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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.2 vom 20.01.2000, Seite 1

CDU vor dem Untergang?

Beinahe täglich wird in der endlosen Geschichte der CDU-Korruptionsaffären und Skandale eine neue Seite aufgeblättert. Eine besonders pikante Färbung erhält der Skandal durch das Eingeständnis des langjährigen hessischen CDU-Vorsitzenden und als "Law-and-Order-Mann" bekannten früheren Bundesinnenministers Kanther, die zugeflossenen 12,7 Millionen stammten nicht - wie bisher immer behauptet - aus "Vermächtnissen" verstorbener ausländischer Bürger, sondern seien von der CDU 1982 im Ausland angelegt worden.
Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass bislang erst die Spitze des Eisbergs sichtbar geworden. Die Beteuerungen von Parteichef Schäuble, "alles aufklären und in Ordnung bringen" zu wollen, sind heiße Luft. Hat nicht gerade er am 2.Dezember 1999 im Bundestag ein nur flüchtiges Treffen mit dem Spekulanten Schreiber eingeräumt und auf Nachfrage des grünen Abgeordneten Ströbele nach bestimmten Koffern barsch verneint, Geld in Empfang genommen zu haben?
Letzte Woche gestand er en passant in der ARD den Empfang einer Spende von 100.000 Mark, die natürlich nicht richtig verbucht wurde, ein. Dadurch ist seine Glaubwürdigkeit auch in der eigenen Partei tief erschüttert. Außerdem hat er durch sein Verhalten klargemacht, was er vom deutschen Parlament bzw. vom "Souverän" hält.
Die CDU ist in die wahrscheinlich tiefste Krise ihrer Geschichte geschlittert. Es handelt sich hier um eine dreifache Krise, deren Bestandteile miteinander verwoben sind und sich durchdringen: eine Krise der Führung, eine Krise der Organisation und eine programmatische Krise, wie sie auch in anderen konservativen Parteien Europas, wie in Österreich, Italien, oder Frankreich, deutlich zutage liegt.
Besonders offensichtlich ist nach Kohls Bekenntnissen und Schäubles Eingeständnis die Führungskrise der Union. Ein Vorsitzender mit Dreck an den Fingern, dem nachgewiesen wird, das Parlament belogen zu haben, und der schon immer zum engsten Kreis von Helmut Kohl gehörte, wäre normalerweise keinen Tag zu halten. In diese Richtung argumentieren auch zahlreiche Kommentatoren der bürgerlichen Presse.
Doch wird die Union Schäuble nicht so ohne weiteres abhalftern - wiewohl diese Möglichkeit inzwischen nicht mehr ausgeschlossen werden kann -, weil keine Person mit ähnlicher Erfahrung und Kompetenz sichtbar ist, die die verschiedenen Lager zusammenhalten könnte. Rühe ist in der Partei umstritten und gilt vor allem der wichtigen "Südschiene" als nicht vermittelbar. Rüttgers gilt als treuer Gefolgsmann Kohls.
Beide stehen vor schwierigen Landtagswahlen, bei denen sie nach Lage der Dinge kräftige Abfuhren riskieren und dann erst recht beschädigt wären. Außerdem waren sie zumindest ein Jahrzehnt lang so eng mit "dem Alten" verbunden, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie nicht über das Anderkontensystem informiert waren. Vielleicht sind sie tiefer darin verstrickt, als heute bekannt ist.
Angela Merkel fehlt es an Autorität; als "Ossifrau" und Pfarrerstochter verfügt sie auch nicht über die nötigen Beziehungen zur Wirtschaft, ohne die es in der Union nicht geht. Und Biedenkopf gehört dem gleichen Jahrgang an wie Kohl; als dessen Intimfeind und ohne Hausmacht würde er schnell in die Konflikte zwischen den Lagern hineingezogen. Die "Jungen" wie Wulff, Koch, Beust oder Müller sind allesamt Leichtgewichte, die sich ihre Sporen erst noch verdienen müssen.
Die Wahlerfolge der Union im Jahre 1999 haben die tiefe programmatische Krise etwas in den Hintergrund treten lassen; sie wird nun um so schärfer ausbrechen. Roland Koch hat die Wahlen in Hessen vor allem mittels einer säuischen Hetzkampagne gegen die "doppelte Staatsbürgerschaft" gewonnen. Aber die Zahl der Einbürgerungen steigt seit Jahren, so dass Teile der Union fürchten, dieses Wählerklientel auf Dauer ins Lager der politischen Konkurrenz zu treiben. Nicht nur die "modernen Grünen" sehen in einer solchen Politik einen "Standortnachteil".
Weiter ging es mit populistischen Kampagnen gegen das Sparpaket der Regierung. Diese konnten die Glaubwürdigkeit der Union insofern nicht beleben, als sie ja selbst diverse Sparoperationen durchgezogen und insbesondere die Renten längerfristig noch stärker senken wollte, als von Rot-Grün geplant.
Dieselbe demagogische Methode sollte bei den Wahlen in Schleswig- Holstein und Nordrhein-Westfalen auch gegen die Ökosteuer angewandt werden. Noch vor drei Jahren hatte Schäuble jedoch selbst für deren Einführung plädiert und der frühere Umweltminister Töpfer wollte das Benzin jedes Jahr um 10 Pfennig verteuern.
Auch in der Steuerdebatte konnten sich die verschiedenen Strömungen in der Union nicht auf ein gemeinsames Modell einigen. Schließlich gibt der traditionelle Antikommunismus auch keinen Ersatz für fehlende Programmatik mehr ab, wie Peter Hintze in der "Rote-Socken-Kampagne" zu seinem Leidwesen erfahren durfte.
Die CDU wird dank ihrer illegalen Praxis der Anderkonten wohl erhebliche Beträge an den Staat zurückzahlen müssen. Andererseits haben die Hoffnungen, spätestens 2002 an die Regierung zurückkehren zu können, einen massiven Dämpfer erlitten. Dies wird aller Voraussicht nach dazu führen, dass für die Partei viele eingeplante Millionen nicht mehr fließen werden. Warum sollte die Wirtschaft eine Partei unterstützen, die ihr auf absehbare Zeit wenig zu Diensten sein kann?
Außerdem dürften die Skandale und Misserfolge auch zu einem kräftigen Aderlass in der (überalterten) Mitgliedschaft führen, wo sich Demoralisierung ausbreitet. Kräftige Schnitte im Apparat, der unter Kohl aufgebaut wurde und der ihm treu ergeben war, werden wohl unvermeidlich kommen.
Dadurch könnte jedoch eines nicht mehr fernen Tages Heiner Geißlers Alptraum Wirklichkeit werden, nämlich dass es der Union nicht mehr gelingt, das (klein)bürgerliche, das christlich- soziale und das konservativ-nationale Lager zusammenzubinden. Wer weiß, ob nicht ein deutscher Haider in den Startlöchern steht? Eine solche Entwicklung brächte eine tiefgreifende Erschütterung der gesamten Parteienlandschaft mit ungewissem Ausgang.
Paul Kleiser
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