parteien", von der "Demokratienützlichkeit" der Milliarden, die jährlich durch das System der deutschen politischen Landschaft gepumpt werden, um das Volk recht völkisch und um aus Krieg Friedenspolitik und aus Umverteilung von unten nach oben eine Reform für die Zukunft zu machen. Für diesen Zweck drückt die Mehrheitslinke gern ein Tränchen ab. Für die Sozialdemokraten mag dies sogar Erleichterung gebracht haben. Sie waren es doch, die ihren Kanzler mit bisher unerreichter privatwirtschaftlicher Vermarktung an die Macht gebracht haben. Ihr Kanzler pfeift auf solche Werte wie innerparteiliche Demokratie oder Vertrauensschutz in der Politik. Für Medienauftritte, kostenlose Werbetexte und Unterstützung seiner "Kampa" waren und sind Freundschaften und Kabinettsabsprachen so wenig wert wie Parteistatuten.
Wenn auch die Parteien SPD und Grüne wahrlich nicht zu den Lieblingen der Herrschenden in diesem Lande zählen, so haben die letzteren die Prostitution des Kandidaten und späteren Kanzlers genüsslich mitgenommen. So wie der kleine Stricher in der Fernsehtalkshow die Hosen runter lässt, so dient sich der große namens Schröder den Medien an. Dass "Partei"-Tage dabei zu Showveranstaltungen werden, hat zwar auch die CDU mehr als schlecht zelebriert, dass sie gleich von den privaten Konzernen der Gastronomieindustrie ausgerichtet werden, ist "Zugewinn" der SPD.
Aber das ist noch nicht der einzige Grund für die devote Haltung der Mehrheitslinken. Dass jetzt alle Welt von einem "System Kohl" spricht, erlaubt ein wenig Hochnäsigkeit und damit freie Luft zum Atmen, wo es doch schon recht stickig im sozialdemokratischen Milieu geworden war. Ein Jahr an der Regierung hat bisher nur die Erkenntnis erneuert, dass SPD und Grüne damit noch lange nicht an der Macht sind. Beinahe mit sadistischer Freude haben die Unternehmerverbände und Konzernchefs alle "rot-grünen" Projekte nach Belieben gestoppt, umgemodelt und manipuliert.
Obwohl die Ausgangspositionen bei Ökosteuer, ungeschützten Arbeitsverhältnissen, Atomausstieg, Scheinselbständigkeit, Steuerreform und "Bündnis für Arbeit" schon alles andere als radikal und im Interesse der Bevölkerungsmehrheit waren, machten die Regierungs-"Linken" einen Rückzieher nach dem anderen. Sie warfen sich "der Wirtschaft", gegen die laut Schröder angeblich keine Politik gemacht werden kann, freiwillig zu Füßen und ohne dafür nennenswerte Geldbeträge zu erhalten. Ließen sich die Kohl-Regierung und ihre Amigos aus dem Vorfeld der Rüstungsindustrie und der Geheimdienste die Genehmigung des Panzerexports nach Saudi-Arabien noch gut bezahlen, so gab es - und wird es in Zukunft weiterhin geben - diese Dienstleistung beim Panzergeschäft mit der Türkei durch die SPD-Grünen-Regierung umsonst.
Eine präzise Aufklärung über die wirklichen Verhältnisse wird von den Mehrheitslinken gar nicht mehr erwartet, aber müssen sie sich immer so entwürdigend zum Teil des Problems machen? Die Sozialdemokratie verdankt die immer noch funktionierende Doppelzüngigkeit von Jammern über die Zustände, bei dem die Systemkritik immer nur dann mit eingeflochten wird, wenn Druck von außen es erfordert, auf der einen und braver Ausführung der Regierungsgeschäfte der Herrschenden auf der anderen Seite zum großen Teil dem spezifischen deutschen Modell der Politikfinanzierung und -gestaltung.
Dieses System mit bürgerlichen Massenparteien, föderativer Verwaltungs- und Parlamentsstruktur, Verhältniswahlrecht und ausgeprägter staatlicher Parteienfinanzierung über Wahlkampfkostenerstattung, Ämterproporz und Stiftungsrecht hat den Vorteil, äußerst stabil zu sein. Außerdem ist es wohl die optimale Verschleierung der tatsächlichen Machtverhältnisse im Land, was mit hohen Wahlbeteiligungen der WählerInnenmassen gelohnt wurde.
Der Nachteil ist allerdings: es ist extrem teuer und es funktioniert nur, wenn die Einkommen der herrschenden politischen Elite und die Einkommen der Wirtschaftsbonzen in vergleichbarer Höhe liegen. In den letzten zwanzig Jahren ist letzteres erheblich durcheinandergeraten. Gleichzeitig lassen Shareholder-Value-Politik und engere Profitraten generell nicht mehr, sondern nur noch erheblich weniger Geld für politische Landschaftspflege übrig. Das ist der materielle Hintergrund der Krise des Parteiensystems in Deutschland und für die angebliche Politikverdrossenheit. Die Krise der SPD ist nur ein Teil davon, wie auch das angebliche "System Kohl".
Thies Gleiss
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