Sozialistische Zeitung |
Die Demonstration am 19.Februar gegen die schwarz-blaue Regierung war der vorläufige
Höhepunkt der Protestbewegung. 300.000 Menschen beteiligten sich an Demonstrationen und an der Abschlusskundgebung. Aufgerufen
hatten die linksliberalen Personenkomitees "SOS-Mitmensch" und "Demokratische Offensive", das Aktionskomitee der
linken Organisationen und der Grünen, sozialdemokratische Organisationen sowie die Gewerkschaften.
Schon am Vormittag zogen kleine Gruppen, etwa eine Frauen- und
Lesbendemo, durch die City. Klaus Bachler, Direktor des Wiener Burgtheaters, öffnete das Theater für die Protestbewegung. Schon
kurz nach der Regierungsbildung hatten Demonstrierende das Theater gestürmt und konnten das Publikum auffordern, sich an den
Protesten zu beteiligen. An diesem Samstag fand im Theater die internationale Pressekonferenz statt. Künstler und Politiker, unter ihnen
Luc Bondy, der ehemalige PCF-Minister Jacques Rallite, Michel Friedman, Vertreter von "SOS-Racisme" und andere
drückten ihre Sorge um den Rechtsruck aus.
Am frühen Nachmittag formierten sich mehrere
Demonstrationszüge durch Wien, unter anderem zogen etwa 20.000 Teilnehmende zu einer Kundgebung der Linken, zu der
sozialdemokratische GewerkschafterInnen und zahlreiche Jugendliche aus Österreich, Gewerkschaftsdelegationen aus Belgien, die
Jugendorganisation der italienischen PDS, eine Delegation von Rifondazione Comunista und GenossInnen aus Organisationen der
IV.Internationale zusammenfanden. Der Europaparlamentarier Alain Krivine (LCR) warnte vor der Heuchelei der europäischen
Rechtsparteien, die sich jetzt als Antifaschisten geben, und forderte zu einer breiten, internationalen Bewegung gegen die Rechtsentwicklung in
Europa auf.
Am Abend versammelten sich 300.000 Menschen auf dem Heldenplatz,
jenem Platz, an dem Adolf Hitler 1938 verkündete, er habe "Österreich heim ins Reich geholt". KünstlerInnen,
VertreterInnen von Komitees und GewerkschafterInnen forderten Distanz zum Rassismus und kritisierten insbesondere Bundeskanzler
Schüssel, der dabei sei, den Rechtsextremismus in Europa salonfähig zu machen. Zeitgleich fanden in sämtlichen
Landeshauptstädten Österreichs Protestdemonstrationen statt, an denen sich weitere zehntausende Menschen beteiligten.
Die FPÖVP-Regierung versucht zum politischen Alltag
zurückzukehren. Bisher ist ihr das nicht gelungen. Beim Sozialministertreffen der EU in Lissabon wurde die FPÖ-Sozialministerin
Elisabeth Sickl von ihren Kollegen demonstrativ ignoriert, was sie im österreichischen Fernsehen wehleidig beklagte.
Eine "politische Normalität", wie sie die FPÖVP-
Regierung erhofft, wird vorerst kaum einkehren. Der noch immer mächtige und gut organisierte Gewerkschaftsbund ÖGB hat
erstmals seit 1950 seine Mitglieder zu Demonstrationen mobilisiert und mit möglichen Kampfmaßnahmen konfrontiert. Die
neoliberalen Sparmaßnahmen der Regierung kann die ÖGB-Bürokratie nicht hinnehmen, will sie nicht vollends zur
Einflusslosigkeit verdammt sein. Für die Regierung aber sind diese Maßnahmen auch eine Frage des Prestiges. Eine harte
Konfrontation - auch auf der Straße - zwischen der Rechtsregierung und dem ÖGB ist nicht ausgeschlossen.
Mit den massiven Protesten gegen die FPÖVP-Regierung ist in
Österreich ein gesellschaftlicher Konsens zerrissen. Noch ist nicht abzuschätzen, was die Regierungsbeteiligung der FPÖ
für die Sozialpartnerschaft bedeutet. Das österreichische (und multinationale) Kapital hatte in der Sozialpartnerschaft einen
optimalen Rahmen für seine Verwertung. Die FPÖ, die keiner Kapitalfraktion verbunden und in der traditionellen
Sozialpartnerschaft auch personell nicht verankert ist, trat zu den Wahlen mit der Drohung an, den sozialpartnerschaftlichen Konsens zu
zerstören.
Eine weitere Auswirkung des Regierungsantritts und gleichzeitig eine neue
Qualität in der österreichischen Politik ist die Politisierung und Aktivierung von Bevölkerungsschichten bis weit ins liberale,
bürgerliche Lager. Die Bewegung, die offensichtlich nicht mit der Großdemo vom 19.Februar erschöpft ist, ist eine
demokratische, die sich in erster Linie gegen den Rassismus der FPÖ richtet. Ein großer Teil protestiert aber auch gegen den
neoliberalen Sozialabbau der neuen Regierung. Das ist möglich, ohne die Bewegung zu spalten, weil das gemeinsame erklärte Ziel
heißt: "Weg mit dieser Regierung!"
Die Forderung nach Neuwahlen ist lauter geworden. Ob die
Gewerkschaften aber tatsächlich willens sind - und sie allein könnten durch Kampfmaßnahmen die FPÖVP-Regierung
ins Wanken bringen -, ihre Möglichkeiten dafür einzusetzen, hängt mit der Entwicklung in der SPÖ zusammen. Die
Lage ist gespannt, bei den ÖBB wurden bereits Streikordnungen verteilt, und die Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen
zeigt sich derzeit zur Konfrontation bereit.
Die SPÖ hat mit ihrem designierten neuen Vorsitzenden Alfred
Gusenbauer in erster Linie ein parteiinternes Signal gesetzt. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Viktor Klima, der auf ein "US-
amerikanisches" Politikverständnis und auf Entideologisierung setzten, ist Gusenbauer ein Mann der Partei, dem ein
linksreformistischer Kurs nachgesagt wird.
Die Bewegung der letzten Wochen hat viele politische Verschiebungen mit
sich gebracht. Die letzten Umfragen des Linzer market-Instituts bescheinigen sie: Zum ersten Mal ergibt die "Sonntagsfrage" eine
rot-grüne Mehrheit, die FPÖ hat einige Prozent Zustimmung verloren, die ÖVP ist auf 19% abgesunken.
Natürlich ist eine in den Bereich des Möglichen gerückte
rot-grüne Koalition keine Garantie gegen Sozialabbau. Nachdem SPÖ und ÖGB aber derart gegen die unsoziale
Regierungspolitik vorpreschen, wäre es schwierig für sie, in einer Nachfolgeregierung ein derartiges Belastungspaket zu
schnüren. Die Bewegung hat mittlerweile eine Kraft gewonnen, die auch eine rot-grüne Koalition beträchtlich unter Druck
setzen würde.
Boris Jezek (Wien)