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Beinahe täglich wird in der endlosen Geschichte der CDU-Korruptionsaffären und Skandale eine
neue Seite aufgeblättert. Eine besonders pikante Färbung erhält der Skandal durch das Eingeständnis des
langjährigen hessischen CDU-Vorsitzenden und als "Law-and-Order-Mann" bekannten früheren Bundesinnenministers
Kanther, die zugeflossenen 12,7 Millionen stammten nicht - wie bisher immer behauptet - aus "Vermächtnissen" verstorbener
ausländischer Bürger, sondern seien von der CDU 1982 im Ausland angelegt worden.
Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass bislang erst die Spitze des
Eisbergs sichtbar geworden. Die Beteuerungen von Parteichef Schäuble, "alles aufklären und in Ordnung bringen" zu
wollen, sind heiße Luft. Hat nicht gerade er am 2.Dezember 1999 im Bundestag ein nur flüchtiges Treffen mit dem Spekulanten
Schreiber eingeräumt und auf Nachfrage des grünen Abgeordneten Ströbele nach bestimmten Koffern barsch verneint, Geld
in Empfang genommen zu haben?
Letzte Woche gestand er en passant in der ARD den Empfang einer Spende
von 100.000 Mark, die natürlich nicht richtig verbucht wurde, ein. Dadurch ist seine Glaubwürdigkeit auch in der eigenen Partei
tief erschüttert. Außerdem hat er durch sein Verhalten klargemacht, was er vom deutschen Parlament bzw. vom
"Souverän" hält.
Die CDU ist in die wahrscheinlich tiefste Krise ihrer Geschichte
geschlittert. Es handelt sich hier um eine dreifache Krise, deren Bestandteile miteinander verwoben sind und sich durchdringen: eine Krise der
Führung, eine Krise der Organisation und eine programmatische Krise, wie sie auch in anderen konservativen Parteien Europas, wie in
Österreich, Italien, oder Frankreich, deutlich zutage liegt.
Besonders offensichtlich ist nach Kohls Bekenntnissen und Schäubles
Eingeständnis die Führungskrise der Union. Ein Vorsitzender mit Dreck an den Fingern, dem nachgewiesen wird, das Parlament
belogen zu haben, und der schon immer zum engsten Kreis von Helmut Kohl gehörte, wäre normalerweise keinen Tag zu halten. In
diese Richtung argumentieren auch zahlreiche Kommentatoren der bürgerlichen Presse.
Doch wird die Union Schäuble nicht so ohne weiteres abhalftern -
wiewohl diese Möglichkeit inzwischen nicht mehr ausgeschlossen werden kann -, weil keine Person mit ähnlicher Erfahrung und
Kompetenz sichtbar ist, die die verschiedenen Lager zusammenhalten könnte. Rühe ist in der Partei umstritten und gilt vor allem der
wichtigen "Südschiene" als nicht vermittelbar. Rüttgers gilt als treuer Gefolgsmann Kohls.
Beide stehen vor schwierigen Landtagswahlen, bei denen sie nach Lage der
Dinge kräftige Abfuhren riskieren und dann erst recht beschädigt wären. Außerdem waren sie zumindest ein Jahrzehnt
lang so eng mit "dem Alten" verbunden, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie nicht über das Anderkontensystem
informiert waren. Vielleicht sind sie tiefer darin verstrickt, als heute bekannt ist.
Angela Merkel fehlt es an Autorität; als "Ossifrau" und
Pfarrerstochter verfügt sie auch nicht über die nötigen Beziehungen zur Wirtschaft, ohne die es in der Union nicht geht. Und
Biedenkopf gehört dem gleichen Jahrgang an wie Kohl; als dessen Intimfeind und ohne Hausmacht würde er schnell in die
Konflikte zwischen den Lagern hineingezogen. Die "Jungen" wie Wulff, Koch, Beust oder Müller sind allesamt
Leichtgewichte, die sich ihre Sporen erst noch verdienen müssen.
Die Wahlerfolge der Union im Jahre 1999 haben die tiefe programmatische
Krise etwas in den Hintergrund treten lassen; sie wird nun um so schärfer ausbrechen. Roland Koch hat die Wahlen in Hessen vor allem
mittels einer säuischen Hetzkampagne gegen die "doppelte Staatsbürgerschaft" gewonnen. Aber die Zahl der
Einbürgerungen steigt seit Jahren, so dass Teile der Union fürchten, dieses Wählerklientel auf Dauer ins Lager der
politischen Konkurrenz zu treiben. Nicht nur die "modernen Grünen" sehen in einer solchen Politik einen
"Standortnachteil".
Weiter ging es mit populistischen Kampagnen gegen das Sparpaket der
Regierung. Diese konnten die Glaubwürdigkeit der Union insofern nicht beleben, als sie ja selbst diverse Sparoperationen durchgezogen
und insbesondere die Renten längerfristig noch stärker senken wollte, als von Rot-Grün geplant.
Dieselbe demagogische Methode sollte bei den Wahlen in Schleswig-
Holstein und Nordrhein-Westfalen auch gegen die Ökosteuer angewandt werden. Noch vor drei Jahren hatte Schäuble jedoch selbst
für deren Einführung plädiert und der frühere Umweltminister Töpfer wollte das Benzin jedes Jahr um 10
Pfennig verteuern.
Auch in der Steuerdebatte konnten sich die verschiedenen
Strömungen in der Union nicht auf ein gemeinsames Modell einigen. Schließlich gibt der traditionelle Antikommunismus auch
keinen Ersatz für fehlende Programmatik mehr ab, wie Peter Hintze in der "Rote-Socken-Kampagne" zu seinem Leidwesen
erfahren durfte.
Die CDU wird dank ihrer illegalen Praxis der Anderkonten wohl
erhebliche Beträge an den Staat zurückzahlen müssen. Andererseits haben die Hoffnungen, spätestens 2002 an die
Regierung zurückkehren zu können, einen massiven Dämpfer erlitten. Dies wird aller Voraussicht nach dazu führen,
dass für die Partei viele eingeplante Millionen nicht mehr fließen werden. Warum sollte die Wirtschaft eine Partei
unterstützen, die ihr auf absehbare Zeit wenig zu Diensten sein kann?
Außerdem dürften die Skandale und Misserfolge auch zu einem
kräftigen Aderlass in der (überalterten) Mitgliedschaft führen, wo sich Demoralisierung ausbreitet. Kräftige Schnitte
im Apparat, der unter Kohl aufgebaut wurde und der ihm treu ergeben war, werden wohl unvermeidlich kommen.
Dadurch könnte jedoch eines nicht mehr fernen Tages Heiner
Geißlers Alptraum Wirklichkeit werden, nämlich dass es der Union nicht mehr gelingt, das (klein)bürgerliche, das christlich-
soziale und das konservativ-nationale Lager zusammenzubinden. Wer weiß, ob nicht ein deutscher Haider in den Startlöchern steht?
Eine solche Entwicklung brächte eine tiefgreifende Erschütterung der gesamten Parteienlandschaft mit ungewissem Ausgang.
Paul Kleiser
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