Sozialistische Zeitung |
Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der IG Bergbau, Energie, Chemie (BCE ) ist dafür, dass die
Gewerkschaft ohne Entgeltforderung in die Tarifrunde geht. "Das halte ich für eine intelligente Lösung" erklärte
er am 21.Januar gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen. Wenn dies Wirklichkeit wird, ist das sogar für diese Gewerkschaft
ein starkes Stück. Obwohl der Tarifvertrag erst Ende Mai ausläuft, soll die Entgeltforderung am 15.Februar vom Hauptvorstand
beschlossen werden.
Die Vorbereitung der diesjährigen Tarifrunde ist eine einzige Aneinanderreihung von innergewerkschaftlichen Skandalen und
Verstößen gegen jegliches Demokratieverständnis. Im Frühjahr 1999 gab es die ersten Sondierungsgepräche
zwischen Arbeitgebern und der Spitze der IG BCE. Themen waren damals der Billigtarifvertrag und Strukturveränderungen. Ohne
Diskussion unter den Vertrauensleuten geschweige denn unter den normalen Mitgliedern setzte die Bundesentgelttarifkommission in einem
Treffen am 24.11.99 die Eckpunkte für die Tarifrunde 2000 fest.
Wer dachte, diese würden jetzt in der Mitgliedschaft diskutiert, hatte sich getäuscht. Stattdessen begann die IG BCE am
8.12.99 Verhandlungen mit den Arbeitgebern über die "Weiterentwicklung des Bundesentgelttarifvertrags". Am 20./21.Januar
wurden sie weiter geführt. Die Mitglieder durften dies in der Januar-Ausgabe des IG-BCE-Magazin nachlesen. Zum selben Zeitpunkt
bekamen die Vertrauensleute erste "Teilinformationen" per Flugblatt.
Die Ankündigung des Hauptvorstands, Mitte Februar die Forderungen zur Tarifrunde zu verabschieden, hört sich allerdings an
wie ein makaberer Scherz. Was soll denn da verabschiedet werden? Etwa, dass die Gewerkschaft mit einer Null-Prozent- Forderung in die
Tarifrunde geht?
Das Verfahren zeigt, dass Mitglieder in der IG BCE nichts mehr zählen. Wichtige Änderungen am Entgeltarifvertrag aber
müssen in der Mitgliedschaft ausführlich diskutiert werden! Die "KollegInnen für eine durchschaubare
Betriebsarbeit" von Bayer Leverkusen haben deshalb gegen diese Umgangsweise protestiert. Aus ihrer Sicht zerstört der Vorstand
mit seiner innergewerkschaftlichen Politik das Vertrauen der Mitglieder und letztendlich die IG BCE.
Der Bundesarbeitgeberverband Chemische Industrie (BAVC) hat schon Mitte letzten Jahres für die Tarifrunde 2000 folgende
Schwerpunkte gesetzt:
- Entgeltstruktur: Der bestehende Entgeltaufbau entspricht nicht mehr dem Stand der Zeit.
- Entrümpelung: Im heutigen Tarifvertrag finden sich zum Teil fast 50 Jahre alte Zöpfe, etwa zur Waschzeit nach getaner
Arbeit.
- Chemienahe Dienstleistungen: Das Abwandern ausgegliederter Chemie-Dienstleister muss mit geeigneten tariflichen Instrumenten
gestoppt werden.
Für all diese Bereiche wollen die Arbeitgeber Verschlechterungen durchsetzen. Sie sind der Auffassung, dass die Eingruppierungen
in der chemischen Industrie zu hoch sind. Bayer will die Vorarbeiterfunktion abschaffen, die Erschwerniszulage wird in Frage gestellt.
Im November 1999 legte die IG BCE ihre Eckpunkte fest:
- Strukturfragen des Bundesentgelttarifvertrages und
- Lösungen für Fälle möglicher Tarifkonkurrenz.
In der kommenden Tarifrunde will die IG BCE in folgenden Punkten Veränderungen aushandeln:
- bei der Gruppen/Teamarbeit,
- bei Vertretungsregelungen,
- bei der Bezahlung höherwertiger Tätigkeit,
- in Sachen vorgehaltener Qualifikation, Vorarbeiter, Erschwerniszulagen,
- und sie will eine Überarbeitung der Tätigkeitsbeispiele in den einzelnen Entgeltgruppen.
Im Zusammenhang mit dem "Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" kommen in diesem Jahr dazu:
- die Veränderung des Tarifvertrages zur Altersteilzeit
- der tarifliche Rentenfonds.
Der Themenkatalog von Arbeitgeber und Gewerkschaft ist also fast identisch.
Aufgrund neuester Presseberichte ist zu befürchten, dass die IG BCE tatsächlich ohne Entgeltforderung in die Tarifrunde
geht. Das würde darauf hinauslaufen, dass über alle möglichen Verschlechterungen verhandelt wird und der Entgelt der
Beschäftigten die Verhandlungsmasse bildet.
Billigtarif
Unter dem Punkt "Lösungen für Fälle einer möglichen Tarifkonkurrenz" versteckt sich der
berüchtigte "Dienstleistungstarif", auch "Billigtarif" genannt. Von "Dienstleistungstarif" wird nicht
mehr gesprochen. Man redet jetzt von "Servicefenster" oder "betrieblichen Tariflösungen" für die
Dienstleistungsbereiche.
In den Unterlagen der Tarifkommission heißt es dazu:
- keinen eigenständigen Dienstleistungstarifvertrag,
- Lösung für eng begrenzte Serviceabteilungen/-betriebe,
- Regelung durch unternehmensbezogene Tarifverträge zwischen BAVC und IG BCE.
Die Gewerkschaftsführung geht davon aus, dass ein "Billigtarifvertrag" für Dienstleistungsbereiche kommt, ja sie
fordert ihn selbst als betriebliche Tarifregelung und das ohne Rückkopplung mit der Basis!
Weitere Entgeltgruppen
Die IG BCE strebt an, zwischen E5 und E6, E8 und E9 sowie oberhalb der jetzigen Entgeltgruppen neue Gruppen einzuführen. Ihr
Ziel ist es, den Tarifvertrag für Gewerbliche nach oben zu öffnen. Dieses Ziel wird von den "KollegInnen für
durchschaubare Betriebsarbeit" unterstützt, es ist eine ständige Forderung in den Betrieben. Die Einführung
zusätzlicher Gruppen ist dabei jedoch nicht hilfreich. Es wird nicht deutlich, mit welchem Entgelt die neuen Gruppen ausgestattet werden
sollen. Zu befürchten ist, dass hier neue "Billiggruppen" entstehen und somit der "Billigtarifvertrag" durch die
Hintertür eingeführt wird. Neue Entgeltgruppen würden die Beschäftigten weiter aufspalten; Ziel gewerkschaftlicher
Tarifpolitik muss aber sein, dies zu verhindern und nicht noch zu fördern. Berufsanfänger hätten einen längeren Weg
vor sich - sie müssten mehr Gruppen durchlaufen als bisher.
Neue Tätigkeitsbeispiele
Neue Technologien, Teamarbeit und Veränderungen im Berufsbild werden in den jetzigen Tätigkeitsbeispielen nicht
berücksichtigt. Keinesfalls dürfen die neuen Richtbeispiele die Bewertung der Entgeltgruppen herunterdrücken. Neue
Tätigkeitsbeispiele müssen absichern, dass erworbene Qualifikationen auch dann vergütet werden, wenn sie nicht
ständig abverlangt werden. Höhergruppierungen dürfen nicht von der Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen
abhängig gemacht werden, sondern müssen sich nach den abverlangten Anforderungen richten.
Angriff auf die Entgeltgarantie
Die Arbeitgeber wollen die Entgelte in den Gruppen E1-E8 senken, angeblich sind sie nicht mehr wettbewerbsfähig. Es ist auch kein
Geheimnis, dass sie die Entgeltgarantien in Frage stellen. Was schreibt die Tarifkommission dazu?
- Entgeltgarantie,
- Umwandlung in direktes Tarifentgelt,
- Veränderung der betrieblichen Entlohnungssysteme.
Diese Formulierung führt zumindest zu Stirnrunzeln. Sind die Entgeltgarantien kein Tarifentgelt? Warum will die Gewerkschaft neue
"betriebliche Entlohnungssysteme" tariflich vereinbaren? Will die IG BCE jetzt auch die Nasenprämie im Tarifbereich? Bei
dem Punkt "Veränderung der betrieblichen Entlohnungssysteme" geht es darum, dass ein Teil des Tarifentgelts nur noch
leistungsbezogen gezahlt werden soll. Dies wäre dann neben einer übertariflichen "Nasenprämie" auch noch eine
tarifliche. Ein besonderer Herzenswunsch der Arbeitgeber, der zu weiterer Aufspaltung der Beschäftigten führt.
Das Motto "Jeder gegen jeden" darf nicht Einzug in die Tarifpolitik halten.
Forderungen der
"Durchschaubaren"
Ein Tarifvertrag hat Schutzfunktion und sichert die kollektive Entgeltregelung für alle Beschäftigten in der chemischen
Industrie ab. Bei der diesjährigen Tarifrunde muss der Schwerpunkt auf der Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten liegen.
Strukturveränderungen sollen nur verhandelt werden, wenn es Aussicht auf Verbesserungen gibt. Wenn das nicht der Fall ist, oder sogar
die Gefahr besteht, dass "weitere Dämme brechen", soll die Gewerkschaft eine "reine Entgeltrunde" führen.
Die Entgeltforderungen muss folgendes bringen:
- Die Höhe der Forderung muss Inflationsausgleich, Produktivitätszuwachs und die niedrigen Entgelterhöhungen der
letzten Jahre berücksichtigen;
- nötig sind eine Festgeldforderung
- und kurze Laufzeiten.
Darüber hinaus fordern die "Durchschaubaren" u.a.:
- keine weiteren Entgeltgruppen,
- keine leistungs - oder gewinnabhängige Tarifbestandteile,
- keine Verlagerung der Verhandlungen in die Betriebe.
Die Betriebsräte sind durch die Bindung an die gesetzliche Friedenspflicht in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Es gilt
die Regel "Gemeinsam sind wir stark" und nicht "Jeder (Betrieb) für sich selbst."
Außerdem:
- Die Verschlechterungen der letzten Jahre müssen rückgängig gemacht werden.
Die Absicherung von Arbeitsplätzen und die Neueinstellung von Langzeitarbeitslosen konnten durch Zugeständnisse bei den
Tarifverträgen nicht erreicht werden. Stattdessen wurden die Beschäftigten in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft aufgespalten und
unter Druck gesetzt. Deshalb fordern die "Durchschaubaren":
- das 13.Monatsgehalt wieder auf 100%,
- wieder 100% Entgelt für Neuanfänger (seit 1995 bekommen Neuanfänger im ersten Jahr nur 95% vom Tarif),
- Abschaffung des Entgeltkorridors (seit 1995 können Betriebe bei " schlechter Wirtschaftslage" die Entgelte bis zu 10%
kürzen).
Kollegen von Bayer
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