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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.4 vom 17.02.2000, Seite 12

Österreich: FPÖ an der Regierung

Der Biedermann und die Brandstifter

Die Koalition aus der christlichsozialen ÖVP und der rechtsextremen FPÖ hat ein Regierungsprogramm vorgelegt, das Österreich eine verschärft neoliberale Zukunft bescheren will. Doch erstmals seit 1945 wurde die Regierungsbildung von heftiger Kritik europäischer Staaten, der USA und Israels begleitet. Und erstmals mussten die Verhandlungsteams der beiden Parteien ihre Pressekonferenzen begleitet vom Lärm einer Demonstration von 15000 FPÖ-GegnerInnen abhalten. Als sich FPÖ-Chef Jörg Haider zum Amtssitz des Bundespräsidenten begab, wurde er von wütenden KundgebungsteilnehmerInnen mit Eiern beworfen.

Für die österreichische Politik ist das eine völlig neue Situation. Noch nie wurde eine Regierungsbildung derart genau von der Bevölkerung verfolgt. Überraschend und spontan kamen in den Tagen der Koalitionsverhandlungen immer wieder DemonstrantInnen in die Innenstadt. Ein erster Höhepunkt war die genannte Demonstration mit 15000 Teilnehmenden, an der sich neben linken Organisationen, der Plattform "Demokratische Offensive" (die von linksliberalen Persönlichkeiten gebildet wird), den Grünen und der KPÖ auch zahlreiche Sozialdemokraten und vor allem GewerkschafterInnen beteiligten. Selbst die Pressekonferenzen verliefen stürmisch. Holocaustüberlebende griffen Haider vor laufenden Kameras wegen seiner den Nationalsozialismus verharmlosenden Aussagen an; Journalisten zeigten sich besorgt über die Menschenrechtssituation in Österreich.
Den Verhandlungen über eine rechte Koalition gingen hundert Tage Verhandlungen zwischen der SPÖ (sie erhielt bei den letzten Wahlen 33% der Stimmen) und der ÖVP (27%, drittstärkste Partei knapp hinter der FPÖ ) voraus. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass es in der ÖVP einen Kampf für einen Kurswechsel in Richtung auf die FPÖ gegeben hat und dass bereits während der Verhandlungen mit der SPÖ geheime Gespräche mit der FPÖ stattfanden.
Die ÖVP ließ die Verhandlungen an frechen Forderungen scheitern: sie verlangte z.B., dass die Gewerkschaften, die Verschlechterungen im Rentensystem kritisierten, den Koalitionspakt mit unterzeichnen und jeden Widerstand von vornherein aufgeben müssten.
Das Scheitern der Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ hat die bislang stabile innenpolitische Lage in Bewegung gebracht: Österreichs wichtigste meinungsbildende Tageszeitung, die Kronenzeitung - die alles andere als linksliberal, tendenziell dezidiert ausländerfeindlich ist und stets für "Law and Order" kämpft - tat plötzlich alles, um eine ÖVP-FPÖ-Koalition zu verhindern, sogar um den Preis einer "rot"-grünen Koalition.
Der ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel wurde zum Buhmann der Nation, weil er die Verhandlungen mit der SPÖ platzen ließ. Hinter ihm aber stehen einige einflussreiche ÖVP-Politiker, die seit längerem die Wende zur FPÖ wünschen, in der Hoffnung, mit konservativen Vorschlägen zur Familienpolitik, einer Forcierung der Privatisierung und dem Zurückdrängen des Einflusses der Gewerkschaft die eigene Talsohle zu überwinden.
Selbst der österreichische Bundespräsident Thomas Klestil, der laut Verfassung den Auftrag zur Regierungsbildung gibt und der Bundesregierung den Eid abnimmt, bezog in bisher nicht gekannter Weise Stellung. Bis zuletzt bremste er die Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP durch öffentliche Kritik und Zweifel an der Regierungsfähigkeit der FPÖ. Schließlich verlangte er von den beiden Parteivorsitzenden die Unterschrift unter eine Präambel, in der sowohl die EU-Orientierung als auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gefordert wird. Mit steinernen Minen unterschrieben Schüssel und Haider, doch selbst dann wollte Klestil ihnen noch keinen Auftrag zur Regierungsbildung geben.
Die Vereidigung zog sich ebenfalls hin, weil Klestil in stundenlangen Verhandlungen gegen zwei vorgeschlagene FPÖ-Minister sein Veto einlegte: Den Großindustriellen Thomas Prinzhorn lehnte er wegen antisemitischer Äußerungen im Wahlkampf, den Wiener FPÖ-Obmann Hilmar Kabas wegen rassistischer Hetzplakate bei derselben Gelegenheit als nicht ministrabel ab. Jörg Haider selbst ist nicht Regierungsmitglied, er bleibt bis zur nächsten Wahl Landeshauptmann in Kärnten.

Neoliberalismus pur

Während die öffentliche Debatte sich auf die Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP, Haiders Verhältnis zum Nationalsozialismus, die Regierungsfähigkeit der FPÖ und den "Ruf Österreichs" im Ausland konzentrierte, wurde völlig übersehen, dass sich SPÖ und ÖVP schon weitgehend auf ein gemeinsames Regierungsprogramm geeinigt hatten. Dieses Programm hätte wenig Erfreuliches zum Inhalt gehabt: eine Erhö hung des Renteneintrittsalters, Steuererhöhungen, Sparmaßnahmen im öffentlichen Dienst und weitere Privatisierungen.
Das gemeinsame Regierungsprogramm von FPÖ und ÖVP ist davon nicht weit entfernt. Für Haider bedeutet dies, dass er wieder einmal eine Wende um 180 Grad gemacht hat: Noch vor einer Woche warf er den Koalitionären von SPÖ und ÖVP die Steuererhöhungen vor und drohte, mit der FPÖ werde so etwas nicht gehen - jetzt hat auch die FPÖ empfindlichen Steuererhöhungen zugestimmt.
Das gesamte Regierungsprogramm verspricht vor allem Arbeitenden nichts Gutes. Wenn es dem Gewerkschaftsbund nicht gelingt, durch massiven Druck und Kampfmaßnahmen einige Maßnahmen zu verhindern, ist ein Weg à la Thatcher vorgezeichnet: Langzeitarbeitslose werden zu " Sozialdiensten" zwangsverpflichtet; wer krank ist, soll trotzdem zur Arbeit; das Rentenalter wird angehoben; die Krankenkassen verlangen eine "Eigenbeteiligung"…
Vieles von dem, was vor allem die ÖVP etwa im Bildungsbereich ändern möchte, wird nicht möglich sein. Zumal im Schulbereich haben fast alle Gesetze Verfassungsrang, das bedeutet, dass zu ihrer Änderung eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat nötig ist. Und die haben FPÖ und ÖVP nicht. Privatisierungen im Schulwesen ist damit weitgehend ein Riegel vorgeschoben, aber im Sozial- und Bildungswesen, vor allem im Bereich der Ausländerintegration und -betreuung, werden die tätigen Vereine und NGOs empfindliche finanzielle Einschränkungen hinnehmen müssen. Das bedeutet in erster Linie eine reale Verschlechterung der Lebenssituation der in Österreich lebenden AusländerInnen, vor allem jener, die bisher in der Grauzone lebten, keinen Flüchtlingsstatus zuerkannt zu haben, aber auch nicht abgeschoben zu werden.

Kann die Gewerkschaft noch kämpfen?

Eine Chance in dieser Situation ist der Aufbruch des Widerstands. Österreich war bisher als das europäische Land mit den wenigsten Streikminuten bekannt. Der mehrheitlich sozialdemokratische Gewerkschaftsbund stellte traditionell den Sozialminister, was ihn zwangsläufig in die Regierungspolitik einband. Der ÖGB war weitgehend gefesselt, er konnte und wollte gegen die Regierungspolitik nicht kämpfen.
Der ÖGB sorgte bereits für einiges Aufsehen, als er im vergangenen Jahr am 12.November zahlreiche Funktionäre und Mitglieder zu einer Demonstration "Keine Koalition mit dem Rassismus" aufrief. Für österreichische Verhältnisse war dies ganz ungewohnt. Es war eine Warnung an die SPÖ, sich auf keine Koalition mit der FPÖ einzulassen. Auch bei den Demonstrationen der vergangenen Tage flatterten die Fahnen der sozialdemokratischen GewerkschafterInnen.
Der ÖGB könnte die Weichen für eine andere innenpolitische Entwicklung stellen. Tatsächlich fanden sofort nach Bekanntwerden der Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP in den Werkstätten und Bahnhöfen der Bundesbahn - deren Bedienstete einen gewichtigen Teil des ÖGB darstellen - Betriebsversammlungen und "Stehungen" statt. Der ÖGB hat nach wie vor den höchsten Organisationsgrad unter den europäischen Gewerkschaften, auch wenn er wegen seiner Passivität gegenüber den "Sparpaketen" der letzten Jahre deutlich an Mitgliedern verloren hat.
Für den Kern der Arbeitslosenbewegung, die sich um Euromarschkomitees und einige Arbeitsloseninitiativen wie z.B. "AMSand" gruppiert, könnte sich die Chance bieten, sich solchen Widerstandsaktionen anzuschließen und sich auszuweiten.
Doch ungewiss ist vor allem, ob der ÖGB überhaupt noch kämpfen kann. Seit 1945 spielte er eine staatstragende Rolle, schulte seine Funktionäre und Hauptamtlichen an den Anforderungen sozialpartnerschaftlicher Verhandlungen, nicht aber an denen der Organisation von Arbeitskämpfen. Einige fehlgeschlagene Streikversuche der letzten Jahre, wie z.B. bei der Postsparkasse, stimmen nicht sehr optimistisch.

Kampagne für Neuwahlen

Die SPÖ gibt sich kämpferisch, seit die Entscheidung für ihre Oppositionsrolle gefallen ist. Der Klubobmann spricht davon, "das Schiff [sei] kampfbereit", und ein neuer Parteigeschäftsführer, der unter Sozialdemokraten als links geltende Ex-Juso Alfred Gusenbauer, soll einen "kantigeren" Kurs signalisieren. Aus der Partei dringen zugleich immer wieder Gerüchte um einen neuen Parteivorsitzenden. Der bisherige, Bundeskanzler Viktor Klima, wurde nach den Wahlen von Teilen der SPÖ wegen seines "amerikanischen Wahlkampfstils" kritisiert, das für das schlechte Wahlergebnis verantwortlich gemacht wurde. Sein Geschäftsführer, Andreas Rudas, ist als Manager in den Magna-Konzern des FPÖ- Sympathisanten Frank Stronach gewechselt, der in Österreich wegen seiner gewerkschaftsfeindlichen Unternehmensführung berüchtigt ist.
Als neue SPÖ-Vorsitzende werden in der Gerüchteküche vor allem der bisherige Innenminister Karl Schlögl, der auch unter FPÖ-Sympathisanten und bei der Kronenzeitung sehr beliebt ist, und der Wiener Bürgermeister Michael Häupl gehandelt. Schlögl hat schon mehrfach deutlich gemacht, dass er vor einer Koalition mit der FPÖ "keine Berührungsängste" hätte; Häupl gilt als Anhänger einer SPÖ-ÖVP-Koalition. Eine linke Kurskorrektur ist also nicht in Sicht.
Die Hauptlast einer Neuorientierung nach etwaigen Neuwahlen läge bei den Grünen. Sie könnten derzeit mit 16% rechnen, eine rot-grüne Mehrheit läge damit im Bereich des Möglichen. Zwar lehnen die Grünen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ ab, sie haben bisher aber noch nicht deutlich gesagt, ob sie einen Rechtsruck durch eine Koalition mit der SPÖ verhindern würden. Diese Verantwortung wird ihnen in Zukunft nicht abgenommen werden können.
Wie auch immer die innenpolitische Lage in Zukunft aussehen wird, die christlich-soziale ÖVP wird zu den Verlierern gehören. Sie riskiert eine Zerreißprobe: Der traditionell christliche Wähleranteil verzeiht ihr die Koalition mit der FPÖ nicht, der rechte Rand kann ganz zur FPÖ überlaufen. Die ÖVP ist es auch, die vorzeitige Neuwahlen am meisten fürchtet, während Meinungsumfragen der FPÖ prognostizieren, dass sie stärkste Partei würde, und die SPÖ vermutlich wieder "ihre" NichtwählerInnen zurückgewinnen kann, die wegen ihrer Ausländerpolitik und ihrem unsozialen Kurs den Urnen ferngeblieben sind.
An diesem Punkt setzt die Kampagne der SPÖ und eines Teils der Oppositionsbewegung gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ an: Sie fordern sofortige Neuwahlen, weil die ÖVP ihre Wähler belogen hat. Wolfgang Schüssel hat noch im vergangenen Wahlkampf vollmundig jede Zusammenarbeit mit der FPÖ ausgeschlossen.
Boris Jezek (Wien)


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