Sozialistische Zeitung |
Etwas vermessen behauptet die am 21.Februar erstmals erschienene Financial Times Deutschland (FTD),
"der größte deutsche Zeitungscoup der vergangenen 50 Jahre" zu sein. Tatsächlich hat seit dem Start der Berliner
Taz 1979 keine Zeitung mehr den Sprung in den hart umkämpften Markt überregionaler Tageszeitungen gewagt. Die Konkurrenten
der von der britischen Pearson-Gruppe und dem Hamburger Verlag Gruner & Jahr herausgegebenen FTD sind leicht auszumachen: Im
deutschsprachigen Raum das mittelstandsorientierte Handelsblatt, die national-konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung und ihr Schweizer
Gegenpart, die Neue Zürcher Zeitung.
Die FTD setzt mit ihrem Profil auf die wachsende Anzahl von
Aktionären, die neuen Yuppies des Internetzeitalters und die global players. Unternehmenspolitik ist für die FTD vor allem im
Hinblick auf etwaige Rentabilitätssteigerungen von Bedeutung. Im Kommentarteil bringt ein Beitrag über Internethandel die
politische Linie der FTD exemplarisch auf den Punkt. Die FTD hat keine Probleme, sich der Terminologie gesellschaftskritischer
Wissenschaften zu bedienen. Sie analysiert die "illegalen" und "unsozialen" Auswirkungen des Internethandels und seine
Verlierer: "der traditionelle Mittelstand, die Alten, die Armen, die Unbeweglichen". Ganz subtil unterstellt die Autorin den
Verlierern Dummheit und Unvermögen, macht sie selbst für ihre Situation verantwortlich, denn sie "haben keinen Anteil an
der technischen Revolution, in der die Schlauen zum ersten Mal seit Industrialisierung und Nachkriegszeit wieder gewaltige Vermögen
aus eigener Kraft bilden können". Die Verlierer sind in dreifacher Hinsicht benachteiligt: sie haben keinen Zugang zur
Kommunikationstechnik, zahlen hohe Steuern und finanzieren folglich die neue "Info-Elite". "Die E-Welt wird spannend, sie
wird den Globus von Grund auf ändern. Eine einfachere und gerechtere Welt wird sie nicht sein", schließt die
Kommentatorin.
Trotz dieser rückhaltlosen Analyse, die Verbraucher in Gewinner
und Verlierer aufteilt, kommt es zu keinem Wort des Bedauerns über die neuen Entwicklungen oder gar den Versuch, Möglichkeiten
der Partizipation zu aufzuzeigen. Mit beiden Ansätzen unterscheidet sich die FTD von ihren deutschsprachigen Konkurrenten: dort
propagiert die Journaille immer noch die sog. "Win-win-Szenarien" der kapitalistischen Globalisierung, wonach es in der neuen
Weltordnung keine Verlierer, sondern langfristig nur Gewinner gibt. Die FTD verzichtet auf diese Lügen, die seit dem Eklat von Seattle
der Öffentlichkeit so viel schwerer zu vermitteln sind. Sie hat sich endgültig von dem nach außen getragenen Anspruch
befreit, von der kapitalistischen Globalisierung könnten letztendlich alle profitieren. Wo es Gewinner gibt, sind auch Verlierer. Ein
schicksalhafter Verlauf, denn die Globalisierung erscheint als Naturkatastrophe. Das ist die neue Weltordnung der FTD.