Sozialistische Zeitung |
Die Lage sieht für die UNO nicht rosig aus. Lange ist es her, dass die Blauhelmtruppen den
Friedensnobelpreis bekamen. Spätestens der NATO-Krieg gegen Jugoslawien machte deutlich, dass sich relevante Teile der Staatenwelt,
nämlich die NATO-Staaten, nicht mehr von der UNO abhängig machen wollen. Der Krieg gegen Jugoslawien war zwar noch kein
Todesstoß für die UNO, doch dürfte er der UNO keineswegs genutzt haben. Die Lehre des Krieges ist nicht, wie oft
behauptet, dass "die internationale Staatengemeinschaft" nicht mehr dulde, dass ein Staat einen Teil seiner Bevölkerung
massakriert.
Vor allem in den Ländern des Südens wird sehr genau
registriert, dass Belgrad bombardiert wird, nicht aber das NATO-Land Türkei, das seit Jahren seine kurdische Bevölkerung mit
Krieg überzieht. Diese Doppelmoral verweist darauf, dass Menschenrechte nur Vorwand für die Durchsetzung von Interessen
waren. Nach der UN-Charta herrscht allgemein ein Kriegsverbot, Ausnahmen gestattet nur der Sicherheitsrat. Das hat er im Falle Jugoslawiens
nicht getan, doch die NATO hat sich darüber hinweggesetzt. Begründet wurde das vor allem hierzulande mit Notfallkonstruktionen
und der Betonung der Einmaligkeit. Doch letztlich nützen auch keine noch so kreativen Begründungsversuche: Die NATO hat klar
gemacht, dass sie sich über die UN-Charta hinwegsetzen kann und will. Das schadet dem ganzen System.
Aus den USA kommen darüber hinaus mehr als deutliche Signale,
dass der Fall Kosovo und die Missachtung der UNO keineswegs einmalig bleiben. Über den UN-Sicherheitsrat sind China und Russland
in der Lage, den USA mit ihrem Veto Steine in den Weg zu legen. Warum also das grüne Licht des Sicherheitsrats zur Bedingung
für eigene Handlungen machen? Was Washington beschließt, soll nicht von Moskau oder Peking abhängen. Die USA behalten
sich vor, Militäreinsätze, wie bisher auch, autonom zu beschließen und durchzuführen. Im Zweifelsfall wird die UNO
links liegen gelassen.
Da nützt es auch nichts, wenn europäische NATO-Staaten
darauf drängen, dass die NATO in der Regel in Übereinstimmung mit der UN-Charta handeln soll. Das Brisante sind die
Ausnahmen. Noch heute rechtfertigt US-Außenministerin Madeleine Albright die Raketenangriffe auf Sudan und Afghanistan mit dem
Argument, die Weiterverbreitung von Atomwaffen hätte verhindert werden müssen. Bei diesen jedes Recht verletzenden Angriffen
handelt es sich aber nicht etwa um ein Art "archaisches" Element der US-amerikanischen Außenpolitik, das irgendwann
verschwinden wird. Es handelt sich um den Normalfall: Raketenabwehr für die USA, weltweite Militärpräsenz mit
Flugzeugträgern und Stützpunkten, die Tomahawk-Marschflugkörper als neue Superwaffe nach dem Kalten Krieg. Wer zu den
"Schurkenstaaten" zählt, muss damit rechnen, mit Tomahawks beschossen zu werden. "Schurkenstaaten" wiederum
sind nicht etwa alle Staaten mit diktatorischen Regierungen. "Schurkenstaaten", so ein Washingtoner Beamter, sind
"Länder, die schlechte politische Beziehungen mit Washington haben".
Die Einrichtung eines UN-Strafgerichtshofs zur Verfolgung von
Kriegsverbrechen wird von einigen als ein weiterer Schritt zur Verrechtlichung der internationalen Politik gefeiert. Jetzt müsse allen
potenziellen Kriegsverbrechern klar sein, dass sie ihre Taten vor Gericht verantworten müssen. In der Tat: Die Urteile des Gerichtshofs
sind bisher über jeden Zweifel erhaben. Das Problem liegt wieder in den Ausnahmen. Die Debatte um Kriegsverbrechen der NATO im
Jugoslawienkrieg machte deutlich, dass sich einige Personen und Staaten vor diesem Gericht nicht verantworten müssen. Was die NATO
von dem Gerichtshof hält, hat ihr Pressesprecher Jamie Shea auf den Punkt gebracht: "Die NATO-Staaten haben die finanziellen
Voraussetzungen für die Finanzierung des Tribunals geschaffen … Sie können mir also glauben: Das Tribunal und die NATO sind
sich einig: Wir wollen, dass Kriegsverbrecher ihre gerechte Strafe erhalten … Daher wird die Chefanklägerin Staatsbürger
jugoslawischer Nationalität anklagen und wohl kaum jemanden sonst."
Solange die NATO mit dieser Haltung durchkommt, solange kann auch der
Strafgerichtshof nicht als voll funktionsfähig gelten. Und solange bleibt die pazifizierende Wirkung aus, die einige von der Existenz des
Gerichtshofs erwarten. Es kann überhaupt keine Hoffnung bestehen, dass die USA ihre Haltung ändern werden. Ginge der
Gerichtshof heute gegen die NATO vor, wäre das sein Ende.
Auch auf wirtschaftlichem Gebiet hat die UNO längst Konkurrenz
bekommen. Die Welthandelsorganisation (WTO) ist längst die wichtigere Organisation, was auch daran zu sehen ist, dass bei WTO-
Gipfeln wie jüngst in Seattle protestiert wird, nicht aber vor dem UNO-Hauptquartier in New York. Im Vergleich zur etwas
demokratischeren UNO ist die Zuständigkeit der WTO sicher ein Rückschritt. Wobei anzumerken wäre, dass die WTO genau
deshalb ins Leben gerufen wurde: um die Interessen der Industrieländer besser durchzusetzen. Vorbei sind die Zeiten, als in UN-Gremien
über eine neue Weltwirtschaftsordnung im Sinne eines Ausgleichs zwischen Nord und Süd debattiert wurde.
So bleibt es fraglich, ob die UNO zu einer Weltregierung werden kann,
bzw. ob ein Weltsystem mit Regierung, also dem Sicherheitsrat, der UN-Generalversammlung als Parlament und einem Gerichtshof, über
den die Streitfragen der Mitglieder geregelt werden, errichtet wird. Zu fragen wäre auch, ob eine Weltregierung überhaupt
wünschenswert ist. Der Einwand dagegen ist so alt wie die Idee selbst: Eine Weltregierung müsste militärisch so stark sein,
dass sie jeden Mitgliedstaat in die Knie zwingen könnte. Ist das nicht gewährleistet, ist das ganze System Makulatur. Die Frage ist,
wer einen solchen Superstaat, den globalen Leviathan, will. Spätestens hier zeigt sich, dass der Weltstaat wohl kaum mehr ist als die
Hoffnung auf den "irdischen Erlöser". "Endstation Sehnsucht: Weltstaat. Oder die trügerische Entlastung von der
eigenen Verantwortung" heißt treffend ein Aufsatz von Wolf-Dieter Narr. Das weist in die richtige Richtung: die Veränderung
der Welt wird nicht von der UNO erledigt. Die UNO kann den Mitgliedstaaten als Instrument dienen, sowohl zur Streitschlichtung als auch zur
Legitimierung von imperialistischen Kriegen. Sie ist damit auch ein Abbild der realen Machtverhältnisse. Aber als neues
revolutionäres Subjekt taugt die UNO nicht.
Dirk Eckert