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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.2 vom 20.01.2000, Seite 15

Für eine Kultur der Hoffnung

Franz Hinkelammert, Kultur der Hoffnung. Für eine Gesellschaft ohne Ausgrenzung und Naturzerstörung, Mainz/Luzern (Exodus/Mathias-Grünewald) 1999, 206 Seiten, 48 DM.

Franz J. Hinkelammert veröffentlichte 1981 Die ideologischen Waffen des Todes. Zur Metaphysik des Kapitalismus und schrieb darin über "eine neue Ära … die noch keine gemeinhin anerkannte Bezeichnung trägt". In der Gründung der sogenannten Trilateralen Kommission sah er den ersten systematischen "Versuch, die liberale Ära und mit ihr die klassische liberale Demokratie durch neue Machtsysteme im Maßstab des kapitalistischen Weltsystems abzulösen".
Wesentliches Ziel dieser Organisation sei die Durchsetzung und ideologische Begründung einer neuen internationalen ökonomischen Arbeitsteilung, die sämtliche soziale, kulturelle und politische Erwägungen den Interessen der multinationalen Konzerne und den weltwirtschaftlichen Institutionen unterordne. Im lateinamerikanischen Kontext, aus dem Hinkelammert schreibt, hieße das, dass der Versuch einer über den jeweiligen Nationalstaat organisierten nachholenden Industrialisierung aufgegeben, von den Zielen einer ansatzweisen Vollbeschäftigung Abschied genommen werden müsse. Die dazugehörigen Mittel lagen auf der Hand: Verelendung und Ausschluss ganzer Bevölkerungsschichten, Unterdrückung der Opposition und autoritäre Polizeiregime. Weniger auf der Hand, aber von Hinkelammert detailliert analysiert, lag die zentrale Rolle des Begriffs der Menschenrechte in diesem Prozess.
Freiheit wurde auf die Freiheit des Marktes reduziert, soziale und politische Menschenrechte nicht nur als nachrangig betrachtet, sondern oft als korporatives Hindernis der notwendigen Liberalisierung angesehen. "Die Garantie der Menschenrechte wird außer Kraft gesetzt, und an ihre Stelle tritt die Kampagne zugunsten der Menschenrechte. Das Ziel dieser Kampagne ist es nicht, eine Garantie der Menschenrechte zu erreichen, sondern das Maß ihrer Verletzung in dem Rahmen zu halten, der für die freie Akkumulation des Kapitals im Weltmaßstab notwendig ist."
Hinkelammerts Beschreibung der praktisch-politischen Konsequenzen ist von verblüffender Aktualität: "Die Kritik der Menschenrechtsverletzungen verwandelt sich in eine Art Lob für die trilateralen Länder selbst, die in Wirklichkeit Verursacher dieser Menschenrechtsverletzungen sind. Sie erscheinen jetzt als Inseln des relativen Respekts vor den Menschenrechten, die den anderen als Vorbild dienen können … Ihre Kritik an der Verletzung der Menschenrechte ist das Instrument zur Beibehaltung eben dieser Situation ihrer Verletzung."
Der Golfkrieg 1991 und der NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 markieren zwanzig Jahre, nachdem diese Zeilen formuliert wurden, die gewaltsame Durchsetzung jener Form von Menschenrechtsideologie. Mittlerweile hat die neue Ära auch eine weithin anerkannte Bezeichnung. Es ist die Durchsetzung des Neoliberalismus, die Hinkelammert seitdem wie wenige beschrieben und angegriffen hat - bspw. in seinem 1994 auch auf deutsch erschienenen Hauptwerk Kritik der utopischen Vernunft. Eine Auseinandersetzung mit den Hauptströmungen der modernen Gesellschaftstheorie.
Es ist kein Zufall, dass solcherart frühe und systematische Kritik der neoliberalen Ideologie aus Lateinamerika kommt. Hier, im Chile Pinochets, setzte 1973 der historisch erste Versuch an, neoliberale Ideen weltweit hegemonial zu machen. Franz Hinkelammert wurde damals engagierter Zeuge dieser dramatischen Entwicklung. 1931 in Deutschland geboren und aufgewachsen, ging er Anfang der 60er Jahre im Anschluss an seine wirtschaftswissenschaftliche Promotion nach Lateinamerika. Er engagierte sich für Salvador Allendes friedlichen Weg zum Sozialismus und musste nach dem Pinochet-Putsch fliehen. 1976 kehrte er nach Lateinamerika zurück, wurde Professor für Wirtschaftswissenschaften in Honduras und Costa Rica, sowie, als Direktor eines ökumenischen Forschungszentrums, ein namhafter Vertreter der lateinamerikanischen Befreiungstheologie.
Das Thema des okzidentalen Aufstands gegen die Menschenrechte und ihre Reduzierung auf liberales Privateigentum und marktwirtschaftliche Profitgier ist der rote Faden auch seines neuesten auf deutsch vorliegenden Werkes. In den neun versammelten Aufsätzen zeigt sich Hinkelammert von seiner politisch-engagierten Seite und entlarvt den marktradikalen Neoliberalismus als neuen gesellschaftlichen Götzen. Hinkelammert wird nicht müde, die Sakralisierung des Kapitalismus an Ereignissen und Ideen nachzuweisen. Und er zeigt auf, dass die vermeintliche Antiutopie Markt selbst nur eine schlechte Utopie ist, wenn sie die endgültige Zerstörung der Utopien verheißt.
Es handelt sich auch um eine mörderisch-selbstmörderische Utopie, denn der solcherart verabsolutierter Marktmechanismus erweist sich als Zwangssystem und erzwingt als solches die menschliche und ökologische Katastrophe. Wo das ökonomische Kalkül alle nichtökonomischen Werte zuerst relativiert und dann gänzlich auflöst, herrscht ein scheinbar alternativloser Nihilismus, der fließend übergeht in eine Mystik des Todes. Widerstand beginnt, indem man sich der Rationalität des Todes verweigert und die Frage nach der Veränderung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die Frage des Sozialismus stellt.
Entscheidendes Mittel gegen die zerstörerischen Tendenzen ist auf Solidarität beruhendes gemeinschaftliches Handeln. Weil Alternativen zum menschlichen Wesen dazugehören, es mithin immer Alternativen gibt, auch heute also Alternativen nicht unmöglich sind, sondern unmöglich gemacht werden, stellt sich die Machtfrage. Jede ernsthafte Alternative darf sich, so Hinkelammert, nicht in die Falle des herrschenden Antietatismus begeben. Der Staat ist vielmehr eine unverzichtbare "Instanz der Verallgemeinerung des Widerstands". Auf diese Verallgemeinerung und politische Zuspitzung zu verzichten, würde der neoliberalen Fragmentierung in die Hände spielen. Es sollte den Oppositionellen also nicht darum gehen, den Staat als solchen zu demontieren, sondern dessen repressive Institutionen. Der solcherart entstandene Reststaat muss konsequent demokratisiert werden.
Christoph Jünke


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