Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.5 vom 02.03.2000, Seite 1

Oesterreich

Der Konsens ist gebrochen

Die Demonstration am 19.Februar gegen die schwarz-blaue Regierung war der vorläufige Höhepunkt der Protestbewegung. 300.000 Menschen beteiligten sich an Demonstrationen und an der Abschlusskundgebung. Aufgerufen hatten die linksliberalen Personenkomitees "SOS-Mitmensch" und "Demokratische Offensive", das Aktionskomitee der linken Organisationen und der Grünen, sozialdemokratische Organisationen sowie die Gewerkschaften.
Schon am Vormittag zogen kleine Gruppen, etwa eine Frauen- und Lesbendemo, durch die City. Klaus Bachler, Direktor des Wiener Burgtheaters, öffnete das Theater für die Protestbewegung. Schon kurz nach der Regierungsbildung hatten Demonstrierende das Theater gestürmt und konnten das Publikum auffordern, sich an den Protesten zu beteiligen. An diesem Samstag fand im Theater die internationale Pressekonferenz statt. Künstler und Politiker, unter ihnen Luc Bondy, der ehemalige PCF-Minister Jacques Rallite, Michel Friedman, Vertreter von "SOS-Racisme" und andere drückten ihre Sorge um den Rechtsruck aus.
Am frühen Nachmittag formierten sich mehrere Demonstrationszüge durch Wien, unter anderem zogen etwa 20.000 Teilnehmende zu einer Kundgebung der Linken, zu der sozialdemokratische GewerkschafterInnen und zahlreiche Jugendliche aus Österreich, Gewerkschaftsdelegationen aus Belgien, die Jugendorganisation der italienischen PDS, eine Delegation von Rifondazione Comunista und GenossInnen aus Organisationen der IV.Internationale zusammenfanden. Der Europaparlamentarier Alain Krivine (LCR) warnte vor der Heuchelei der europäischen Rechtsparteien, die sich jetzt als Antifaschisten geben, und forderte zu einer breiten, internationalen Bewegung gegen die Rechtsentwicklung in Europa auf.
Am Abend versammelten sich 300.000 Menschen auf dem Heldenplatz, jenem Platz, an dem Adolf Hitler 1938 verkündete, er habe "Österreich heim ins Reich geholt". KünstlerInnen, VertreterInnen von Komitees und GewerkschafterInnen forderten Distanz zum Rassismus und kritisierten insbesondere Bundeskanzler Schüssel, der dabei sei, den Rechtsextremismus in Europa salonfähig zu machen. Zeitgleich fanden in sämtlichen Landeshauptstädten Österreichs Protestdemonstrationen statt, an denen sich weitere zehntausende Menschen beteiligten.
Die FPÖVP-Regierung versucht zum politischen Alltag zurückzukehren. Bisher ist ihr das nicht gelungen. Beim Sozialministertreffen der EU in Lissabon wurde die FPÖ-Sozialministerin Elisabeth Sickl von ihren Kollegen demonstrativ ignoriert, was sie im österreichischen Fernsehen wehleidig beklagte.
Eine "politische Normalität", wie sie die FPÖVP- Regierung erhofft, wird vorerst kaum einkehren. Der noch immer mächtige und gut organisierte Gewerkschaftsbund ÖGB hat erstmals seit 1950 seine Mitglieder zu Demonstrationen mobilisiert und mit möglichen Kampfmaßnahmen konfrontiert. Die neoliberalen Sparmaßnahmen der Regierung kann die ÖGB-Bürokratie nicht hinnehmen, will sie nicht vollends zur Einflusslosigkeit verdammt sein. Für die Regierung aber sind diese Maßnahmen auch eine Frage des Prestiges. Eine harte Konfrontation - auch auf der Straße - zwischen der Rechtsregierung und dem ÖGB ist nicht ausgeschlossen.
Mit den massiven Protesten gegen die FPÖVP-Regierung ist in Österreich ein gesellschaftlicher Konsens zerrissen. Noch ist nicht abzuschätzen, was die Regierungsbeteiligung der FPÖ für die Sozialpartnerschaft bedeutet. Das österreichische (und multinationale) Kapital hatte in der Sozialpartnerschaft einen optimalen Rahmen für seine Verwertung. Die FPÖ, die keiner Kapitalfraktion verbunden und in der traditionellen Sozialpartnerschaft auch personell nicht verankert ist, trat zu den Wahlen mit der Drohung an, den sozialpartnerschaftlichen Konsens zu zerstören.
Eine weitere Auswirkung des Regierungsantritts und gleichzeitig eine neue Qualität in der österreichischen Politik ist die Politisierung und Aktivierung von Bevölkerungsschichten bis weit ins liberale, bürgerliche Lager. Die Bewegung, die offensichtlich nicht mit der Großdemo vom 19.Februar erschöpft ist, ist eine demokratische, die sich in erster Linie gegen den Rassismus der FPÖ richtet. Ein großer Teil protestiert aber auch gegen den neoliberalen Sozialabbau der neuen Regierung. Das ist möglich, ohne die Bewegung zu spalten, weil das gemeinsame erklärte Ziel heißt: "Weg mit dieser Regierung!"
Die Forderung nach Neuwahlen ist lauter geworden. Ob die Gewerkschaften aber tatsächlich willens sind - und sie allein könnten durch Kampfmaßnahmen die FPÖVP-Regierung ins Wanken bringen -, ihre Möglichkeiten dafür einzusetzen, hängt mit der Entwicklung in der SPÖ zusammen. Die Lage ist gespannt, bei den ÖBB wurden bereits Streikordnungen verteilt, und die Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen zeigt sich derzeit zur Konfrontation bereit.
Die SPÖ hat mit ihrem designierten neuen Vorsitzenden Alfred Gusenbauer in erster Linie ein parteiinternes Signal gesetzt. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Viktor Klima, der auf ein "US- amerikanisches" Politikverständnis und auf Entideologisierung setzten, ist Gusenbauer ein Mann der Partei, dem ein linksreformistischer Kurs nachgesagt wird.
Die Bewegung der letzten Wochen hat viele politische Verschiebungen mit sich gebracht. Die letzten Umfragen des Linzer market-Instituts bescheinigen sie: Zum ersten Mal ergibt die "Sonntagsfrage" eine rot-grüne Mehrheit, die FPÖ hat einige Prozent Zustimmung verloren, die ÖVP ist auf 19% abgesunken.
Natürlich ist eine in den Bereich des Möglichen gerückte rot-grüne Koalition keine Garantie gegen Sozialabbau. Nachdem SPÖ und ÖGB aber derart gegen die unsoziale Regierungspolitik vorpreschen, wäre es schwierig für sie, in einer Nachfolgeregierung ein derartiges Belastungspaket zu schnüren. Die Bewegung hat mittlerweile eine Kraft gewonnen, die auch eine rot-grüne Koalition beträchtlich unter Druck setzen würde.

Boris Jezek (Wien)


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