Sozialistische Zeitung |
Mit gleich zwei deutschen Neuerscheinungen erfreut Mike Davis zur Zeit seine Leserinnen und Leser.
Ökologie der Angst erschien im Antje Kunstmann Verlag und ist eine Fortsetzung des 1994 in deutscher Sprache erschienenen City of
Quartz. In beiden Büchern stellt Mike Davis ökonomische Analysen in ein Verhältnis zu Interpretationen von Film und
Literatur. Er entwickelt eine Zukunft für Megastädte und erklärt ihre Bedeutung für die globalisierte Funktionsweise
des Kapitalismus. Heute gilt City of Quartz als eines der Standardwerke zum Thema Stadtentwicklung und provozierte hierzulande
insbesondere den Vergleich Berlin - Los Angeles.
In Ökologie der Angst stellt Davis den Rassismus - sowohl den real
sich abspielenden wie auch den in Hollywood-Katastrophenfilmen gezeigten - ins Zentrum seiner Kritik. Er hat bereits einen dritten Band
angekündigt, in dem er den Widerstand gegen diese Entwicklung analysieren will.
Während diese Bücher den Anspruch haben, eine runde
Analyse zu präsentieren, legen die Verlage Schwarze Risse, Rote Straße und Verlag Libertäre Assoziation, die bereits City
of Quartz herausgegeben haben, mit Casino Zombies eine Aufsatzsammlung des Autors vor.
Wie in den beiden anderen Bänden brilliert Davis besonders durch
die hervorragende sprachliche Verarbeitung einer ungeheuren Fülle von Informationen. Analyse und Bewertung treten in den Hintergrund
- so hat der Leser und die Leserin mehr Platz, sich einen eigenen Reim darauf zu machen. Allerdings verdeutlicht er im ersten Kapitel seinen
Standpunkt: Davis wagt in "Weiße Menschen sind nur ein schlechter Traum" die Verbindung von nordamerikanischer
Indianerspiritualität und marxistischer Krisentheorie und setzt die Katastrophenprognose dieser Verbindung gegen den herrschenden
Technologieoptimismus.
Es folgen Aufsätze, die wir als Untermauerung dieser Verbindung
verstehen können. Oder aber wir verarbeiten die Fakten, wie z.B. die Wirklichkeit des Südwestens der USA, der uns weitgehnd
verborgen bleibt. Beispielsweise die rassistische Seite des Spielparadieses Las Vegas, in dem die Polizei brutal die
Dienstleistungskräfte, die unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten und wohnen, schikaniert und tyrannisiert.
Die Bombenabwurfplätze und die Chemieversuchsbunker der US-
Army in Nevada sind verantwortlich für Missbildungen, Tote und für die Vergiftung ganzer Landstriche in Nevada.
"Höllenfabriken inmitten von Feldern" nennt Davis einen seiner Artikel zum Thema.
Ein besonderer Schwerpunkt des Buches liegt in der Beschreibung des
Knastsystems von Kalifornien und der anliegenden US-Bundesstaaten. Kalifornien hat nach China und den USA das drittgrößte
Gefängnissystem der Welt. Insbesondere das Three-Strikes-Gesetz hat zu einem massiven Anstieg der Zahl der Eingesperrten
geführt. Nach diesem Gesetz kann jemand, der zum dritten Mal verurteilt wird (und sei es wegen unentgeltlicher Benutzung
öffentlicher Verkehrsmittel) zu Gefängnisstrafen von 25 Jahren bis zu lebenslänglich verurteilt werden. Das Gesetz trat 1994
in mehreren US-Staaten in Kraft; dabei stellte die Clinton-Administration 30,2 Milliarden Dollar für den Aus- und Neubau von
Gefängnissen bereit. An dieses Kapitel schließen sich Briefe eines Gefangenen an, mit dem Mike Davis in Kontakt steht; sie
unterstreichen die Unmenschlichkeit des Strafvollzugs in den USA.
Im Mittelpunkt der Aufsätze von Davis steht immer wieder der
Rassismus im Süden der USA. Er zeigt auf, wie durch die Wohnungsbaupolitik und die Umgestaltung ganzer Stadtteile die schwarze
Bevölkerung gegen die ArbeitsmigrantInnen aus lateinamerikanischen Ländern ausgespielt wird - um nur ein Beispiel zu nennen.
Doch so oft das Buch auch Zorn weckt, so oft zeigt Davis auf, wie sich
Widerstand gegen die unbarmherzige Herrschaft der Ausbeutung, Umweltvernichtung und des Rassismus entwickelt. So beschreibt er in
"Kajimas blutiger Thron" Ana Alvardo, die aus El Salvador nach Los Angeles kam, dort im Luxushotel New Otani putzte, bis sie
wegen Teilnahme an einer Gewerkschaftsdemonstration gefeuert wurde; und Geng Zheng, einen 80-jährigen Japaner, der als
Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg schon von dem gleichen Konzern ausgebeutet wurde, für den Frau Alvardo gearbeitet hat.
Er erzählt die Geschichte der beiden, die sich mittlerweile kennen
und die ihre Kämpfe, auch wenn sie tausende von Kilometern auseinanderliegen, gemeinsam als einen Kampf führen. Das lindert
nicht den Zorn, der bei den Berichten über Umweltvernichtung, Lynchjustiz, Verarschung der Bevölkerung durch offizielle Stellen
aufsteigt, aber er verhindert, dass dieses Buch Hoffnungslosigkeit aufkommen lässt angesichts einer scheinbar übermächtigen
Maschinerie, die nichts anderem als der allumfassenden Katastrophe entgegensteuert.
Tommy Schroedter