Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.2 vom 20.01.2000, Seite 13

Blutsonntag

Anlässlich des Verbots der Demonstrationen und Veranstaltungen zum Gedenken an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht vor 81 Jahren

Nun ist es den Herrschenden doch noch gelungen, die machtvolle Manifestation für den Sozialismus, die anlässlich der Ermordung der beiden Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht traditionell am zweiten Sonntag im Januar stattfindet, zu verhindern. Mit Verhaftungen, massiven Knüppeleinsätzen etc. hatte man dies bislang wenigstens nicht geschafft. Solche kleinen "Blutsonntage" erwiesen sich als untauglich, den öffentlich demonstrierten Sozialismus auszuräumen. Von Jahr zu Jahr machtvoller zeigte sich trotz aller Einschüchterungsmaßnahmen die sozialistische Alternative zur bestehenden Barbarei auf den Straßen und der Gedenkstätte Berlins. Ein großer Blutsonntag musste da schon her.
Wirkliches Blut, das weiß man da oben, weckt unkontrollierten Zorn bei allen Geknechteten und Unterdrückten. Davon gibt es bedrohlich viele, die zugleich genügend Macht besitzen, in Windeseile ihre bedrückenden Verhältnisse auszuräumen - wenn sie nur gemeinschaftlich wollen. Manche Revolution ist schon durch unbedachtes Vorgehen der Polizei ausgelöst worden.
Da wirkliches Blut nicht in den eigentlich gewünschten Mengen fließen durfte, ließen unsere Herren zur Warnung an ihre aufmüpfigen Untertanen das Blut lediglich virtuell fließen. Benutzt wurde eine inszenierte oder tatsächliche Drohung eines angeblich namentlich bekannten Mannes, von dem behauptet wird, dass er mit einer Maschinenpistole und Handgranaten ein Blutbad unter den Demonstranten anzurichten gedenke. Die Polizei, die in der Vergangenheit alles andere nur nicht die Sicherheit der Demonstranten im Auge hatte, verordnete zynisch zur Sicherheit ein Demonstrationsverbot.
Die umfassenden Abriegelungsmaßnahmen und das Polizeiaufgebot ließen dabei keinen Zweifel, dass bei Nichtbeachtung das Blut wirklich strömen wird, verursacht nicht durch die Gewaltmittel des namentlich bekannten Übeltäters, sondern durch die der Polizei.
Die Demonstranten kannten aus eigener Erfahrung all die kleineren Gewaltakte, mit einem solch unerhörten Gaunerstreich hatten sie nicht gerechnet. Fragen drängten sich ihnen auf: Wenn der Polizei wider erwarten an ihrer Sicherheit gelegen sei, hätte sie nicht alles daran setzen müssen, den Übeltäter statt die Demonstranten zu behindern, hätte sie nicht die Demonstration zu sichern, statt sie zu verbieten gehabt? Gibt es nicht auch entsprechende Drohungen bei anderen "Großereignissen", ohne dass ein Verbot ausgesprochen wird? Werden nicht beim Volk unbeliebte Gäste durch die Hauptstadt chauffiert, wo selbst Morddrohungen keine Seltenheit sind, ohne dass die Gäste aus Sorge um ihre Sicherheit ausgeladen werden?
Im Vorfeld der Demonstration voneinander isoliert ließen sich viele von den nicht kontrollierbaren Meldungen irritieren. Nur ein Teil machte sich auf den Weg, um gemeinsam für einige Stunden eine sozialistische Öffentlichkeit herzustellen.
Die PDS, die einigen noch als Partei ihres Vertrauens gelten mag, missbrauchte dieses auf das schändlichste. Sie akzeptierte das Verbot und unternahm alle Anstrengungen, die Demonstration zu verhindern. Petra Pau verbreitete Angst und appellierte an alle Demonstranten "am (Gedenk-)Sonntag zu Hause zu bleiben" - ein Ziel, das bislang weder bürgerliche Meinungsmacher noch machtvolle Polizeiaufgebote zu realisieren vermochten. Am Sonntag ließ die PDS an verschiedenen U- bzw. S-Bahnhöfen Ideologen aufmarschieren, um auch noch die letzten Demonstranten von ihrem Vorhaben abzuhalten.
Da zeigte sich, was zusammengehören will: Weiträumige Polizeiabsperrungen auf der einen Seite, ihre geistigen Hilfstruppen auf der anderen. Ein Pendant zu den parlamentarischen Liebesspielen auf und in der Nähe von Regierungsbänken, also dort, wo die ökonomisch herrschende Klasse ihre politischen Führer aussortieren lässt. Die PDS hat mit diesem Demonstrationsverbot ihre "Regierungsfähigkeit" wieder einmal unter Beweis gestellt. Natürlich sagt sie dies nicht, jedenfalls nicht ihren gutgläubigen Anhängern. Vielmehr mimt sie das Opfer: Man lasse sich nicht erpressen, wolle die Demonstration nicht absagen, sondern lediglich verschieben.
Nein Danke! Zu Manövriermassen lassen sich die sozialistischen und kommunistischen Demonstrantinnen und Demonstranten nicht degradieren. Beinhaltet nicht, so denken inzwischen viele, die angestrebte Sozialdemokratisierung der PDS zugleich eine Kriminalisierung solcher Taten? Wer hat Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermorden lassen? Wer hat z.B. den "Berliner Blutmai" von 1929 zu verantworten? Wann, so wirft sich die Frage auf, wird die PDS Blut nicht nur virtuell, sondern tatsächlich fließen lassen - unter sozialistischen bzw. kommunistischen Demonstranten, Arbeitern versteht sich. Noch ist die Zeit nicht reif, noch übt sie in ihrer Regierungsverantwortung. Ihren ersten Test hat sie bestanden.
Günther S. (Berlin)


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