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Fast wäre ein Panzer zum Waterloo der rot-grünen Koalition geworden. Ergebnis des
öffentlich ausgetragenen Streits um die Lieferung eines Testpanzers an die Türkei im Winter: Es wird vorerst nur ein Panzer vom
Typ Leo II an die Türkei geliefert. Über eine endgültige Lieferung wird erst später entschieden - vorausgesetzt, die
Türkei will den Leo überhaupt, was aber nicht unwahrscheinlich ist. Derweil geht die Arbeit an neuen Richtlinien zum
Rüstungsexport weiter.
Am 19.Januar war es dann soweit: Das Bundeskabinett in Berlin hat die
neuen Richtlinien, die "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen
Rüstungsgütern", abgesegnet. Wichtigste Neuerung: Waffen dürfen nicht mehr geliefert werden, wenn sie im
Empfängerland zur internen Repression und für Menschenrechtsverletzungen benutzt werden. Der Beachtung der Menschenrechte
wird jetzt "besonderes Gewicht" beigemessen.
"In eine solche Prüfung der Menschenrechtsfrage werden
Feststellungen der EU, des Europarats, der Vereinten Nationen (VN), der OSZE und anderer internationaler Gremien einbezogen",
heißt es weiter. Berichte von internationalen Menschenrechtsorganisationen sollen ebenfalls berücksichtigt werden.
Die neuen Richtlinien wurden auch im Hinblick auf neue EU-Regelungen,
insbesondere den "Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren", verabschiedet. "Soweit die
nachfolgenden Grundsätze im Verhältnis zum EU-Verhaltenskodex restriktivere Maßstäbe vorsehen, haben sie
Vorrang", heißt es in den Richtlinien.
In einem Punkt hat sich nichts geändert. Genehmigt werden
Rüstungsexporte nach wie vor vom Bundessicherheitsrat, einem Ausschuss des Kabinetts, der unregelmäßig zusammentritt.
Ihm gehört seit Regierungsantritt von SPD und Grünen neben dem Bundeskanzler, dem Verteidigungs-, Wirtschafts- und
Außenminister auch die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul an. Damit wird die Entscheidung über
Rüstungsexporte weiterhin im kleinen Kreis getroffen.
Um die Geheimniskrämerei mit mehr Transparenz zu koppeln, wird
die Bundesregierung, so sehen es die neuen Richtlinien vor, dem Parlament jährlich einen Bericht zu Rüstungsexporten vorlegen.
Eigentlich wollten die Grünen auch Vorabkonsultationen der Regierung mit dem Parlament bei Rüstungsexporten durchsetzen. Da
seien sie aber an den Sozialdemokraten gescheitert, berichtete die Grüne Claudia Roth im Ausschuss für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe des Bundestages am 26. Januar. Trotzdem wertete die Grüne die neuen Richtlinien als "deutliche
Verbesserung".
Nach den neuen Richtlinien soll der Export in Länder, die nicht EU
oder NATO angehören, "restriktiv" gehandhabt werden. Der Export dürfe nicht zum "Aufbau zusätzlicher,
exportspezifischer Kapazitäten" führen. Deshalb werde die Bundesregierung von sich aus keine "privilegierenden
Differenzierungen nach einzelnen Ländern oder Regionen" vornehmen.
Dabei gilt für Kriegswaffen, die nach Kriegswaffenkontrollgesetz
und Außenwirtschaftsgesetz genehmigungspflichtig sind, dass Exporte nicht genehmigt werden, "es sei denn, dass im Einzelfall
besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der
Bündnisinteressen für eine ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen." Weiter heißt es, und das ist neu:
"Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen."
Für Rüstungsgüter, die nach dem
Außenwirtschaftsgesetz genehmigungspflichtig sind, werden Genehmigungen nur erteilt, "soweit die im Rahmen der Vorschriften
des Außenwirtschaftsrechts zu schützenden Belange der Sicherheit, des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder der
auswärtigen Beziehungen nicht gefährdet sind".
Grundsätzlich scheiden "Lieferungen an Länder, die sich
in bewaffneten äußeren Konflikten befinden oder bei denen die Gefahr für den Ausbruch solcher Konflikte besteht",
aus, "sofern nicht ein Fall des Artikels 51 der VN-Charta vorliegt".
Artikel 51 der UN-Charta beinhaltet das Recht der Staaten auf
Selbstverteidigung, solange sich die UNO nicht eingeschaltet hat. Außerdem soll bei Exportgenehmigungen berücksichtigt werden,
"ob die nachhaltige Entwicklung des Empfängerlands durch unverhältnismäßige Rüstungsausgaben ernsthaft
beeinträchtigt wird".
Berücksichtigt werden sollen auch das Verhalten der
Empfängerländer in Bezug auf "die Unterstützung oder Förderung des Terrorismus und der internationalen
organisierten Kriminalität" und "die Einhaltung internationaler Verpflichtungen, insbesondere des Gewaltverzichts".
Weitere Kriterien, die Berücksichtigung finden sollen, sind "die Übernahme von Verpflichtungen im Bereich der
Nichtverbreitung sowie in anderen Bereichen der Rüstungskontrolle und der Abrüstung" und die Unterstützung des UN-
Waffenregisters.
Kriegswaffen werden nur geliefert, wenn bei schriftlicher Zusicherung der
Endverbleib der Waffen gesichert ist. Bei Verstößen sehen die Richtlinien automatische Sanktionen vor: "Ein
Empfängerland, das entgegen einer abgegebenen Endverbleibserklärung den Weiterexport von Kriegswaffen oder
kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern genehmigt oder einen ungenehmigten derartigen Export wissentlich nicht verhindert hat
oder nicht sanktioniert, wird bis zur Beseitigung dieser Umstände grundsätzlich von einer Belieferung mit weiteren Kriegswaffen
und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern ausgeschlossen."
EU mit NATO
gleichgestellt
Völlig liberalisiert werden soll der Export in EU- und NATO-Staaten sowie in die Schweiz, nach Neuseeland,
Japan und Australien. Exporte in diese Länder sind "grundsätzlich nicht zu beschränken". In Einzelfällen
sei aber aus politischen Gründen eine Beschränkung möglich.
Die Neuregelung war zu erwarten: Am 29.September 1999 erklärte
ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des Bundestags, dass es bisher
nur möglich gewesen sei, Exporte ausnahmsweise zu genehmigen, wenn "im Einzelfall vitale Interessen der Bundesrepublik
Deutschland" dafür gesprochen hätten. In den neuen Richtlinien werde es heißen, dass "besondere außen-
oder sicherheitspolitische Interessen unter Berücksichtigung der Bündnisinteressen" maßgeblich seien. In sprachlich
leicht veränderter Form wurde das so in die Richtlinien aufgenommen. Nun gilt: "Der Export von Kriegswaffen und sonstigen
Rüstungsgütern in diese Länder hat sich an den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des
Bündnisses und der EU zu orientieren."
Die Richtlinien versuchen auch, eine Lösung für den Export
von in Kooperation hergestellten Waffen zu finden. Beispiel "Tiger": der gleichnamige Kampfhubschrauber ist eine
französisch-deutsche Gemeinschaftsproduktion, die Frankreich auch an die Türkei lieferte. Da Frankreich die Federführung
hatte, konnte Deutschland nichts gegen den Export unternehmen. Dazu heißt es in den Richtlinien, die Bundesregierung werde "unter
Beachtung ihres besonderen Interesses an Kooperationsfähigkeit auf Einwirkungsmöglichkeiten bei Exportvorhaben von
Kooperationspartnern nicht verzichten".
Für Fälle wie den Export des "Tigers", der den
allgemeinen Prinzipien der Rüstungsexportrichtlinien widersprechen würde, heißt es in den Richtlinien, dass exportpolitische
Konsequenzen "rechtzeitig vor Vereinbarung" geprüft werden sollten. Außerdem behalte sich die Bundesregierung das
Recht vor, bei bestimmten Exportvorhaben dem Kooperationspartner "im Konsultationswege entgegenzutreten". Bei neuen
Kooperationsvorhaben seien Konsultationsverfahren anzustreben, bei denen es die Möglichkeit gebe, Einwände gegen Exporte
möglich zu machen.
"Die Bundesregierung", heißt es dann schwammig,
"wird hierbei sorgfältig zwischen dem Kooperationsinteresse und dem Grundsatz einer restriktiven Rüstungsexportpolitik
unter Berücksichtigung des Menschenrechtskriteriums abwägen."
Erstmals werden in den neuen Richtlinien die EU-Staaten sowie Australien,
Japan, Neuseeland und die Schweiz den NATO-Staaten ausdrücklich gleichgestellt, bemerkte der Grüne Winfried Nachtwei. In der
Tat: In den Richtlinien macht die Bundesregierung den Weg frei für Waffenhandel in der EU und damit auch für
Rüstungskooperationen jeglicher Art. Diese Regelung fällt wohl kaum zufällig in die Zeit verstärkter Kooperationen
und Zusammenschlüsse europäischer Rüstungskonzerne sowie den Aufbau einer EU-eigenen Truppe, wie letztes Jahr beim
EU-Gipfel in Helsinki beschlossen.
Alles Auslegungssache
Was die Verknüpfung von Exporten mit der
Menschenrechtslage im Empfängerland in der Praxis taugt, wird sich zeigen. Nach einem Jahr hat die rot-grüne Bundesregierung
schon einiges vorzuweisen, woran sie auch in Zukunft gemessen werden kann: Nicht nur, dass die Türkei einen Leo-Testpanzer
bekommen soll. Mit Zustimmung von Außenminister Fischer bekommt die Türkei auch noch Minensuchboote - nur die
Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) stimmte im Bundessicherheitsrat gegen die Lieferung. Griechenland bekommt
dafür Minenwerfer zur Panzerbekämpfung inklusive Anti-Panzer-Minen. Somit geht die Aufrüstungsspirale in der
Ägäis weiter.
"Das Trio Scharping, Fischer, Schröder verharrt ungebrochen
in der von allen Bonner Vorgängern seit 1949 vertretenen Logik, Spannungsregionen durch ausgewogene Aufrüstung der jeweiligen
Kontrahenten stabilisieren zu wollen", wetterte Andreas Zumach in der Taz. Gleichzeitig werde mit dem Export von Anti-Panzer-Minen
die Koalitionsvereinbarung "endgültig zu den Akten" gelegt: "Die Bundesregierung macht ihren Einfluss geltend,
besonders grausame Waffen wie Landminen weltweit zu verbieten", hieß es dort.
Eine Woche nach der umstrittenen Entscheidung für den Export des
Leo-Testpanzers wurden weitere Waffenlieferungen bekannt. Chile, Südafrika, die Vereinigten Arabischen Emirate, Thailand und
Rumänien waren die Empfängerländer; Jagdbomber, Munition und Panzer wurden geliefert - es handelte sich um
ausgemusterte Waffen der Bundeswehr. Zugegeben: Damals hat der Bundessicherheitsrat auch noch nach den alten Richtlinien entschieden.
Doch die Entscheidung über den Export von
Rüstungsgütern wird natürlich auch in Zukunft politisch ausgehandelt. Interessen der Rüstungskonzerne, geostrategische
und ökonomische Interessen und nun auch verstärkt Menschenrechte - in diesem Gemisch potenziell widersprüchlicher
Interessen wird sich erst zeigen, wie unklar und auslegungsbedürftig die neuen Politischen Grundsätze der Bundesregierung
wirklich sind.
"Grauzonen" und "Spannungsfelder verschiedener
Interessen" in den neuen Richtlinien musste auch Außenminister Fischer vor dem Bundestagsausschuss für Menschenrechte
einräumen. Insgesamt, so Fischer, gebe es nun aber eine "klare, verlässliche Grundlage" für die
Rüstungsexportpolitik. Das wird sich zeigen.
Dirk Eckert