Sozialistische Zeitung |
Alle Staaten und Wirtschaftsstandorte der Welt konkurrieren miteinander - um die niedrigsten Steuern,
geringsten Sozialleistungen und marginalsten Umweltauflagen. Eine Antwort auf diese heillose Deregulierung könnten internationale
Tarifverträge sein; Vorreiter auf diesem Gebiet sind die Seeleute. Das Problem: Die Verträge müssen auch durchgesetzt
werden.
Die Gewerkschaften in mehr als zwanzig europäischen
Ländern wollten Ende September 1999 einmal mehr in einer Aktionswoche den Tarifvertrag der Internationalen
Transportarbeiterföderation (ITF) auf Billigflaggenschiffen durchsetzen. Die Gewerkschaft ÖTV appellierte in Deutschland an die
Arbeiter in allen Häfen: Sie sollten Billigflaggenschiffe ohne Tarifvertrag boykottieren. Denn die sozialen Unterschiede werden von den
Reedern weltweit ausgenutzt. Sie drücken die Arbeitsbedingungen der Seeleute. Die nationalen Gewerkschaften kämpfen deshalb
gemeinsam mit der ITF für weltweite Tarifverträge.
In der ITF-Aktionswoche im Sommer 1996 etwa kontrollierten die Seeleute
zahlreiche Schiffe daraufhin, ob die Reeder auf ihnen die ITF-Tarifverträge einhalten: In dieser Aktionswoche erzwangen sie allein in
Deutschland auf fast dreißig Schiffen den ITF-Tarifvertrag. Im Frühling 1997 unterschrieben die Reeder in einer Aktionswoche
sogar fast hundert ITF-Tarifverträge. Sie mussten europaweit umgerechnet vier Millionen Mark an Heuern nachzahlen.
Ein Matrose verdient derzeit nach dem ITF-Tarifvertrag etwas mehr als
tausend Dollar. In der Regel zahlen die Reeder auf Billigflaggenschiffen aber nur ungefähr 400 Dollar Heuer - inkl. der
Überstunden. Auch sieht der ITF-Tarifvertrag einige Erleichterungen der Arbeitsbedingungen vor: Die sogenannten "Lösch-
und Lascharbeiten" müssen von Hafenarbeitern ausgeführt werden. Seeleute dürfen dafür nicht eingesetzt werden.
Die Seeleute und Hafenarbeiter kämpfen auch deshalb gemeinsam für ihre Tarifverträge.
Als nahezu rechtsfreie Räume sind die Schiffe unter Billigflagge bei
Reedern naturgemäß beliebt. In den letzten 30 Jahren wurden auch in Deutschland immer mehr Schiffe "ausgeflaggt". So
haben die Reeder freie Bahn: Sie beschäftigen Seeleute aus Ländern, die keinen sozialen Schutz bieten. Oft gibt es dort keine
Gewerkschaftsrechte gibt und die Sicherheit der Schiffe wird nicht kontrolliert.
Mehr als 19.000 Schiffe fahren weltweit unter Billigflagge. Bisher konnte
nur auf rund 5000 davon der ITF-Tarifvertrag abgeschlossen werden. Dabei könnte die Durchsetzung der Verträge auch ein Modell
für andere Bereiche werden: Um ökologische Katastrophen wie das Auseinanderbrechen des Öltankers Erika zu verhindern,
braucht es ebenfalls sicherheitstechnische Mindeststandards, die weltweit durchgesetzt werden müssen, damit sie keinen Kostenfaktor
mehr darstellen, der gesenkt wird, um die eigene Konkurrenzfähigkeit zu verbessern.
"Solange es Billigflaggen gibt, wird es immer wieder
Schiffskatastrophen wie die Erika geben", warnte ÖTV-Vorstand Jan Kahmann bei der Eröffnung der Ausstellung "50
Jahre Kampf gegen Billigflaggen" in der Hauptverwaltung der Gewerkschaft in Stuttgart, die bis 12.2.2000 gezeigt wird. "Der Tod
von Menschen und die Zerstörung der Umwelt werden in diesem Geschäft leichtfertig in Kauf genommen."
Die Ölpest vor der französischen Küste sei ein weiteres
Beispiel dafür, welch fürchterliche Auswirkungen der schlechte Zustand und die mangelhafte Ausbildung der Seeleute auf diesen
Schiffen hätten. Die Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord seien menschenunwürdig und gefährlich. So würden
Besatzungsmitglieder auf Billigflaggenschiffen doppelt so häufig auf See umkommen, wie auf Schiffen unter nationalen Flaggen. "Im
Notfall fehlt die Erfahrung, die Technik und meist auch eine gemeinsame Sprache der Crew", so Kahmann.
Die Billigflaggenländer kassierten die Registrierungsgebühren,
kümmerten sich aber überhaupt nicht um die Einhaltung der internationalen Mindestnormen. Eine echte Verbindung zwischen
Flaggenstaat und Schiff gebe es nicht. Briefkastenfirmen und "Ein-Schiff-Reedereien" ließen außerdem
Haftungsansprüche häufig ins Leere laufen. Die Bundesregierung unterstütze solche Billigflaggenreeder auch noch mit einer
vergünstigten Tonnagesteuer.
Die Ausstellung in der ÖTV-Hauptverwaltung zeigt sehr anschaulich
die Stationen einer 50-jährigen Kampagne gegen dieses riskante Billigflaggensystem. Im Rahmen dieser Kampagne gelang es der
ÖTV, gemeinsam mit der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF), immer wieder durch Aktionen, Schiffsbesetzungen und
Verhandlungen Tarifverträge durchzusetzen. Damit konnten auf vielen Schiffen menschenwürdige Verhältnisse erzielt
werden. Zuletzt hatte die ITF die Global Mariner auf eine zwanzigmonatige Weltreise geschickt. Der zum Ausstellungsschiff umgebaute
Frachter machte in allen Erdteilen auf die Brisanz der Billigflaggenschifffahrt aufmerksam. Das Schiff beendet seine Reise in Bremen und wird
dort vom 17. bis 20.Februar zu sehen sein.
Christoph Ruhkamp