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ELF: ein Firmenname, der derzeit bestimmte Spitzenpolitiker auf beiden Seiten des Rheins zusammenschrecken
lässt. Das ist auch kein Wunder, könnten doch für einige die Schmiergeldaktivitäten des Großkonzerns für
das vorzeitige Ende ihrer politischen Karriere sorgen. Bereits im Mai 1997 hatte die deutsche Presse berichtet, dass anlässlich der
Privatisierung des Raffineriekomplexes von Leuna in der ehemaligen DDR 1992 insgesamt 256 Millionen Francs, umgerechnet 76 Millionen
Mark, Schmiergeldzahlungen von der Elf-Gruppe an die Unions- und damaligen Regierungsparteien CDU und CSU geflossen seien.
Nachdem der frühere CDU-Schatzmeister Walter Leisler-Kiep am
5.November 1999 ausgeplaudert hatte, dass seine Partei bei Rüstungsgeschäften mit Saudi-Arabien kräftig die Hand
für ihre schwarzen Kassen aufgehalten habe, wurde knapp einen Monat später ein Untersuchungsausschuss des Bundestags
eingerichtet, der sich nunmehr über vier schmiergeldverdächtige Affären beugen soll.
Mit an oberster Stelle steht dabei die Übernahme von Leuna durch
die Elf-Aquitaine-Gruppe und der Verdacht, dabei seien die bereits vor zwei Jahren aufgetauchten 256 Millionen Francs unter dem Tisch an
die Unionsparteien geflossen. Diese Zahlungen wurden seinerzeit über die in Genf ansässige Konzern-Filiale EAI (Elf Aquitaine
International), unter Führung des ins Zwielicht geratenen Geschäftsmanns Alfred Sirven, der heute mit internationalem Haftbefehl
gesucht wird, abgewickelt.
EAI bildet eine der geheimen Geldschatullen des Elf-Konzerns, aus der
dienstbare Politiker ebenso wie nützliche Mittelsmänner und -frauen fleißig belohnt wurden. Ursprünglich war der Elf-
Ableger EAI Anfang der 80er Jahre gegründet worden, um in der Schweiz nach Ölvorkommen zu forschen - ein Vorhaben, das
freilich alsbald in Vergessenheit geraten schien.
Anlässlich der Gründung war mit den helvetischen
Behörden eine 100%ige Steuerbefreiung für die Dauer von sieben Jahren ausgehandelt worden. Die, gemessen an ihrem offiziellen
Zweck, nutzlos gewordene, aber aufrecht erhaltene Struktur diente in der Folgezeit dazu, alle mehr oder minder heimlichen Finanztransaktionen
des Erdölkonzerns abzuwickeln. Eine Reihe hochgestellter Persönlichkeiten standen so auf als regelmäßige
Geldempfänger auf der Gehaltsliste von EAI.
Letztere wurde im Sommer 1993 in aller Eile vernichtet, nachdem ein
Personalwechsel an der Spitze der Elf-Gruppe stattgefunden hatte. Doch Ende 1997 spielte ein anonymer Absender den Untersuchungsrichtern
Eva Joly und Laurent Vichnievsky, die zum finanziellen Gebaren des Erdölgiganten ermittelten, einen Auszug aus jener Gehaltsliste mit
44 zum Teil verschlüsselten Namen zu. Im übrigen bleiben zahlreiche Kontobewegungen in den Archiven des Crédit Suisse,
der die Konten von EAI führte, nachvollziehbar.
Parastaatliches Machtzentrum
Zwei französische Ex-Minister, die bei Erwähnung des
Namens Elf Unwohlsein empfinden dürften, heißen Roland Dumas und Dominique Strauss-Kahn. Ersterer war unter dem
sozialdemokratischen Präsidenten François Mitterrand Außenminister - der Europaparlamentarier Alain Krivine (LCR) hat
über ihn das Bonmot "Sozialist am Tage und Waffenhändler bei der Nacht" geprägt. Um Dumas
Rüstungsexporte, es ging damals vor allem um Taiwan als Empfängerland, schmackhaft machen zu können, ließ Elf
Anfang der 90er Jahre gut 60 Millionen Francs über Dumas seinerzeitige Geliebte Christine Deviers-Joncour fließen. Letztere hat
ihre Erlebnisse in einem autobiografischen Buch unter dem Titel "Die Hure der Republik" veröffentlicht und firmierte
ihrerseits auch auf der Gehaltsliste von EAI.
Ebenfalls auf dieser Gehaltsliste findet sich Evelyne Duval, die ab 1993
dem späteren Wirtschaftsminister Strauss-Kahn als persönliche Sekretärin diente, während dieser als
Oppositionspolitiker den Cercle de lindustrie leitete, eine vor allem bei der EU in Brüssel tätige Lobbygruppe der
französischen Privatindustrie. Am 16.November wurde ein Ermittlungsverfahren gegen Evelyne Duval eingeleitet.
Die Untersuchungsrichter vermuten, und vieles deutet darauf hin, dass ein
inniger Zusammenhang besteht zwischen der Affäre rund um die Selbstbedienung sozialdemokratischer Funktionäre bei der
studentischen Krankenkasse MNEF, wegen derer Strauss-Kahn am 2.11.1999 als Minister zurücktrat, und der Elf-Connection.
So ist das Führungspersonal der MNEF weitgehend identisch mit
jenem einer "Freundschaftsgesellschaft Frankreich-Taiwan", die vor allem Rüstungsgeschäfte mit Taipeh
einfädeln half und auf deren Kosten auch Strauss-Kahn, der 1991/92 als Wirtschaftsminister amtierte, seinerzeit in den Pazifikstaat reiste.
Aller Wahrscheinlichkeit nach besteht hier eine Querverbindung zur Dumas-Affäre, rund um das Sponsoring der Lieferung
französischer Kriegsschiffe des Thomson-Konzerns durch die Elf-Gruppe.
Die Taiwan-Affäre beleuchtet die Umtriebe des Elf-Konzerns in
einer Weise, die weitergehende Erkenntnisgewinne erlaubt als die bloße Bestätigung des populistischen Mottos "Die meisten
Politiker sind korrupt". Tatsächlich tritt Elf nicht nur als bloß seine Gewinne maximierendes Wirtschaftsunternehmen auf,
sondern als international operierendes parastaatliches Machtzentrum mit eigenen nachrichtendienstlichen Tätigkeiten. Nach der
Niederlage Frankreichs im Kolonialkrieg um Algerien schuf die Regierung unter De Gaulle 1962 die Elf-Gruppe, um eine strategische
Neuorientierung der französischen Erdölpolitik, die bis dahin v.a. auf den algerischen Vorkommen fußte, vorzunehmen und
um über ein wirksames Instrument dieser weltpolitischen Strategie zu verfügen.
So entschied sich die gaullistische Führung, neben dem Total-
Konzern, heute TotalFina, der nunmehr in den kommenden Monaten mit der Elf-Gruppe zu einem neuen Giganten fusionieren soll und der als
rein ökonomisch handelnder Akteur auftrat, ein zweites Standbein der französischen Ölpolitik zu errichten. Unter den
Bedingungen einer von starker Staatsintervention geprägten Ökonomie, entstand so der Kristallationskern eines engen Geflechts aus
Staats- und (neo)kolonialen weltpolitischen Interessen, Geheimdiensten und Ölgeschäft.
Der frühere Elf-Chef Le Floch-Prigent hatte, nachdem er zwischen
Juli und Dezember 1996 - im Zuge der gegen ihn laufenden Korruptionsermittlungen - bereits sechs Monate in Haft zugebracht hatte, zum
Jahresende 1996 ein zehnseitiges Protokoll mit Innenansichten aus dem Elf-Konzern durch das französische Nachrichtenmagazin
LExpress publizieren lassen. Dabei benennt er diese Hintergründe deutlich, rollt die Gründungsgeschichte der Elf-Gruppe
auf und beschreibt deren Wirken als (neo)koloniale Einflussmacht im afrikanischen "Hinterhof" Frankreichs.
So schreibt er unverblümt: "Elf ernennt Omar Bongo",
den Präsidenten des erdölreichen Staates Gabun, und "in Kamerun übernimmt Paul Biya die Macht nur mit
Unterstützung von Elf". Ferner schildert der ehemalige Elf-Chef, wie im Bürgerkriegsland Angola die
"postmarxistische" Regierung unter Dos Santos und die prowestliche UNITA-Miliz so gegeneinander ausgespielt werden, dass
keine die Oberhand gewinnen kann und das Land dauerhaft geschwächt bleibt - die französische Regierung hält offiziell zu
Dos Santos, während Elf die Kontakte zu und Waffenlieferungen für die UNITA einfädelt.
Alle großen politischen Parteien Frankreichs - mit Ausnahme der KP
- besitzen ihre eigenen "afrikanischen Netze" in der postkolonialen Einflusszone, unter Einschluss der Neofaschisten, die oft
für die "Drecksarbeit" in Form von Söldnereinsätzen sorgen. Das mit Abstand bedeutendste dieser
"Netzwerke" ist jenes der Gaullisten, das - schon der Gründungsgeschichte des Konzerns wegen - engstens mit den Elf-
Connections verwoben ist. Daher ist es alles andere denn verwunderlich, wenn ausgerechnet der ehemalige Innenminister und national-
populistische Politiker Charles Pasqua - in dessen Hand früher zahlreiche Fäden dieser "Netze" zusammenliefen -
nunmehr zu einer der Schlüsselfiguren der Elf-Ermittlungen avanciert.
Der Polizist Daniel Léandri bspw., engster Mitarbeiter Pasquas und
lange Jahre mit dessen Personenschutz betraut, erhielt in den 90er Jahren monatlich 83.000 Francs (25.000 Mark) von der Elf-Filiale EAI.
Zugleich gibt dieser offen an, dass er im ersten Teil des Jahrzehnts mit zahlreichen "vertraulichen Missionen in Afrika" betraut
gewesen und in dieser Eigenschaft häufig in die Länder Gabun, Kongo und Kamerun gereist sei. Ferner verwaltete Léandri
in Genf ein fremdes Konto, das er vermutlich im Auftrag afrikanischer Potentanten führte.
Größtes deutsch-französisches Industrieprojekt
Nach all dem stellt sich nunmehr die Frage: Was suchte Elf eigentlich in
der ehemaligen DDR, und warum flossen in diesem Zusammenhang so großzügig bemessene Schmiergeldzahlungen an die
CDU/CSU? Das Geschäftsinteresse kann es nicht gewesen sein. Wie die Pariser Tageszeitung Libération, die am 23.12.1999
über fünf Seiten hinweg detailliert über Kohls Elf-Verwicklungen berichtete, feststellt, interessierte sich ohnehin fast
niemand für die zu privatisierende Raffinerieanlage in Leuna. Und die Übernahme des Leuna-Geländes sowie der
ostdeutschen Minol-Tankstellenkette durch die Elf-Gruppe habe sich als ökonomisches Zuschussgeschäft erwiesen.
Den Libération-Ermittlungen zufolge war man in der Elf-Zentrale
stets danach bestrebt, einen deutschen Partner - sei es in Form von Staatsbeteiligung oder eines privaten Unternehmens - fest in die
Leuna/Minol-Operation eingebunden zu wissen. Dieser Partner sei zunächst der Thyssen-Konzern gewesen. Doch habe man bei Elf
alsbald feststellen müssen, dass infolge eines im August 1992 insgeheim unterzeichneten Abkommens zwischen der Bundesregierung und
der Firma Thyssen letztere dazu berechtigt war, sich unmittelbar nach Fertigstellung der auf dem Gelände geplanten neuen Raffinerie
"Leuna 2000" zurückzuziehen und dabei das investierte Kapital in voller Höhe sowie die einzustreichenden
Subventionen mitzunehmen.
Zum Jahreswechsel 1993/94 drohte Elf immer heftiger, sich vor dem
Stichtag für den Baubeginn der neuen Leuna-Raffinerie im Februar 1994 aus der Angelegenheit zurückzuziehen. In einem Schreiben
von Bundeskanzler Kohl an Premierminister Edouard Balladur vom 18.Februar 1994 forderte der deutsche Regierungschef seinen
französischen Amtskollegen auf, seinen "persönlichen Einfluss" auf die frisch privatisierte Elf-Gruppe "geltend zu
machen", um einen Rückzug von Elf zu verhindern. Was denn auch geschah.
In der Folgezeit sprang vorübergehend das deutsche öffentliche
Unternehmen Buna (Chemie) ein und übernahm 33% der Leuna-Aktien, um sich jedoch im Anschluss seinerseits zurückzuziehen,
bevor die neu errichteten Raffinerie-Anlagen 1997 in Betrieb gingen. Daraufhin forderte der Elf-Konzern - vergeblich - den Einstieg der
Treuhand-Nachfolgerin BvS, um den frei gewordenen Platz des deutschen Partners einzunehmen.
Was aber war der Hintergrund dieser Privatisierung, die der
Privatisierungsgewinnler nicht gewollt hat und sich für diesen als ökonomischer Klotz am Bein entpuppte? Libération
ergeht sich hier nur in Andeutungen, platziert die Affäre aber - wohl zu Recht - in den Kontext des Tauziehens zwischen Bonn einerseits
und Paris und London andererseits um die deutsche Wiedervereinigung 1989/90. Die Investition der Elf-Gruppe in Leuna geht demnach auf eine
Abmachung zwischen Kohl und Präsident Mitterrand aus jener Periode zurück.
Mutmaßlich ging der Einstieg des größten
französischen Industriekonzerns in Leuna auf den Willen der deutschen Politik zurück, den französischen
"Partner" bezüglich der Folgen der deutschen Wiedervereinigung und bezüglich der Furcht vor einer Umorientierung
der Politik der vergrößerten BRD, zugunsten eines nationalen "Sonderwegs" mit Blick nach Osten, zu beruhigen. Das
Leuna-Vorhaben, immerhin das größte deutsch-französische gemeinsame Industrieprojekt in der Geschichte der bilateralen
Kooperation, sollte demnach für eine Art ökonomischer Kontrolle der Entwicklung im deutschen "Anschluss"gebiet
sorgen.
Vor allem, wenn man die eminent politische und strategische Funktion der
Elf-Gruppe berücksichtigt. Steht dies aber im Hintergrund, so haben die Franzosen sich möglicherweise über den Tisch
ziehen lassen. Sie wurden in jedem Falle mit einer Industrieruine abgefunden, die - aufgrund nicht absetzbarer Überkapazitäten bei
eher geringer Produktivität - kaum profitabel nutzbar zu machen war. Im Februar 1998 hat der ELF-Konzern einen Verlust in Höhe
von 5,4 Milliarden Francs (rund 1,6 Millionen Mark) "wegen der Raffinerie von Leuna" in seine Geschäftsbücher
eingetragen, was seinen Jahresgewinn um knapp die Hälfte minderte.
Im Gegenzug ist die Arbeitsplatzbilanz der gesamten Operation
katastrophal. Von ursprünglich 27.000 Beschäftigten, die zu DDR-Zeiten im Raffineriekomplex Leuna und in der Minol-
Tankstellenkette arbeiteten, waren 1998 noch rund 3500 übriggeblieben. 2500 von ihnen arbeiteten nach ihrer Fertigstellung in der neuen
Raffinerie Leuna 2000, und von den ursprünglich 9700 Mitarbeitern der Minol-Kette waren zur selben Zeit noch 870 übrig
geblieben.
Bernhard Schmid (Paris)