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Die Gruppe Internationale Marxisten (GIM), die sich von 1969 bis 1986 auf der Bühne der radikalen
Linken in Deutschland tummelte, war nie eine Massenorganisation. Dennoch war die deutsche Sektion der IV.Internationale mit ca. 600
Mitgliedern die größte trotzkistische Organisation in der BRD. Zu ihren Grundüberzeugungen gehörte die Ablehnung
eines stalinistischen Gesellschaftssystems, die Bereitschaft zu Bündnissen mit allen Gruppen der Linken bei offener Diskussion der
vorhandenen Differenzen, die Notwendigkeit einer nationalen und internationalen Organisation, der revolutionäre Bruch mit dem
bürgerlichen Staat und die Betonung demokratischer Rechte sowohl im Kapitalismus als auch im Arbeiterstaat.
"Im Nachhinein war ich erstaunt darüber, wie die GIM, ein
politischer Winzling … es fertig brachte, auf so vielen gesellschaftlichen und politischen Feldern aktiv zu werden", eröffnet Jakob
Moneta in seinem Vorwort zum Buch "Die GIM. Zur Politik und Geschichte der Gruppe Internationale Marxisten" von
Günther Gellrich.
Sein Buch, das Gellrich zuvor als Abschlussarbeit zum Diplom-
Sozialwissenschaftler veröffentlicht hatte, erklärt dieses Phänomen. Anders als in vielen der damals existierenden linken und
revolutionären Parteien und Organisationen gab es kaum bedeutende gesellschaftliche Felder, die die GIM in ihrer politischen Ananlyse
ausklammerte, weil sie nicht in ihr Schema gepasst hätten. Ob Friedensbewegung, Gewerkschaften, Deutsche Kommunistische Partei, K-
Gruppen, Rote Armee Fraktion, Frauenbewegung, Grüne, Demokratische Sozialisten oder SPD - die GIM hat sie als relevante Elemente
für eine gesellschaftliche Veränderung ernstgenommen, die Auseinandersetzung mit ihnen gesucht und teilweise sogar mitgemischt.
Das machte sie nicht nur mit ihren zahlreichen Publikationen, von denen die bedeutendste Was tun hieß und zeitweise eine Auflage von
9000 erreichte. Sie arbeitete auch mit in Gewerkschaften, Betriebsgruppen, Basisinitiativen und internationalen Solidaritätskampagnen.
Wesentlich dazu beigetragen hat ohne Zweifel das
Demokratieverständnis der GIM, das sowohl nach außen als auch innerhalb der Organisation zum Tragen kam. Die Debatten um
heiße politische Themen verliefen auch deshalb immer kontrovers, weil jedes der 600 aktiven Mitglieder - passive Mitgliedschaft war
ausgeschlossen - eine akzeptierte Minderheitenströmung begründen konnte. Damit sollte die Gefahr von Abspaltungen wegen
einzelner Meinungsverschiedenheiten und auch von "Versektung" reduziert werden, die vor allem dann eintreten, "wenn
Kräfte in der Organisation fehlen, die zur Überprüfung und auch Korrektur von Mehrheitspositionen führen".
Durch dieses Recht versprach man sich auch, einer für viele politischen Organisationen so typischen "Geheimbündelei"
weitgehend den Boden zu entziehen.
Diese innerorganisatorische Demokratie unterschied die GIM von den
rigiden stalinistischen und maoistischen Organisationen. In einigen Fällen jedoch "führten die Tendenz- und
Fraktionsauseinandersetzungen sogar bis an die Grenze der Handlungsfähigkeit" und absorbierten einen "bedeutenden Teil der
politischen Energie", schreibt Gellrich. Nicht selten kam es auch zu Abspaltungen.
Nach außen hin erweckte die GIM bisweilen den Eindruck einer
inhaltlich schwankenden Organisation. Eine wesentliche Rolle spielten dabei ihre Wahlaufrufe, deren taktische Erwägungen für
Außenstehende kaum nachvollziehbar sein dürften. Mal war es ein Aufruf für die SPD, von vielen als
"bürgerliche Arbeiterpartei" angesehen, ein anderes Mal für einige der K-Gruppen, die als "Organisationen die
revolutionäre Lösung der Krise verkörpern", dann wieder für die Grünen und Alternativen, da "vor
allem die Stimmen … ein Gradmesser für Kräfte sein werden, die zugleich ein Ende der Wende und eine grundsätzlich
andere Politik wollen". Zu den Bundestagswahlen 1976 trat die GIM selbst an - sie hatte drei Landeslisten und zwölf
Direktkandidaturen. Das Ergebnis lag unter 0,1%.
Weniger diffus und geradezu vorausschauend war die Einschätzung
der Grünen. Anlässlich des Gründungskongresses der Grünen wandte sich die GIM im Januar 1980 gegen die
Beteiligung an der neuen Partei, da "sich die kleinbürgerliche Orientierung" klar erwiesen habe. Die
"Arbeiterklasse" sei kein "Orientierungspunkt" und die Ablehnung der etablierten Parteien durch die Grünen sei zu
"undifferenziert", denn die SPD repräsentiere "trotz der reaktionären Politik ihrer Führung eine andere
Klasse als CDU und FDP". Was nach Einschätzung Gellrichs zunächst ein Reflex auf eine vermeintliche Bedrohung der
eigenen Existenz durch die neue Parteigründung war, wurde durch die weitere Entwicklung der Grünen bald bestätigt. 1983
kritisierte die GIM unter anderem das "linksreformistische" Wirtschaftsprogramm, die "pazifistischen Illusionen" in der
Friedensdebatte und die mangelnde außerparlamentarische Aktivität.
Das sollte drei Jahre später 43 GIM-Mitglieder nicht davon abhalten,
doch noch den Grünen beizutreten. Denn 1986 hatte die GIM ihre Fusion mit der KPD/ML zur Vereinigten Sozialistischen Partei (VSP)
beschlossen. Die Minderheit der 43 bezeichnete die Verschmelzung als "selbstbetrügerische Euphorie" und befürchtete
"weitere Vereinigungen mit politisch ratlosen und oftmals extrem sektiererischen Organisationen". Noch heute sind einige den
Grünen treu geblieben. Wieviele es genau sind, ist schwer abzuschätzen. Doch nicht nur die Grünen sind politisch
völlig degeneriert, auch die Vereinigung der beiden Miniparteien hat nicht zu einem Aufschwung beigetragen. Gemessen an der GIM und
KPD/ML ist die VSP weiter geschrumpft und hat sich abermals gespalten.
In seinem Vorwort wirft Jakob Moneta die Frage auf, was all die
Spaltungen gebracht haben, wo das eigentliche Ziel - "ein relevanter Faktor in der Arbeiterklasse oder den sozialen Bewegungen zu
werden, der in der Praxis über die kapitalistische Gesellschaftsordnung hinausweist" - geblieben sei. Offenbar hatten sich die
Diskussionen innerhalb der GIM zu sehr verselbständigt, so dass die daraus resultierenden Übergangsforderungen für die
begehrte "Masse" kaum noch verständlich waren. Fatal, denn gerade die Übergangsforderungen sollen an den konkreten
Bedürfnissen und dem Bewusstsein der "Massen" anknüpfen und "zusammengenommen an die Grenze des
kapitalistischen Systems führen". An dieser Stelle gibt Jakob Moneta den Nachfolgeorganisationen VSP und RSB den Rat mit auf
den Weg, bei der Lösung großer Fragen "nicht in abstrakten historischen Kategorien" zu denken, sondern "an den
konkreten Menschen", die "Träger der Revolution" (Karl Radek über Lenin).
38 Mark sind ein stolzer Preis. Dennoch ist das Buch vor allem für
diejenigen als authentische Fallstudie lesenswert, die nach wie vor eine Bündelung der Kräfte anstreben, "die sich für
eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft einsetzen" (VSP-Programm). Denn spätestens nach dem Zusammenbruch der
sich selbst als "sozialistisch" bezeichnenden Staaten sind viele Ansätze der GIM mehr als bedenkenswert.
Gerhard Klas
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