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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.2 vom 20.01.2000, Seite 12

Mächtig, aber ohne Perspektive

Mexikos PRD will demokratisieren, trägt aber kaum etwas zu den sozialen Kämpfen bei

Die Linke in Mexiko ist unglaublich vielfältig, und sie könnte sehr mächtig sein: Zehntausende kämpfen gegen einen Staat, dem sie in den letzten zwanzig Jahren immerhin einen gewissen demokratischen Freiraum abringen konnten. Trotzdem werden Linke immer wieder verhaftet, gefoltert und ermordet - oder man lässt sie einfach "verschwinden". Teil I eines Beitrags über die Lage der Linken in Mexiko.

Seit Jahren schon hält die politische Krise des Kapitalismus in Mexiko an. Der Grund dafür liegt in den Strukturen des mexikanischen Staates: Das korporatistische Ein-Partei-System ist ein Erbe der langen Periode des Staatskapitalismus, in der versucht wurde, jegliche Importe durch eigene Produktion zu ersetzen. Diese Periode reichte von den 30er bis in die 80er Jahre. Doch seither erfordert die Epoche der neoliberalen Globalisierung völlig andere politische Strukturen, sie untergräbt jenen Sektor der Wirtschaft, der zuvor nationalisiert worden war. Die Anpassung an diese neuen Bedingungen geht nur sehr schleppend voran. Ist doch die mexikanische Bourgeoisie eng mit der Partei verquickt, die das Land seit über 70 Jahren regiert - der Partei der institutionalisierten Revolution (PRI).
Unter den angeblichen Zwängen der Globalisierung hat diese Partei immer größere Teile der Produktion des Landes dem hauptsächlich US-amerikanischen Imperialismus untergeordnet. Transnationale Unternehmen durchdrangen die mexikanische Wirtschaft und schufen sich das ausbeuterische "Maquila"-System aus Sonderproduktionszonen: Sie ziehen ungeheure Profite aus dem Land, ohne dafür jemals Steuern zu zahlen. Zudem degradierten die ausländischen Konzerne einen großen Teil der mexikanischen Elite zu einer kollaborierenden "Kompradoren"- Bourgeoisie, die nicht mehr selbst über die Produktion verfügt. Die Staatsfinanzen werden zu allem Übel durch eine massive Korruption an der Spitze des Apparats geplündert.
Das dramatische Ergebnis dieser Entwicklung: Obwohl Mexiko zu den 16 größten Ökonomien der Welt zählt, steht es beim Pro-Kopf-Einkommen nur auf Platz 81. Es ist ein reiches Land - in dem die meisten Bewohner arm sind. Die Wohlhabenden dagegen haben selbst nach internationalem Standard große Vermögen aufgehäuft. Aggressiv stellen die Bonzen ihre ungeheuren Reichtümer in den bourgeoisen Ghettos von Las Lomas, Polanco und Coyoacan zur Schau.
Diese Ungerechtigkeit hat die Mexikaner in hohem Grade politisiert: Die Kräfte des politischen Radikalismus stoßen auf ein beachtliches Publikum - eine große Bandbreite linker Gruppen, Gewerkschaftsorganisationen, Bauernverbände, Menschenrechtsgruppen, Frauennetzwerke und Nichtregierungsorganisationen kämpft im ganzen Land für Veränderungen. Und jede dieser Massenorganisationen der "Zivilgesellschaft" wird von einer der parteiähnlichen Organisationen beeinflusst oder sogar kontrolliert - von der PRD, den Zapatistas oder von radikalen Gruppen.
Ebenso wie in vielen anderen Ländern der Welt liegen in Mexiko die objektiven Bedingungen für eine mächtige, antikapitalistische und militante Partei vor: Die meisten Menschen haben sozialistische Überzeugungen. Doch die Linke arbeitet nicht sehr effektiv. Woran es mangelt, ist der Wille; ein Verständnis der notwendigen Schritte, um die großen kämpferischen Kräfte politisch zu einen.
Kaum jemand kennt alle politischen Parteien Mexikos. Es gibt dutzende und aberdutzende. Der Grund dafür hat Auswirkungen auf die gesamte Politik in Mexiko. Im Gegensatz zu den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern gibt es nur wenige soziale Aufstiegsmöglichkeiten für Leute außerhalb der Bourgeoisie und einer schmalen Schicht des Kleinbürgertums. In einem Land, in dem höchstens 4% Zugang zu einer Universitätsausbildung haben, ist der einzige Weg aus der Armut oft nur eine kriminelle Tätigkeit oder die Armee (weshalb so viele Bauernsöhne und Angehörige der indigenen Bevölkerung in der Armee sind).
Doch Mexiko ist auch ein Land mit einem starken Staatsapparat, der von sehr hohen Steuern finanziert wird (die US-Unternehmen, Drogenhändler und die Reichen umgehen). Viele Menschen, besonders auf dem Lande und in den städtischen barrios, hängen von der Gunst nationaler und lokaler Staatsbeamter ab, um die Grundversorgung mit Wohnung, Elektrizität und Trinkwasser zu erhalten. Zugang zum Staatsapparat, sogar ein Amt auf der kommunalen Ebene, führt zu unmittelbarem Zugang zu Geld und nährt somit ständig die Korruption. Die Gründung einer politischen Partei, auch wenn sie nur eine lokale Basis hat, kann dazu führen, dass Leute gewählt werden, die so Zugang zu Geld erhalten. Ein Funktionär in einer Partei zu sein mit Zugang zu Geld, selbst wenn man nicht in ein Amt gewählt wurde, gibt einem Macht und finanzielle Ressourcen. Dies wird durch die staatliche Finanzierung der politischen Parteien auf der Grundlage ihrer Wahlresultate verstärkt. Zig Millionen Dollar vom Staat erhalten jedes Jahr die größten Parteien - die PRI, die PRD (Partei der demokratischen Revolution) und die PAN.

Die Masse der Bevölkerung mit einer radikalen, demokratischen oder Anti-PRI-Einstellung wird politisch dominiert von der PRD und der zapatistischen Bewegung, die aus drei Komponenten besteht: der zapatistischen Armee (EZLN), den zapatistischen Basisgemeinden in Chiapas und der zapatistischen Front (FZLN), dem Netzwerk zur Unterstützung der EZLN mit Filialen im ganzen Land.

Die PRD
Die PRD ging aus einer von Cuauthemoc Cardenas geführten Spaltung in der PRI 1988/89 hervor. Cárdenas ist der Sohn von Lazaro Cárdenos, der als Präsident in den 30er Jahren die Ölindustrie verstaatlichte. Die meisten "Kader" der PRD sind gewählte Funktionäre oder hauptamtliche Parteiarbeiter. Sie kommen tatsächlich aus zwei verschiedenen Parteien: aus der PRI - und aus der Kommunistischen Partei. Die ging in den 80er Jahren in die PRD ging und zog dabei große Teile der Linken mit sich. Während oft auf Konflikte zwischen Ex-PRIistas und Ex-KPlern Bezug genommen wird, spaltet sich die PRD in Wirklichkeit selten in politischen Fragen entlang dieser Linien. In keiner Weise bilden die Ex-KPler eine Linke innerhalb der PRD.
Die PRD sieht sich zahlreichen Schwierigkeiten gegenüber. So wurde das demokratische Ansehen der Partei durch einige Vorfälle stark lädiert: Bei den Wahlen für eine neue Parteiführung in Mexiko-Stadt sowie für einen neuen Parteivorsitzenden im Frühjahr vorletzten Jahres enthüllten Journalisten betrügerische Machenschaften. Ein weiterer Faktor ist das Scheitern der PRD-Regierung von Mexiko-Stadt, die drei Jahre lang von Cárdenas geführt wurde: Es gelang ihm nicht, auch nur eine bedeutende Reform durchzuführen. Zudem setze ihn eine demagogische rechte Kampagne unter Druck - angezettelt von PRI, PAN und der rechtsextremen "Massenfront" der PRI in den barrios und auf dem Lande, den Antorchistas (Fackelträgern).
Cárdenas trat daraufhin bereits im Herbst vergangenen Jahres als Bürgermeister von Mexiko-Stadt zurück, um für die PRD bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Für die Wahlen in diesem Sommer hat er jedoch schlechte Aussichten. Und auch bei den Kommunalwahlen in Mexiko-Stadt droht eine Niederlage. Zehn Jahre nach ihrer Gründung mangelt es der PRD an Glaubwürdigkeit. Ihre Arbeit ist vollkommen auf Wahlen ausgerichtet, und ihre Führer haben zu den wichtigen Kämpfen im Land keine klare Position eingenommen: Selbst der Streik an der Universität in Mexiko-Stadt, der länger als ein halbes Jahr dauerte oder die Militarisierung in Chiapas entlockten ihnen keine eindeutigen Stellungnahmen.
Die Partei ist bei der Bourgeoisie verhasst, die sich eher an der PRI orientiert. Trotzdem bemüht sich Cárdenas sehr, die Bürgerlichen nicht vor den Kopf zu stoßen. Dabei kommt allerdings nicht mehr heraus, als vage Versprechungen von Demokratisierung: Es ist der Partei nicht gelungen, einen wirklichen Enthusiasmus unter den Armen hervorzurufen. Gleichzeitig hat sie auch keine Chance, die Reichen für sich einzunehmen. Die sind vorwiegend gegenüber der PRI loyal und betrachten die PAN als ihre zweite Option.
Die Angaben über die Zahl der PRD-Mitglieder schwanken stark. Die Parteiführung behauptet, es seien mehr als eine Million; nach anderen Schätzungen sind es nur etwa 100.000. Das hängt auch davon ab, wie man die Mitgliedschaft definiert. Denn die mexikanische Gesellschaft ist extrem politisiert: Viele Menschen fühlen sich einer politischen Partei zugehörig, ohne allerdings mehr zu tun, als beim Wahlkampf zu helfen - wenn überhaupt. Mit mehr als 200 Parlamentsabgeordneten, mehreren Gouverneuren von Bundesstaaten und hunderten von Bürgermeistern und Funktionären in den Kommunen ist die PRD in organisatorischer Hinsicht sicher die größte Partei nach der PRI. Wie ist sie von einem sozialistischem Standpunkt aus einzuschätzen?
Die PRD ist die Partei der "demokratischen" Revolution. Ihr Programm steht für die Demokratisierung der mexikanischen Gesellschaft, nicht für ihre "Sozialisierung". Der Ursprung der PRD beruht auf der Aufgabe des historischen "staatskapitalistischen" Projekts zugunsten des Neoliberalismus durch die PRI. In vieler Hinsicht sieht sich die PRD als die authentische Fortsetzung der populistischen Traditionen der PRI, indem sie bspw. die Verstaatlichung der Elektrizitäts- und Ölindustrie oder den unentgeltlichen staatlichen Unterricht verteidigt.
Dies sind natürlich die Resterrungenschaften der mexikanischen Revolution von 1919/20 und ihrer Nachwirkungen, und sie positionieren die PRD links von der gegenwärtigen europäischen Sozialdemokratie. Doch die Vergangenheit der PRI während der Hoch-Zeit des "revolutionären Nationalismus" in den 30er Jahren ist keine Vergangenheit des Sozialismus, sondern des bürgerlichen Nationalismus, der periodisch radikale Phasen durchläuft.
Was die PRD von der alten PRI-Politik unterscheidet ist ihr Bekenntnis zum Mehrparteiensystem und den demokratischen Rechten, ein klarer Bruch mit dem faktischen Ein-Partei-Staat aus alten PRI-Tagen. Doch die PRD bleibt auf parlamentarischen Gleisen festgefahren und kritisiert z.B. die Zapatisten, da sie einen "bewaffneten Kampf" führen. Worauf sich die PRD nicht stützt, das sind die Massenkämpfe der Arbeitenden, der Bauern und der indigenen Bevölkerung.
Dies alles gilt für das PRD-Programm und die Führung der Partei. Die Mitglieder an der Basis nehmen an einer Vielzahl von Kämpfen teil, und einige Führer der für ihre besondere Militanz bekannten Sektion 9 der Lehrergewerkschaft SNTE sind Mitglieder der PRD. Die PRD-Führung wird von Menschen mit einem Mittelklasse- oder Universitätshintergrund dominiert. Und die Partei bewahrt die traditionelle mexikanische Obsession mit Stars und Persönlichkeiten, die ihre eigenen Cliquen um sich scharen.
Das Cliquenwesen und die Korruption sind zu einem wichtigen Problem im Distrito Federal (Mexiko-Stadt und Vororte) geworden, wo die PRD die Stadtverwaltung kontrolliert. In den Gemeinden haben sich die gewählten Stadträte der PRD oft durch korruptes Verhalten ausgezeichnet - nicht viel anders als ihre Vorläufer in der PRI.
Vor allem ist die PRD keine Klassenpartei. Am 1.Mai sind Transparente der PRD nahezu vollständig abwesend, wenngleich viele PRD-Anhänger mit ihren Gewerkschaftskontingenten laufen. Dort als Partei geschlossen aufzutreten ist offenbar einer "klassenübergreifenden" Partei des "ganzen mexikanischen Volkes" nicht angemessen.
Die Entstehung der PRD 1988 war der Katalysator, der zum Zusammenbruch der Kommunistischen Partei führte. In vieler Hinsicht ist sie das Haupthindernis für das Entstehen einer Massenpartei der Arbeiter, Bauern und ander Volkssektoren. Eine solche Arbeitermassenpartei kann nur durch oder im Zusammenhang mit einer gewaltigen Krise innerhalb der PRD entstehen.
Dennoch müssen Sozialisten gegenüber der militanten PRD- Basis extrem offen sein und systematisch auf gemeinsame Aktionen mit ihnen hinarbeiten. Dies ist eine wichtige Frage innerhalb der revolutionären Linken, wo sich einige postmaoistische und "trotzkistische" Organisationen bisweilen geweigert haben, mit PRDlern zusammenzuarbeiten, und sie angegriffen haben - nicht wegen dessen, was sie getan oder gesagt haben, sondern allein, weil sie Mitglieder der PRD sind. Weit davon entfernt der PRD zu schaden, stärken solche Haltungen sie nur noch.
Phil Hearse


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