Sozialistische Zeitung |
V
Den Hintergrund der Auseinandersetzung bildet eine Erblast, die von der
rot-grünen Koalition übernommen wurde, deren Brisanz aber wohl nicht richtig eingeschätzt wurde. Im Laufe des Jahres
1998 zeichnete sich ab, dass die Vergütung von Strom aus erneuerbaren Energien immer geringer ausfallen würde. Vor allem die
Betreiber von Windkraftanlagen bekamen das schmerzhaft zu spüren.
In der Regel werden Windkraftanlagen auf Kredit gebaut. Eine Gruppe von
Investoren steckt Geld in ein Projekt und hofft, im Laufe einiger Jahre die Einlage mit einer angemessenen Verzinsung wieder
herauszubekommen. Die Kombination von Steuervorteil und erwartetem Profit ließ Windkraftanlagen für bestimmte
Bevölkerungsgruppen als interessante Geldanlage erscheinen, die zudem von der Glorie umweltfreundlicher Energieerzeugung
überstrahlt war.
Die Grundlage für das Geschäft war das sog.
Stromeinspeisungsgesetz: Wer Strom aus erneuerbaren Energiequellen ins Netz einspeiste, bekommt eine weit höhere Vergütung
garantiert als jemand, der ein Kraftwerk mit fossilen Brennstoffen betreibt. Lange Zeit hatten die Energiekonzerne die Einspeisung von Strom
aus kleinen, dezentralen Anlagen dadurch zu verhindern vermocht, dass dieser einen schlechten Preis erzielte. Mit den 6 Pfennig je
Kilowattstunde, die die Konzerne zu bezahlen bereit waren, war in den seltensten Fällen ein wirtschaftlicher Betrieb möglich,
beträchtliche Potenziale zur Umweltentlastung lagen damit brach. In der Zeit nach der Ölkrise und im Zusammenhang mit dem
Widerstand gegen den Bau von Atomkraftwerken wurden sie entdeckt und festgestellt, dass bspw. durch die kombinierte Erzeugung von Strom
und Wärme in kleinen Blockheizkraftwerken eine Menge Brennstoff eingespart werden könnte. Die
Energieversorgungsunternehmen suchen diesen Pfad aber, ebenso wie die Nutzung der Wind- und Wasserkraft, zu verhindern - sie haben sich
seit den 30er Jahren auf große, zentrale Kraftwerke konzentriert.
Mit dem Stromeinspeisungsgesetz hat sich ein winziger Spalt geöffnet
- zumindest erneuerbare Energien dürfen zu einem relativ hohen Tarif eingespeist werden. Dies geht wesentlich auf den Druck der
überwiegend konservativen Betreiber kleiner Wasserkraftwerke in Bayern über die CDU auf die Regierung Kohl zurück, die
offensichtlich soviel verstand, dass die großen Energieversorger finanziell kaum belastet würden, wenn sie für Strom aus
Wind- und Wasserkraft etwa 18 Pfennig je Kilowattstunde zu entrichten hätten. Auf die Verbraucher umgelegt bedeutete das Mehrkosten
von wenigen Zehntelpfennigen.
Windkraft - ein rentabler Wirtschaftszweig
Vermutlich hatte man aber nicht damit gerechnet, dass damit ein Verfahren
geschaffen wurde, das sich in kurzer Zeit in ganz Europa als Erfolgsmodell für die Einführung erneuerbarer Energien herausstellen
würde. In krassem Gegensatz zu marktliberalen Vorstellungen zeigte sich, dass gerade die sichere Aussicht auf eine berechenbare
Einnahme zu Investitionen anregte. Es war dann aber weniger die Wasserkraft, die davon profitierte - deren nutzbare Potenziale waren in
Deutschland schon weitgehend erschlossen -, sondern die Windkraft.
Vor dem Stromeinspeisungsgesetz war der Bau einer Windkraftanlage in
Deutschland ein Unternehmen, zu dem man viel Idealismus mitbringen musste. Eine eigenständige Entwicklung gab es nur
rudimentär, weil die sozialdemokratische Bundesregierung die Fördermittel auf aberwitzige Großprojekte, etwa den
GROWIAN, konzentriert hatte, an Hand derer Großforschungsinstitute und große Firmen "nachwiesen", dass die Zeit
für alternative Energien noch nicht reif sei.
Stattdessen wurden die in Dänemark zur Serienreife entwickelten
Windkraftanlagen, die es nach bundesdeutscher Technologiepolitik eigentlich nicht geben konnte, zunächst importiert, dann in Lizenz
nachgebaut. In wenigen Jahren errang Deutschland die führende Rolle in der Windkraft: Die größere Nachfrage führte
zur Serienfertigung und damit zu sinkenden Preisen. Gleichzeitig konnte man es wagen, die einzelnen Windkraftanlagen immer
größer zu bauen: Heute haben sie bereits eine Leistung von 1 Megawatt je Anlage. Es wurden auch nicht mehr einzelne
Windräder aufgestellt, sondern ganze Windparks mit ein bis zwei dutzend Anlagen, deren Leistung schon mit einem kleinen Kraftwerk zu
vergleichen ist.
Die Windkraftbranche konnte auch vom Zusammenbruch der Produktion in
der DDR profitieren; große Montagehallen samt qualifizierter Belegschaft waren nun preiswert zu bekommen. Im ehemaligen
Schwermaschinenkombinat Ernst Thälmann (SKET) in Magdeburg oder auf Werften bei Rostock werden heute Windkraftanlagen
hergestellt, die gleich auf Braunkohlehalden in Sachsen oder auf brachliegendem Ackerland in Mecklenburg-Vorpommern aufgestellt werden.
Die Investoren kommen überwiegend aus dem Westen. Längst sind es keine engagierten Bastler oder Ökofreaks mehr, die
sich hier betätigen, sondern große Unternehmen des Maschinenbaus. Die Masten liefert der etablierte Stahl- oder Betonbau, und die
eingebaute Regeltechnik ist mit Fernüberwachung und Funksteuerung immer aufwendiger geworden.
Einen ersten Dämpfer bekam die Windkraft, als bei den
Energieversorgungsunternehmen vor allem in den windreichen küstennahen Gebieten die Befürchtung zunahm, sie müssten
bald eigene Kraftwerke abschalten, weil sie gezwungen waren, den Strom aus der Windkraft anzunehmen und teuer zu bezahlen. So wurde die
Menge an Strom, der eingespeist werden durfte, willkürlich eingeschränkt. Die Windkrafthersteller reagierten sofort: Als die
Aufträge im Inland weniger wurden, forcierten sie ihre Auslandsaktivitäten.
Liberalisierung des Strommarkts
Dramatischer waren die Folgen, die sich aus der sog. Liberalisierung des
Strommarkts ergaben, die vom damaligen Wirtschaftsminister Rexrodt (FDP) ziemlich überhastet auf den Weg gebracht wurde. Wo bis
dahin die einzelnen Energieversorger in ihren sauber abgezirkelten Gebieten keine Konkurrenz zu fürchten hatten, begann nun der freie
Wettbewerb. Jeder kann jetzt frei mit Strom handeln, ihn zum selbst festgesetzten Preis anbieten, ihn aber auch dort beziehen, wo er am
billigsten angeboten wird. Innerhalb weniger Monate führte dies zu dramatischen Preissenkungen; immer mehr Billiganbieter
drängen auf den Markt, sie haben das Recht, mit jedem einzelnen Privathaushalt Lieferverträge abzuschließen.
Fachleute sind sich einig, dass die gesunkenen Strompreise nichts anderes
als Ausdruck eines Verdrängungswettbewerbs sind, bei dem diejenigen, die über ein entsprechendes Finanzpolster verfügen,
ihre schwächeren Konkurrenten aus dem Markt drängen; danach werden die Preise wieder anziehen.
Das erste Opfer - das musste die rot-grüne Bundesregierung
zähneknirschend zur Kenntnis nehmen - sind die Stadtwerke, ein Hort sozialdemokratischer Klüngelwirtschaft im öffenlichen
Dienst, aber auch für die Grünen ein sensibler Bereich, weil die umweltweltfreundliche Energieerzeugung in Blockheizkraftwerken
gerade dort bevorzugt stattfindet. Gerade die Stadtwerke, die über Gewinne aus dem Strom oft auch noch die Busse des
öffentlichen Nahverkehrs finanzieren müssen, sind nicht in der Lage, mit den lächerlich niedrigen Preisen des Stroms aus
französischen Atomkraftwerken oder norwegischen Staudämmen mitzuhalten. Die Energieversorger sind auch skrupellos genug,
selbst billigen Strom aus osteuropäischen Atomkraftwerken einzuspeisen, die hierzulande keine Betriebsgenehmigung bekommen
würden.
Indirekt fallen auch die regenerativen Energien dieser Entwicklung zum
Opfer, denn die Vergütung nach dem Stromeinspeisegesetz ist nicht fest, sondern an das Preisniveau des Vorjahres beim Endkunden
gekoppelt. Fallen die Preise beim Endverbraucher - und das wird zumindest die nächsten Jahre so sein -, bedeutet das sinkende
Einnahmen und längere Amortisationszeiten für die Erzeuger erneuerbarer Energie.
Die Banken, die solche Vorgänge sehr aufmerksam verfolgen, haben
bereits begonnen, auf Kreditanfragen zur Finanzierung von Windkraftanlagen abweisend zu reagieren. Es mussten schon durchgeplante und
genehmigte Projekte für Windparks mit Investitionsvolumina von jeweils mehreren Millionen Mark auf Eis gelegt werden. Die Unruhe
wächst und schwere Geschütze werden aufgefahren.
Die Windkraft, neben der Telekommunikation und der Biotechnologie eine
der technologisch ambitionierten Wachstumsbranchen, war in höchster Gefahr und damit der Standort Deutschland. Es wurde
vorgerechnet, wieviele Arbeitsplätze der Bau von Windkraftanlagen geschaffen hat, wie Regionen und Kommunen von den Windparks
profitieren. Nicht zuletzt kann die Windkraft in Anspruch nehmen, dass sie kein Kohlendioxid freisetzt und damit zum Klimaschutz
beiträgt.
Doch die Gegner sind mächtig, sie berufen sich auf das freie Spiel
der Marktkräfte, das durch das Stromeinspeisegesetz aufgehoben worden sei. Insbesondere den Marktliberalen in der EU-Kommission
war das deutsche Gesetz ein Dorn im Auge. Bis zuletzt suchte man in Brüssel nach Unterstützung durch die Bundesregierung, aber
ein Gespräch mit der grünen EU-Kommissarin Michaela Schreyer verlief in eisiger Atmosphäre.
Bei den Grünen zog man daraus den Schluss, das neue Gesetz
müsse im Hinblick auf die EU "wasserdicht" sein, damit die Kommission keine Handhabe gegen die offenkundige
Marktverzerrung finden könne. Vom offenen Eingeständnis, dass die aus ökologischer Verantwortung gebotene
Förderung regenerativer Energien in einem kapitalistischen System nicht mit marktwirtschaftlichen Mitteln zu bekommen ist, sind die
Grünen mittlerweile weit entfernt. Stattdessen feiern sie die Liberalisierung des Strommarkts, weil nun jeder Verbraucher selbst frei und
individuell die Entscheidung treffen könne, ob er billigen Atomstrom oder lieber teuren Ökostrom beziehen wolle.
Ein gutes Gesetz?
So ist der Gesetzentwurf ziemlich kompliziert ausgefallen, und bis auf
wenige Fachleute der Energiewirtschaft wird ihn kaum jemand beachten.Das zentrale Anliegen, die Preise für erneuerbare
Energieträger kalkulierbar zu machen, wurde im Grundsatz erfüllt. In Einzelfragen, z.B. wie der Ertrag einer Windkraftanlage zu
ermitteln sei und wie sich die Vergütung in den einzelnen Betriebsjahren gestalten wird, wurde offensichtlich auf verschiedene
Interessengruppen und mögliche Einwände Rücksicht genommen. Wenn der Bundestag in wenigen Monaten das Gesetz
beschließt, wird das Ziel, Investitionssicherheit für den Interessenten für den Betrieb von regenerativen Energieanlagen zu
bieten, erreicht sein. Die Preise für Strom aus Windparks, Wasserkraftwerken, Biogasanlagen oder geothermischen Kraftwerken werden
nicht fallen.
Die Rücksichtnahme auf sehr unterschiedliche Interessengruppen hat
allerdings seltsame Blüten hervorgebracht. So wurde Grubengas in die Kategorie "erneuerbare Energien" aufgenommen,
obwohl es in Kohleflözen entsteht und damit eindeutig ein fossiler Energieträger ist. Vermutlich sollen damit die im Ruhrgebiet
massierten Blockheizkraftwerke bedient werden - und zweifellos ist es im Interesse des Klimaschutzes auch vorzuziehen, dass diese
Kraftwerke eine vernünftige ökonomische Perspektive haben, als dass das klimaschädliche Grubengas (Methan)
unkontrolliert in die Atmosphäre entweicht.
Stark umstritten ist auch, dass sich die Energieversorgungsunternehmen nun
selbst als Betreiber von Anlagen für erneuerbare Energie betätigen und dafür die hohen Preise kassieren können. Sollte
dies dazu führen, dass sie verstärkt in solche Kraftwerke investieren, wäre das ökologisch gesehen gar eine schlechte
Perspektive.
Die Verbände im Bereich der erneuerbaren Energien sind zufrieden
mit dem, was im alten Jahr erreicht wurde. Die meisten können mit Vergütungen rechnen, die sie selbst als mehr als kostendeckend
bezeichnet haben. Selbst die Solarenergie, die mit 99 Pfennig je Kilowattstunde am höchsten vergütet wird, erwartet einen Boom,
weil die Differenz zu den Selbstkosten durch die Inanspruchnahme von Förderprogrammen kompensiert wird. Aber auch hier stehen
bereits andere wirtschaftliche Interessen im Hintergrund.
Die beiden mächtigen Ölkonzerne Shell und BP haben sich
massiv in der Produktion von Solarzellen engagiert. Deren geringe Stückzahl erlaubt im Moment nur eine manufakturartige Herstellung,
aber die Konzerne rechnen damit, dass eine größere Nachfrage den Übergang zur Massenfertigung rentabel machen wird.
Wenn dieser, angeregt durch das neue Gesetz, in ein oder zwei Jahren stattfindet, rechnet man mit einer drastischen Preissenkung. Allerdings
werden die Massenmärkte eher in den sonnenreichen Gebieten Asiens und Afrikas, weniger in Europa liegen. Auch hier ist ohne die
großen Konzerne, wie Siemens oder Hoechst, nichts zu machen.
Die Konzerne steigen ein
Es ist bemerkenswert: In der jüngsten Auseinandersetzung um die
Stromeinspeisung aus regenerativen Energiequellen ging es in erster Linie um wirtschaftliche Interessen; die ökologischen Aspekte kamen
nur dadurch ins Spiel, dass es mittlerweile Branchen gibt, die ein wirtschaftliches Interesse an umweltfreundlicher Energie haben und sich
damit Vorteile verschaffen können. Dabei tritt mehr und mehr in den Hintergrund, dass es bei alternativen Energiekonzepten nicht nur um
erneuerbare Energiequellen, sondern auch um eine andere, dezentrale, von Monopolstrukturen unabhängige Energieversorgung geht.
Die Windkraftbranche plant bereits den Bau sog. Off-Shore-Windparks
einige Kilometer vor der Küste, weil im Binnenland die einträglichen Standorte knapp geworden sind. Mit einer geplanten Leistung
von einigen 100 Megawatt, die über ein einziges Kabel in das Netz auf dem Festland eingespeist würden, kommt das der
Größenordnung konventioneller Kernkraftwerke bedenklich nahe und ist technisch und finanziell nur in enger Kooperation mit den
herrschenden Großkonzernen und Finanzinstituten zu realisieren.
Auch die anderen erneuerbaren Energieträger schwelgen in
Großprojekten. Nach wie vor hält man an der Vision fest, die "unfruchtbaren" Wüstengebiete Nordafrikas
großflächig mit Sonnenzellen zu bepflastern, was fatal an Pläne aus den 30er Jahren erinnert, wo deutsche Ingenieure davon
träumten, die Ströme Afrikas großräumig umzulenken und Staudämme gigantischen Ausmaßes zu bauen.
Damit sollte die Wasserkraft, mit der die Eingeborenen angeblich doch nichts anfangen konnten, für Mitteleuropa genutzt werden. Das
Mittelmeer sollte trockengelegt und die Sahara zur Gewinnung von Ackerland bewässert werden.
Heutzutage wagt kaum jemand, derartige imperialistische Konzepte offen
auszusprechen. Es lässt sich aber kaum verheimlichen, dass das vielbeschworene "Solarzeitalter" nach dem Versiegen der
Erdöl- und der Ausplünderung der Kohlevorräte ein Plan ist, die Länder in der Äquatorzone zu Lieferanten
billiger Energie für die Industriezentren in Zentraleuropa zu degradieren - ähnlich wie sie jetzt Lieferanten von Erzen und
agrarischen Rohstoffen auf niederer Verarbeitungsstufe sind. Mit dem Strom der Wind- und Solarkraftwerke soll Wasserstoff erzeugt werden,
der u.a. dazu vorgesehen ist, die überkommene Verkehrsstruktur mit einem hohen Anteil an privaten Pkw und ständig wachsendem
Flugverkehr zu erhalten.
Ökosteuer - ein ökologischer Fehlschlag
Die aus der Kritik an der Kernenergie entwickelte Vision einer dezentralen
Energieversorgung auf der Basis erneuerbarer Energieträger ging davon aus, dass Grundbedürfnisse der Bevölkerung mit den
Ressourcen befriedigt werden können, die in der unmittelbaren Umgebung verfügbar sind. Mächtige, weil monopolartige
Strukturen zur zentralen Erzeugung und Verteilung der Energie sollten überflüssig werden. Wärmedämmung bei
Gebäuden, energiesparende Produktionsverfahren und die Erschließung lokaler Energiepotenziale durch eine pfiffige Mischung aus
Solar- und Windkraftanlagen sowie die Nutzung von Biomasse und Abfallstoffen sind technisch durchaus zu machen. Leider haben die
grünen Visionäre von einst vergessen oder verdrängt, dass dies nicht im Rahmen einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung,
sondern nur gegen sie zu haben sein wird.
Erneuerbare Energien haben, das zeigen die Erfahrungen der letzten Monate
ganz deutlich, im liberalisierten Energiemarkt keine Chance. Man kann auch nicht darauf hoffen, dass fossile Energieträger in den
nächsten Jahren so knapp werden, dass Preissteigerungen in diesem Marktsegment erneuerbare Energien konkurrenzfähig machen.
Ganz im Gegenteil. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion können bisher unerreichbare Vorräte angezapft werden, und wie
schon anderwärts üblich wird auch der eine oder andere Krieg angezettelt werden, um widerborstigen Kleinstaaten zu zeigen, wo
der Hammer hängt.
Erneuerbare Energien haben nur eine Chance, wenn der Markt bewusst
manipuliert wird und entweder deren Preise durch Vergünstigungen, Subventionen usw. gesenkt oder der Preis für fossile
Energieträger künstlich erhöht wird. Was letzteres anbelangt, haben sich die Grünen in den letzten Jahren fast
vollständig auf die Ökosteuer beschränkt, die aber fast nur den Vorteil hat, dass sie auch von konservativer und
sozialdemokratischer Seite als systemkonform akzeptiert wird.
Die Verbraucher überzeugt sie nicht - schon der Hinweis darauf, dass
das Benzin 5 Mark kosten könnte, lässt die Wut bei denen hochkochen, die von der übermächtigen Autoindustrie gezielt
auf den privaten Pkw fixiert wurden und sich nicht vorstellen können, ohne Auto an ihren Arbeitsplatz oder in den Urlaub zu kommen.
Eine ökologische Verkehrsalternative auf der Basis von öffentlichen Verkehrsmitteln, die gleichermaßen machbar wäre
und sich rechnen würde, wird mit der sog. Ökosteuer gar nicht ins Spiel gebracht. Eine grundlegende Debatte über
alternative gesellschaftliche Strukturen haben die Grünen konsequent unterbunden.
Für das Stromeinspeisegesetz war es ein Segen, dass es von der
Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde, obwohl es letztlich von den Stromkunden finanziert wird. Es war - das ist auch beim neuen
Gesetz so - eine vom Staat angeordnete Umverteilung. Es belastet den Bundeshaushalt nicht, Steuergelder werden nicht eingesetzt, und trotzdem
kann die "rot"-grüne Regierung den damit erreichten Ausbau erneuerbarer Energien als Erfolg verkaufen. SPD und
Grüne werden sich in einigen Monaten darum prügeln, wer die zehntausendste Windkraftanlage einweihen, die neue
Solarzellenfabrik eröffnen darf. Der Hochtechnologiestandort Deutschland ist gesichert, neue Exportmärkte wurden erschlossen.
Abkehr von der lokalen Versorgung
Das Perverse daran ist, dass die Erzeugung von Energie zur Deckung des
Eigenbedarfs systematisch verhindert wird. Das wird bspw. an den landwirtschaftlichen Biogasanlagen deutlich. Ein landwirtschaftlicher
Betrieb kann in der Regel seinen Strom- und Wärmebedarf aus pflanzlicher und tierischer Biomasse decken. Eine Biogasanlage mit
einem Verbrennungmotor, der einen Generator treibt, kann auch noch ein dutzend Haushalte oder das ganze Dorf mit Strom versorgen. Die
Liberalisierung des Energiemarkts hat aber dazu geführt, dass die Landesbauernverbände mit den Stromkonzernen neu und anders
verhandeln können. Zum Teil können sie erhebliche Preissenkungen herausholen. Bei Preisen von 12 Pfennig je Kilowattstunde
lohnt es sich für einen landwirtschaflichen Betrieb nicht mehr, den Strom für den Eigenbedarf selbst zu erzeugen.
Wenn der Bauer clever ist, wird er jetzt trotzdem eine Biogasanlage bauen
und den Strom daraus, der ihm gut bezahlt wird, vollständig ins Netz einspeisen. Weil er für jede Kilowattstunde bares Geld
bekommt, wird er alles daran setzen, soviel Strom wie nur irgend möglich zu produzieren, also gezielt Biomasse anbauen, die in der
Biogasanlage genutzt werden kann. Weil die Preise der meisten landwirtschaftlichen Produkte kaum die Produktionskosten decken, ist dies im
Sinne betriebswirtschaftlicher Rationalität vernünftig. Allerdings zerbricht es das, was eigentlich sinnvoll wäre,
nämlich eine mit landwirtschaftlichen Stoffkreisläufen verflochtene dezentrale Eigenversorgung. Die Biogasanlage wird in einen
eigenen Wirtschaftsbetrieb ausgelagert, mit Fremdkapital finanziert und nur noch unter dem Gesichtspunkt von Nettoertrag und
Amortisationszeit betrachtet. Zaghafte Ansätze, in der Landwirtschaft wieder zu ganzheitlichen und natürlichen Produktionsformen
zu finden, werden so zunichte gemacht.
Es wäre heute schon technisch möglich, im ländlichen
Raum Siedlungen zu bauen, die ohne Zufuhr externer, meist fossiler, Energie auskommen. Selbst bei den flüssigen Treibstoffen, auf die
mittelfristig Straßenfahrzeuge und landwirtschaftliche Maschinen nicht verzichten können, wäre man nicht auf die
Ölkonzerne angewiesen - man könnte sie im Rahmen einer ausgewogenen Fruchtfolge aus Pflanzenöl gewinnen. Allerdings
nicht im Rahmen kapitalistischer Produktionsverhältnisse, das muss man ehrlicherweise eingestehen.
Vergeudung von Nahrungsmitteln im großen Stil
Mit der "Agenda 2000" will die EU die Landwirtschaft von der
Eigenversorgung weg und auf den Weltmarkt orientieren, die Querverbindungen zur erneuerbaren Energie blieben weitgehend unbeachtet.
Selbst die Grünen beginnen sich damit anzufreunden, dass Weizen eben billig auf dem Weltmarkt eingekauft wird und der deutsche Bauer
stattdessen auf demselben Weltmarkt Strom oder Pflanzenöl aus Monokulturen anbietet. Mit dem Schlagwort vom "Landwirt als
Energiewirt" stimmen Eurosolar und Bauernverband die Landwirte auf diese Perspektive ein.
Während der Hinweis auf die Hungernden in der Welt auf der einen
Seite die Gentechnik rechtfertigt, werden in Europa Nahrungsmittel wie Weizen, Mais oder Zuckerrüben als sog. Ganzpflanzen in
Kraftwerken verheizt oder für die Biogaserzeugung denaturiert - alles mit wohlwollender Förderung der "rot-
grünen" Bundesregierung und ohne schlechtes Gewissen bei den Grünen, die einst angetreten sind, die Welt unter
ökologischen Vorzeichen umzugestalten.
Die grüne Klientel versorgt sich beim Ökobauern und ist
fürs eigene Wohlbefinden und das gute Gewissen auch bereit, deutlich mehr dafür zu bezahlen. Auch bei den erneuerbaren Energien
soll das so funktionieren, geht es nach bestimmten fundamentalistischen Kreisen. Wer unbedingt den grünen Strom haben will, kauft ihn
sich beim Ökostromhändler und zahlt natürlich entsprechend mehr.
Die Wirtschaftsgruppen, die am Ausbau erneuerbarer Energien interessiert
sind, haben sofort erkannt, dass dies nur eine Nische sein würde, vergleichbar mit den Naturkostläden. Tatsächlich bietet der
Markt für Ökostrom kaum Wachstumspotenziale, obwohl fast jeder Energieversorger inzwischen einen mehr oder weniger
"grünen" Strom anzubieten hat.
Die konventionellen Energieversorger sind sich nicht zu schade, billigen
Strom aus uralten, längst abgeschriebenen Wasserkraftwerken für einen satten Aufpreis als "Ökostrom"
anzudienen. Für den Endkunden wird es immer schwieriger, den Überblick zu behalten. So zieht der Ökostrom unter
kapitalistischen Bedingungen eine neue Ökonomie nach sich. Spezielle Unternehmen werden gegründet, die - gegen Bezahlung -
Gütesiegel vergeben. Allerdings gibt es verschiedene davon. Weil der Ökostrom nicht immer fließt (mal weht der Wind, mal
nicht), entsteht ein Spotmarkt und es muss eine Börse eingerichtet werden, an der Überschüsse angeboten oder ein
unerwarteter Mehrbedarf zum Tagespreis aufgekauft werden kann.
Darauf zu hoffen, dass jemand von den Beteiligten die offensichtliche
Absurdität dieser Entwicklung erkennt, dürfte im Moment vergeblich sein. Ein kapitalismuskritischer Ansatz darf am wenigsten bei
den Grünen erwartet werden, die selbst eine linke Vergangenheit haben. Eine dezidiert sozialistische Perspektive für die
Energiepolitik spielt in der öffentlichen Diskussion derzeit keine Rolle.
Eine Position, die dem emanzipatorischen Charakter des Sozialismus
entspricht und die neueren technologischen Entwicklungen konsequent aufgreift, muss erst noch entwickelt werden. Das mit dem sowjetischen
Modell verbundene Vertrauen in ein unaufhaltsames Fortschreiten der großtechnologischen Entwicklung, deren logische Konsequenz die
Atomenergie und zentral gesteuerte Versorgungsstrukturen sind, ist nur bedingt erschüttert; mensch kann sich nur schwer damit abfinden,
dass die Belastbarkeit der Erdatmosphäre mit den Produkten der Energieverbrennung nicht unbegrenzt ist.
Die notwendige Botschaft, dass nur im Sozialismus der ökologisch
gebotene sparsame Umgang mit Naturresourcen ohne soziale Benachteiligungen möglich ist, lässt sich im Moment schwer
vermitteln. Es ist tragisch, dass gerade der in Osteuropa überwundene Staatssozialismus einen weit weniger effizienten Umgang mit den
Naturresourcen pflegte und nun kapitalistische Unternehmen mit kapitalistischen Technologien für die Sanierung der "maroden
Infrastruktur" in Osteuropa angefordert werden.
Kaum vermittelbar ist vor diesem Hintergrund auch die banale Tatsache,
dass die kapitalistische Produktion aus sich heraus nicht nach Effizienz und Ressourcenschonung strebt, sondern nach optimaler Verwertung des
eingesetzten Kapitals. Das kann manchmal zu technologischen Systemen mit hohem Wirkungsgrad oder zu vermehrter Nutzung erneuerbarer
Energien führen. Eine Gewähr dafür gibt es nicht und muss, wie der Kampf um das Erneuerbare-Energien-Gesetz Ende 1999
zeigt, jedesmal neu erkämpft werden.
Arnold Müller