Sozialistische Zeitung |
Wer hat die Millenniumsfeier der Welthandelsorganisation in Seattle blamiert und gestört? Wer
überzieht die deutsche Republik mit landesweiten Chaostagen anlässlich der Castor-Transporte? Wer bestreikte und besetzte die
Universität von Mexiko-Stadt? Wer belagerte in den letzten Tagen die Regierungsgebäude in Wien?
Die Innenminister der Länder wissen immer Bescheid: Die
Berufsdemonstranten sind schuld. Und besonders schlimm sind die ausländischen Berufsdemonstranten. Angesichts des großen
Einflusses dieses Dienstleistungsgewerbes ist verblüffend wenig über die Hintergründe bekannt. Keine Gewerkschaft nimmt
sich dieser Beschäftigten an, keine Tarife, Löhne und Gebühren werden publik. Aber es gibt sie!
Wer z.B. die Internet-Seite <www.whitehouseprotests.com> anklickt,
bekommt Kontakt zu echten Berufsdemonstranten. Deren Auftrag hört sich so an: "Allen Bürgern aller Städte, Staaten
und Länder überall auf der Welt zu ermöglichen, ihre Anliegen in einer organisierten und friedlichen Weise am Epizentrum
der amerikanischen Politik vorzutragen", ohne dass diese "lange Reisen unternehmen oder am Arbeitsplatz fehlen"
müssen.
Für hundert Dollar die Stunde wird ein knapp drei mal zehn Meter
großes Protestbanner mit bis zu zwanzig Buchstaben vorm Gartenzaun des Weißen Hauses hochgehalten. Die Standardfarbe der
Aufschrift ist rot, die wird bekanntlich besser gesehen, aber Alternativen sind auch möglich und die Texte sind handgemalt mit
wasserfesten Acrylfarben. Die doppelte Menge Protest kostet nur 175 Dollar.
Im Preis eingeschlossen sind ein Belegfoto, in digitaler oder papierner
Ausführung, und der Versand des Protestbanners an eine Heimatadresse. Und damit nichts schiefgeht, wird garantiert, dass
Größe und Art der Transparente mit den Vorschriften der US-amerikanischen Regierung über solches Tun
übereinstimmen. Normgerechte Normwidrigkeit - das ist die Dialektik, vor der die Regierungen aller Ländern erzittern.
Was weder der bahnsteigkartenkaufkritisierende Lenin noch der
lampenputzerbramarbasierende Mühsam richtig erkannt hat, hier wird es deutlich: die Dollarisierung des Protestes, das
Berufsdemonstrantentum verkörpert die wa(h)re Subversivität in diesen modernen Zeiten.
Das alte leninsche Modell einer Partei von Berufsrevolutionären ging
nicht weit genug; es krankte an seiner Verwicklung mit vormarktwirtschaftlichen Verhältnissen: zwischen dem für die Revolution
bezahltem Berufspolitiker und dem bezahlenden Spender, den aufstandswilligen "Massen", bestand noch eine
außerökonomische, politische, wenn nicht gar freundschaftlich-intime Beziehung.
Auch unsere Schwarzkonto- und Geldkoffer-
Berufskonterrevolutionäre aus der CDU sind in dieser Hinsicht unmodern. Der McDonalds- und VW-gesponserte Kanzler ist
dagegen auf der Höhe der Zeit, die von der whitehouseprotests.com Inc. in Gaithersburg, Maryland, USA so prägnant bestimmt
wird. Deren Firmenmotto lautet: "Diejenigen, die eine friedliche Revolution verunmöglichen, machen eine gewaltsame Revolution
unvermeidlich (J.F.Kennedy, 1962) - diejenigen, die eine friedliche Revolution ermöglichen, machen eine gewaltsame Revolution
undenkbar (whitehouseprotests.com, 1999)".
Traurig ist nur: der Autor war gerademal der
zehntausendvierhundertzweiundsiebzigste Besucher der berufsrevolutionären Website aus Maryland. Aber es bleibt unaufhaltsam das
Motto des neuen Jahrhunderts: wer eine friedliche Revolution ermöglichen will, der oder die muss viel Geld mitbringen. Wir kaufen uns
eine Revolution, betrachten sie vom Sessel aus, und wenn die Quoten nicht mehr stimmen, kaufen wir uns eine neue. Und wer das nötige
Kleingeld nicht hat, muss es wohl doch etwas altmodischer und militanter probieren. Hoch das internationale Berufsdemonstrantentum.
Thies Gleiss