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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.3 vom 03.02.2000, Seite 3

Die ÖVP und der Faschismus

Eine lange gemeinsame Geschichte

Die Verhandlungen zwischen der ÖVP und der rechtsextremen, ausländerfeindlichen und antisemitischen Bewegung von Jörg Haider um die Bildung einer gemeinsamen Regierung hat alle Welt überrascht und skandalisiert, nur nicht die Öffentlichkeit in Österreich. Hier gilt die FPÖ, trotz ihrer eindeutig neonazistischen Ursprünge, durch ihre mehrfache Beteiligung an Koalitionen auf Landes- und Gemeindeebene mit der ÖVP und selbst der SPÖ, seit geraumer Zeit als "hoffähig".
Der Erfolg der FPÖ, die in Wahlumfragen mittlerweile mit 33% den ersten Platz besetzt, erklärt sich in der Hauptsache jedoch zum einen aus ihrer Unterstützung durch wichtige Sektoren der Industrie, zum anderen aus der Tatsache, dass die ÖVP, die bislang zusammen mit den Sozialdemokraten regiert hat, viele ihrer Themen aufgegriffen hat. Die ÖVP hat gehofft, damit den Aufstieg Haiders stoppen zu können. Allerdings blickt sie auch selbst auf entsprechende Traditionen zurück: Ihre Vorgängerin war die Christlich-Soziale Partei, die unter dem Vorsitz von Karl Lueger seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen hemmungslosen Antisemitismus pflegte, der sich mit einem paternalistischen Sozialprogramm kombinierte.

Ursprünge der Volkspartei
Anfang des Jahrhunderts begann die SPÖ ihre Zusammenarbeit mit den Christlich-Sozialen. Sie hatte sich im "roten Wien" verschanzt, das den Status einer autonomen Provinz erhalten hatte; hier erzielte sie lange Zeit Wahlergebnisse um die 70%. Sie verlor dann ihre relative Mehrheit; von 1922 an wurde die Führung der Zentralregierung dem Monsignore Ignaz Seipel anvertraut, ein würdiger Nachfolger von Lueger und ein militanter Antisozialist.
Neben der Christlich-Sozialen Partei bildeten sich damals mehrere paramilitärische Organisationen heraus, die formal von ihr unabhängig waren. Deren gefährlichste war die Heimwehr, sie wurde von Großgrundbesitzern gegründet und vom Fürsten Ernst Starhemberg geführt. Jahre hindurch griff diese Organisation im ganzen Land die sozialistischen Parteibüros gewaltsam an, mit Ausnahme von Wien, wo die Sozialdemokraten zu stark waren und auch über ausreichend eigene militärische Verbände verfügten, wie den Schutzbund, der 120.000 Männer zählte, die gut ausgebildet, wenn auch nicht angemessen bewaffnet waren.
Man wird die Bedeutung dieser bewaffneten Truppe besser ermessen, wenn man sich vor Augen hält, dass das reguläre Heer damals durch den Versailler Vertrag auf 30.000 Soldaten beschränkt war.
Doch wurde der Schutzbund lange zurückgehalten; er beschränkte sich auf harmlose Paraden, um die Basis ruhigzustellen; während die Regierung ein Waffenlager nach dem anderen hochgehen ließ, erzählte man ihr, er werde "im geeigneten Augenblick" losschlagen.
Im Juli 1927, als ein Prozess gegen eine der parafaschistischen Banden (die Frontkämpfer) wegen Mord an sozialdemokratischen Aktivisten mit einem skandalösen Freispruch der Mörder zu Ende ging (in offensichtlichem Widerspruch zu den Tatsachen, weil die Justiz trotz sozaldemokratischer Regierungsbeteiligung eine reaktionäre Hochburg geblieben war), verließen die Wiener Arbeiter spontan ihre Fabriken und marschierten auf das Parlamentsgebäude und den Justizpalast zu; letzterer wurde angezündet, die Polizei schoss und tötete 94 Demonstranten, verletzte 2000. Trotzdem wurde der Schutzbund nicht eingesetzt, um seine erklärten Aufgaben der Selbstverteidigung wahrzunehmen.
Viele Sozialdemokraten - und damals stand die Partei am weitesten links in der II.Internationale, deshalb kam links von ihr die KPÖ auch nie hoch - verlangten eine Mobilmachung des Schutzbunds, um die Welle reaktionärer Gewalt zu stoppen, aber man hörte nicht auf sie. Man beschränkte sich darauf, einen Generalstreik auszurufen, der außerhalb
Wiens wegen der Intervention der Heimwehr scheiterte.
Diese hatte ihre Lektion von den italienischen Faschisten gelernt; sie setzte mit Waffengewalt und mit Hilfe des Einsatzes von Streikbrechern durch, dass die Züge wieder fuhren und ein großer Teil der Fabriken wieder geöffnet wurde.

Kampf gegen den Sozialismus
1929 spitzte sich die Situation noch einmal zu: Die Wirtschaftskrise, auf die die Arbeiterbewegung keine konkrete Antwort fand (weder in Österreich noch in Deutschland wurde die Forderung nach einer Verkürzung der Arbeitszeit und nach Umverteilung der Arbeit gestellt), schwächte die Gewerkschaften und die SPÖ. Das Kleinbürgertum hingegen wurde in der Krise ruiniert, und ein großer Teil der Kämpfer in paramilitärischen Verbänden wie der Heimwehr näherte sich der offen nazistischen Partei an, die den Anschluss an Deutschland wollte, wo Hitler aus denselben Gründen Zustrom erhielt.
Es wurden aber auch die profaschistischen Strömungen innerhalb der Christlich-Sozialen gestärkt. Schon 1930 trat der Bundesführer der Heimwehr, Fürst Starhemberg, als Innenminister in die Regierung Vaugoin ein, zusammen mit einem anderen Vertreter seiner Partei, dem Heimatblock. Dieser hatte sich in dem Jahr erstmals zur Wahl gestellt und dabei einen großen Teil der christlich-sozialen Wählerschaft auf sich gezogen; er erzielte auf Anhieb acht Nationalräte, während die nationalsozialistische Partei, die ein Bündnis mit dem Heimatblock abgelehnt hatte, das Quorum nicht erreichte und nicht in den Nationalrat einzog. Jene Wahlen gaben den Sozialdemokraten ihre relative Mehrheit zurück, aber daraus machte sie nicht viel.
1932 wurde Engelbert Dollfuß zum Vorsitzenden der Christlich- Sozialen Partei und zugleich der Bundesregierung gewählt. Er begann, die Sozialdemokratische Partei und die ihr nahestehenden Gewerkschaften immer offener anzugreifen; dabei stützte er sich auf die Ratschläge Mussolinis, der sehr froh darüber war, jede Spur von Arbeiterbewegung im Nachbarland ausradieren zu können; gleichzeitig verfolgte er das Ziel, eine Art Protektorat in Österreich zu errichten und damit ein Gegengewicht zum Einfluss Deutschlands und Hitlers zu schaffen, mit dem er sich vorbehaltlos erst nach dem Feldzug in Äthiopien verbündete. Ab dem Zeitpunkt wurde das christlich-ständische Regime als "austrofaschistisch" bezeichnet.
Im März 1933 nutzte Dollfuß den Rücktritt des Nationalratspräsidenten (des Sozialdemokraten Karl Renner) und seiner beiden Vizepräsidenten von der Christlich-Sozialen Partei, um das Parlament in Urlaub zu schicken. Danach verkündete seine Regierung die "Selbstausschaltung des Parlaments" und hob einen großen Teil der bürgerlichen Freiheiten auf. Im gleichen Monat löste er auch die KPÖ und den Schutzbund auf, der wie üblich nicht reagierte. Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen erschwerten die bescheidenen Aktivitäten der Arbeiterorganisationen immer mehr; gleichzeitig wurde eine vorbeugende Pressezensur eingeführt.
Am 1.Mai 1933 wurden die traditionellen Umzüge verboten; der Versuch, sie dennoch durchzuführen, bot den Vorwand für zahlreiche neue Verhaftungen und für den Aufbau der ersten Konzentrationslager für politische Häftlinge.
Am 1.Januar 1934 wurden die gewählten Leitungen der Arbeiterkammern aufgelöst. Am 23.Januar wurde die sozialdemokratische Tageszeitung, die Arbeiterzeitung, verboten. Wieder ohne Reaktion.
Der Führer der Austromarxisten, Otto Bauer, beschrieb ein Jahr nach der endgültigen Niederlage im Februar 1934 die Existenzbedingungen seiner Partei im letzten Jahr ihrer "Legalität" folgendermaßen: Nach den schweren Beeinträchtigungen der Pressefreiheit, des Versammlungsrechts, nach der direkten Übergabe der Zuständigkeit für "politische Delikte" an die Polizei und der drastischen Einschränkung der Arbeitslosenunterstützung (die für einige Berufsgruppen ganz aufgehoben wurde), nach der Absetzung gewählter Gewerkschaftsführer und der Einsetzung von Regierungsbeamten an ihrer Stelle, "begann die Regierung einen Steuerkampf gegen die Gemeinde Wien", deren Exekutive über ein Drittel ihrer Einkünfte entzogen wurden. Darüber hinaus wurde "die Heimwehr in eine Regierungstruppe im Sold des Staates umgewandelt, als Hilfspolizei genutzt und von Sondergesetzen geschützt; für die Fortsetzung ihres faschistischen Kampfs gegen die demokratische Verfassung, die es nominell noch gab, wurde ihr freie Hand gelassen".
Im Oktober 1933 führte die SPÖ in einem Klima der Angst vor der wachsenden und ungehinderten Offensive des Austrofaschismus einen außerordentlichen Kongress durch, der sich mit dem Beschluss beschied, man werde zum Generalstreik aufrufen, wenn eine der folgenden vier Bedingungen einträten:
1. die Regierung proklamiert eine Verfassung, die im Gegensatz zum geltenden Recht und zur geltenden Verfassung steht;
2. die Regierung setzt die Gemeinderegierung von Wien ab;
3. die Regierung löst die Partei auf;
4. die Regierung löst die Gewerkschaften auf.
Dabei war nicht eine dieser Bedingungen, sondern zum großen Teil alle vier bereits verwirklicht. Aber Bauer meinte, da man wisse, "im Augenblick der entscheidenden Schlacht werde es zahlreiche Opfer geben", könne man "vor den österreichischen Müttern nicht die Verantwortung dafür übernehmen, wenn man nicht vorher alle friedlichen Mittel zum Schutz der Freiheit der Bevölkerung ausgeschöpft habe".
Diese Mittel waren jedoch bereits erschöpft, und so ging die Initiative für den unausweichlichen letzten Zusammenstoß von der Regierung Dollfuß im Februar 1934 aus. Die Antwort kam breit, aber von der Basis, ohne eine Koordination auf Führungsebene oder durch den Schutzbund; sie schloss mit der tragischen Bilanz von 1200 Toten und 5000 Verwundeten.
Dollfuß starb wenige Monate später im Verlauf eines gescheiterten Putsches der Nationalsozialisten. Sein würdiger Nachfolger wurde Schuschnigg, ebenfalls Mitglied der Christlich-Sozialen Partei; dieser musste 1938 die Macht direkt an Hitler abgeben, der Österreich dem Deutschen Reich einverleibte. Die Christlich-Soziale Partei hatte zu dem Zeitpunkt das Land bereits in eine faschistische Diktatur verwandelt.
Wen wundert es dann, wenn seine Erben und Nachfolger sich mit Haider verbünden? Und wen kann es wundern, dass die gegenwärtige SPÖ, die nicht einmal ein Schatten der österreichischen Sozialdemokraten der 20er und 30er Jahre ist, es nicht vermocht hat, den Aufstieg der neuen Rechtspartei zu behindern, die sie nun auch in den Wahlumfragen überholt hat?
Antonio Moscato


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