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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.4 vom 17.02.2000, Seite 11

Türkei

Hisbollah: Kind des Kurdistankonflikts

Seit Wochen jagt in der Türkei eine Schreckensmeldung die andere. In Grabhäusern werden täglich neue Mordopfer der islamischen Organisation Hisbollah ("Partei Gottes") entdeckt. Bisher wurden im ganzen Land mehr als 50 Tote gefunden - unter ihnen zahlreiche türkische Unternehmer islamischer Ausrichtung. Unter den Ermordeten befindet sich auch die "islamische Feministin" Konca Kuris, die vor mehr als einem Jahr entführt und erdrosselt aufgefunden wurde.
Während sich staatliche Kreise, islamistische Organisationen und bürgerliche Medien über die Grausamkeiten beklagen und sie in keinster Weise in Verbindung zu den Werten des Islams stellen, begann am 8.Februar in Düsseldorf der Prozess gegen den "Kalifen von Köln" und Führer der radikalislamistischen Organisation ICCB (Föderation der Islamischen Gemeinden und Gemeinschaften), Metin Kaplan. Ihm und drei weiteren Funktionären dieser islamistischen Organisation wirft die Generalbundesanwaltschaft "Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung" und "öffentliche Aufforderungen zu Straftaten" vor.
Doch Fakt ist, dass die Methoden der türkische Hisbollah in allen islamischen Staaten (Iran, Afghanistan), in der die Scharia (islamische Gesetzgebung) herrscht, tagtäglich praktiziert werden.
Die von der islamischen Revolution im Iran beeinflussten kurdischen Rechtsextremisten, die bis zum Militärputsch 1980 in der faschistischen MHP oder in der islamistischen MSP (Nationale Heilspartei) organisiert waren, hatten sich Anfang der 80er Jahre um die Buchhandlung Menzil vereint. Bis es zu Flügelkämpfen kam und 1987 auch eine Abspaltung mit dem Namen Ilim entstand. Ilimciler (Gelehrte), die den Menzilciler (Kurier) in ihrer Islamtheorie unterlegen waren, wurden von dem Neofaschisten Hüseyin Velioglu geleitet.
Vor allem ehemalige kurdische MHP-Faschisten, bei denen während ihres Gefängnisaufenthaltes eine tiefgreifende Islamisierung stattfand, hatten bei den Ilimciler eine "neue Heimat" gefunden. Verschiedene MHP-Mörder, die zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren, erklärten 1989/90 ihre Anhängerschaft in der Hisbollah.
Auch wenn die türkische Hisbollah nicht unbedingt zu vergleichen ist mit der schiitischen Hisbollah, ist die türkisch-kurdische Hisbollah doch in den 80ern direkt vom Iran gegründet wurden (um einen kurdischen Staat in der Türkei zu gründen). Noch heute werden Hisbollah-Anhänger nach Iran geschickt und dort ideologisch und militärisch gedrillt. So fungierte die Hisbollah seit Anfang der 90er jahre nicht nur im Interesse Irans. Ab 1991 wurde die Hisbollah gezielt als Gegengewicht zur kurdischen PKK aufgebaut.
Ende 1993 veröffentlichte die linke Wochenzeitschrift Gercek ein Interview mit der Hisbollah in Diyarbakir, in der deutlich zum Ausdruck kam, dass die Hisbollah von staatlichen Geheimdiensten in Diyarbakir ausgebildet wird. Dies war der letzte Artikel von Namik Taranci, dem Korrespondenten der Zeitschrift.
Am 20.November 1993 wurde Taranci in Diyarbakir von "Unbekannten" ermordet. Der Terror des türkischen Staates wurde vor allem von JITEM (Geheimdienst der Gendarmerie) und der staatlich geschützten Hisbollah organisiert. So entstand eine neue Konterguerilla, die "Hizbi-Kontra".
Anfang der 90er Jahre publizierten Graue Wölfe in Istanbul die Zeitschrift Yeryüzü. Der Besitzer der Zeitschrift war Yasar Polat. Yasar Polat ist der Bruder von Sefik Polat, der 1987 die Islami Hareket (Islamische Bewegung), die als Aufbauorganisation für die türkische Hisbollah diente, gründete.
Bei den ersten Operationen nach dem Mord an den renomierten Kolumnisten Ugur Mumcu am 24.Januar 1993, wurden mehrere Täter festgenommen. Auch Sefik Polat war als mutmaßlicher Täter festgenommen, jedoch wenige Tage später ohne eine behördliche Erklärung wieder auf freiem Fuß gesetzt worden. Polat hält sich seit Jahren in Deutschland auf. Am 1.Oktober 1993 hatte Sefik Polat in Oldenburg einen Asylantrag als "PKK-Anhänger" gestellt, der anerkannt wurde.
Nicht zuletzt haben türkische Geheimdiensberichte belegt, dass die türkische Hisbollah zwar in der Bundesrepublik nicht selbst über breite Strukturen verfügt, aber im engen Kontakt zu der islamistischen ICCB, die ihren Hauptsitz in Köln hat, steht. Unter Berufung auf Geheimdienstinformationen berichtete die Nachrichtenagentur Anadolu, dass 1999 eine rund 30köpfige Gruppe von Kaplan-Anhängern zur türkischen Hisbollah gereist sei, um in Entführungs- und Verhörmethoden ausgebildet zu werden.
Als im September 1994 Ismail Karadayi Generalstabschef wurde, rief er die Sonderstreitkräftekommandatur dazu auf, die "illegalen Aktivitäten" einzustellen. Daraufhin wurde die Hisbollah geschwächt. Ein wichtiger Teil ging in den Westen. Landesweit wurden Operationen gegen die Hisbollah geführt. Es kam zu hunderten von Festnahmen. Auch der Nationale Sicherheitsrat hatte die Hisbollah völlig fallen gelassen, denn die Hisbollah wurde zu einem unkontrollierbaren und gefährlichen Problem. Wegen der aktuellen Entwicklungen innerhalb der kurdischen Befreiungsbewegung benötigt man heute für den Kampf gegen die PKK keine Hisbollah mehr.
Die Hisbollah ist gewiss ein Kind des Kurdistan-Konflikts. Aber die Organisation gedeiht auf einem Nährboden, der in allen islamischen Ländern zu finden ist. Obwohl tausende von politischen Mordanschlägen und Entführungen auf das Konto der Hisbollah gehen, hat es mehr als zwölf Jahre gedauert, bis diese Organisation Thema der politischen Tagesordnung in der Türkei wurde.

Rusen Can


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