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Bewegung in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik hatte die rot-grüne Regierung zum
Amtsantritt versprochen. Neben der Einführung eines neuen Staatsbürgerrechts, dem sog. Doppelpass, kündigte sie vor allem
eine großzügige "Altfallregelung" für hier lebende Flüchtlinge und eine liberalere Asylpolitik an. Daraus ist
bisher nichts geworden.
Am 18./19.November beschloss die Konferenz der Innenminister der
Länder eine sogenannte Altfallregelung für lange in der BRD lebende Flüchtlinge und abgelehnte AsylbewerberInnen. Diesen
sollte ein gesichertes Bleiberecht zugestanden werden, "großzügig" und "humantär", so die
Ankündigungen der rot-grünen Koalition.
Daraus wurde nichts. Schon im Vorfeld hatte Bundesinnenminister Otto
Schily (SPD) angekündigt, mehr als 20000 Menschen würden wohl nicht in den Genuß eines Bleiberechts kommen,
Flüchtlingsinitiativen gehen von noch wesentlich weniger aus. Lediglich 5000 werden es sein, so die Schätzung von PRO ASYL.
Eine Zahl, die auch nach Ansicht des Multikulturellen Zentrums Trier realistisch ist. 1996 profitierten von den ebenfalls anvisierten 20000
Menschen lediglich 7800 von der damaligen Altfallregelung.
Um überhaupt in den Genuss der Regelung zu kommen, müssen
Flüchtlingsfamilien mit minderjährigen Kindern vor dem 1.Juli 1993, Alleinstehende und Kinderlose vor dem 1.Januar 1990 in die
Bundesrepublik Deutschland eingereist sein. Sie müssen nachweisen, dass sie den Lebensunterhalt für die gesamte Familie durch
legale Arbeit selbst bestritten haben, ohne Sozialhilfe oder auch ergänzende Sozialhilfe zu beziehen - unabhängig davon, ob sie
sozialhilfeberechtigt waren. Weiterhin müssen sie ausreichend Wohnraum vorweisen und Steuern und Sozialabgaben gezahlt haben.
Das freilich ist nicht so einfach angesichts des in vielen
Bundesländern geltenden Arbeitsverbots für Asylsuchende und Flüchtlinge. So werden in Berlin aufgrund dieses Verbots nur
etwa 30 Familien von der Regelung profitieren. Das teilte die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) Mitte Dezember mit.
"Damit will ich mich nicht zufrieden geben", so John weiter. Denn die Altfallregelung helfe gerade jenen Menschen nicht, die nicht
in ihre Heimatländer zurück könnten. "Diese Menschen müssen ohnehin in der Bundesrepublik bleiben. Für
sie steht nur die Frage, unter welchen sozialen Bedingungen sie bleiben", so John wörtlich.
Doch auch ohne das Arbeitsverbot ist die Erfüllung der
Voraussetzungen schwer genug: Ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, mit lediglich monatlich geltenden Aufenthaltsgenehmigungen versehen, ist
es gerade für Familien mit Kindern schwer, zumindest das Mindesteinkommen zu verdienen. Ganz zu schweigen davon, damit auch noch
"ausreichenden Wohnraum" anmieten zu können.
"Der neuen Altfallregelung fehlt es an Großzügigkeit und
an einer humanitären Perspektive. Sie benachteiligt vor allem die sozial Schwächeren, Alleinerziehende und kinderreiche
Familien", bilanziert deshalb das Diakonische Werk in Augsburg. Im Vergleich mit früheren Altfallregelungen sei die neue
Bestimmung in einigen Punkten sogar noch härter ausgefallen.
Hier ist vor allem die "Stichtagsregelung" zu nennen. Die
Voraussetzungen zur Anerkennung als Altfall müssen bereits am 19.November 1999, dem Tag der Innenministerkonferenz, erfüllt
sein. Wegen der Schwierigkeiten der Flüchtlinge bei der Arbeitssuche - sie dürfen nur arbeiten, wenn keine Deutsche oder hier
lebender Ausländer bereit steht - wurden 1996 Übergangsfristen eingeräumt. Es reichte, wenn die Betroffenen einem
Arbeitgeber vorweisen konnten, der sie bei festem Bleiberecht einstellen würde. Pech beispielsweise für den Liberianer
Mahamadu Seidu. Ihm entzog das Hamburger Arbeitsamt im April 1998 die Teilzeit-Arbeitserlaubnis, damit seine Arbeit in einem
Mövenpick-Restaurant von nun an ein Deutscher machen könne. Gegen den Willen der Restaurantleitung. Seitdem bezieht Seidu
Sozialhilfe, nun soll er - nach elf Jahren in Deutschland - abgeschoben werden. Als "Altfall" gilt er nicht.
Damit teilt er das Schicksal fast aller Flüchtlinge in Hamburg.
Lediglich zwei seien bislang als "Altfälle" anerkannt worden, teilte Mahmut Erden von der Hamburger GAL der Taz mit. Sie
arbeiten am Flughafen als Übersetzer für MuttersprachlerInnen aus Pakistan und Sri Lanka.
Innenminister Schily ist derweil auch in der eigenen Partei in die Kritik
geraten. Der Parteitag der SPD am 9.Dezember 1999 forderte eine großzügigeres Asylrecht und eine generelle Arbeitserlaubnis
für Flüchtlinge. Die Mehrheit der Delegierten forderte außerdem ein erweitertes Bleiberecht für abgelehnte
Asylbewerber und eine großzügigere Anerkennung bei Asylanträgen. Mit Schilys Aussage, wonach mehr als 90% der
Asylbewerber Wirtschaftsflüchtlinge seien, sei "der programmatische Boden der deutschen Sozialdemokratie verlassen
worden", betonte der Parteitag. Schily habe damit "der in der Bundesrepublik latent vorhandenen Fremdenfeindlichkeit Vorschub
geleistet".
Schily zeigte sich davon allerdings wenig beeindruckt. "Ein Parteitag
beschließt so manches", konstatierte er trocken und macht weiter wie bisher. So traf er sich am 1.Februar mit dem seinem
französischer Amtskollege Jean-Paul Chevènement, um über die "Grenzen der Belastung" durch Zuwanderung
zu sprechen. Das Ergebnis: Im Laufe der im Sommer beginnenden französischen EU-Ratspräsidentschaft sollen vor allem die
nationalen Abschiebepraxen europaweit angeglichen und verschärft werden.
Auch weigert er sich nach wie vor, die noch aus der Kohl-Zeit kommenden
Vorbehalte der Bundesregierung gegen die UN-Kinderrechtskonvention zurückzunehmen. Deutschland verstößt mit seinem
restriktiven Ausländerrecht gegen mehrere Artikel dieser Konvention. In einem Gespräch mit der "National Coalition
für die Umsetzung der Konvention" am 22.Februar ließ Schily verlauten, er halte er nichts von Symbolik und befürchte
für das Ausländerrecht unliebsame Konsequenzen. Welche das sein sollen, konnte Schily allerdings nicht sagen. Damit ignoriert
der Innenminister weiter Beschlüsse seiner eigenen Partei und des Bundestags.
Der grüne Koalitionspartner schweigt derweil. Lediglich die
Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, die Grüne Marieluise Beck, übt sich in Schönreden. Die Altfallregelung
sei ein "erfolgreicher Kompromiss" und ein "Teilerfolg für die Integration". Ebenso das neue
StaatsbürgerInnenrecht: Eine Million neuer StaatsbürgerInnen erwartet Beck im Jahr 2000. Schilys Ministerium sieht das freilich
anders. Hier geht man von lediglich rund 200000 AntragstellerInnen jährlich aus. Das wären gerade mal doppelt so viele wie
bisher.
Gerd Riesselmann