Sozialistische Zeitung |
Wenn der Nebel über dem CDU-Spendensumpf sich verzogen haben wird, wenn bei den Landtagswahlen
CDU-Wähler durch Stimmenthaltung ihre Partei abgestraft haben, werden die immer noch von der "rot"-grünen
Koalition nicht gelösten Probleme wieder in unser Gesichtsfeld kommen.
Oskar Lafontaine benennt sie kurz so: "Es ist immer wieder dieselbe
Leier. Diejenigen, die hohe Einkommen und Vermögen haben, aber kaum Steuern zahlen und so gut wie nie vom Verlust des
Arbeitsplatzes bedroht sind, fordern am lautesten Reformen bei Rentnern, bei der Arbeitslosenversicherung und bei den Rechten der
Arbeitnehmer. Besonders tun sich dabei Politiker, verbeamtete Professoren, Journalisten und selbstverständlich Unternehmer und
Verbandsfunktionäre hervor, die sich allesamt nicht vorstellen können, was es heißt, mit einer Rente von 1250 Mark, einem
Arbeitslosengeld von 1400 DM, einer Arbeitslosenhilfe von 1000 DM oder der Sozialhilfe von 800 DM zu leben. Sie wissen häufig auch
nicht, dass eine Verkäuferin oder ein Hilfsarbeiter mit einem Nettoeinkommen von ca. 2000 DM leben muss."
Zugleich ist Lafontaine erstaunt darüber, dass sich die
sozialdemokratischen Parteien wenig damit beschäftigten, was die Deregulierung der internationalen Finanzmärkte für die
Politik bedeutete. Er bekennt sogar, dass er lange Jahre nicht den blassesten Schimmer von dem Treiben auf dem internationalen
Finanzmärkten hatte. Erst im Rahmen der Standort- und Globalisierungsdebatte habe er begonnen, sich genauer mit den Auswirkungen zu
beschäftigen.
Als er Zinssenkungen forderte, wurde Oskar Lafontaine "von den
schreibenden Jüngern des Neoliberalismus" beschuldigt, die europäischen Notenbanken bevormunden zu wollen. Er wurde
zum Buhmann der liberalen Orthodoxie, die ihm die Verantwortung für die Schwäche des Euro zuschob. Heute ist der Euro im
Keller und es stellt sich heraus, "dass der Euro-Kurs nur Ausdruck der realwirtschaftlichen Entwicklung in Amerika und in Europa ist. In
Amerika brummte die Konjunktur, in Europa lahmte sie. In den USA waren folglich die Zinsen höher und die zu erzielenden Renditen
damit attraktiver. Also gingen die Anleger lieber in Dollar als in Euro…"
Wie aber erklärt sich die andauernde amerikanische Konjunktur? In
Deutschland, wo die Sparquote 11% beträgt, wurden 1998 von den privaten Haushalten 266 Milliarden Mark auf die hohe Kante gelegt.
Das Vermögen der privaten Haushalte betrug 14,5 Billionen Mark. In den USA ist die Sparquote negativ. Das heißt, die
Amerikaner geben mehr Geld aus, als sie sparen. Sie geben sich einem Kaufrausch hin.
Aber fast die Hälfte aller US-Haushalte besitzt auch Aktien, setzt
blindlings auf die Spekulationsblase der Börse. Kein geringerer als Helmut Schmidt hält jedoch die Aktien in den USA für
total überbewertet. Es seien die Psychopathen, die die Kurse nach oben trieben, 30-jährige Händler und 40-jährige
Fondsmanager. Diesen fehle der Gesamtüberblick über die Welt und die Weltwirtschaft und auch die Verantwortung, die sich
daraus ergebe…
"Zusammen mit den Vermögensverwaltern der Handels- und
Investmentbanken bestimmen die Fondsmanager die Entwicklung der Weltwirtschaft in größerem Umfang als Regierungen und
Parlamente." Immerhin sieht Lafontaine die politische Aufgabe der Sozialdemokraten darin, "einen wild gewordenen Kapitalismus
zu bändigen, der sich unter Hinweis auf die vermeintlich ehernen Gesetze der Wirtschaft rechtfertigt … Der Neoliberalismus,
wissenschaftlich verbrämt und mit Medienmacht unterstützt, wurde zu einer Art konservativer Ideologie, die sich unter der
Überschrift ‚Ende der Ideologien und ‚Ende der Geschichte empfahl. Der Ruf nach weniger Staat ist all zu oft der Ruf
nach weniger Demokratie. Die demokratischen Entscheidungen der Politik sollen durch die Märkte ersetzt werden. Und wie immer schon
in der Geschichte passen sich viele dem herrschenden Zeitgeist an."
Auch wenn Oskar Lafontaine nicht vergisst, dass "das Herz noch nicht
an der Börse gehandelt wird", sondern einen Standort hat und links schlägt, hat sich die Führung der Sozialdemokratie
offensichtlich dem herrschenden Zeitgeist angepasst. Auch auf der SPD-Linken sind keine Anzeichen für den Willen vorhanden, den
wildgewordenen Kapitalismus zu zähmen. Ganz abgesehen davon, ob es möglich ist dies zu tun, ohne ihn überwinden zu
wollen.
Jakob Moneta