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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.5 vom 02.03.2000, Seite 13

Nordirland

Britische Regierung stoppt Friedensprozess

Die Ereignisse waren vorhersehbar (siehe SoZ 1/00): Die Unionisten stellen ein unannehmbares Ultimatum, die IRA lässt sich nicht erpressen, die britische Regierung reagiert unangemessen, der Friedensprozess wackelt wieder. Der Grund: die Hoffnung der Hardliner in der Ulster Unionist Party (UUP) sowie der gesamten rechtsextremen Democratic Unionist Party (DUP) ist nach wie vor, den begonnenen Prozess der Aussöhnung der beiden Bevölkerungsgruppen nachhaltig zu stören.
Obwohl das unionistische Lager keine in die Zukunft weisende Option hat, bleibt es der Logik des "langen Krieges" verhaftet. Die IRA hat besonnen, Sinn Féin seriös reagiert. Sogleich nach der Suspendierung der Selbstverwaltung durch die britische Regierung hat die IRA betont, dass sie weiterhin an einem gleichberechtigten Prozess interessiert ist, und neue Vorschläge präsentiert, die umgehend vom britischen Nordirland-Minister Mandelson abgelehnt wurden.
Die IRA hält weiterhin penibel den Waffenstillstand ein und setzt auf die volle Umsetzung des Karfreitagabkommens (Good Friday Agreement). Die Selbstverwaltungsgremien sowie die Schaffung grenzüberschreitender Institutionen und die Reformierung des Polizeiwesens sind Bestandteil des Abkommens - eine datierte Regelung der Entwaffnung militärischer und paramilitärischer Kräfte aller Lager aber nicht.
Allen Beteiligten des Abkommens war klar, dass der sensible Punkt einer allgemeinen Demilitarisierung nur im Rahmen langfristiger vertrauensbildender Maßnahmen umzusetzen ist. Genau auf diesen Punkt zielte das provokative Ultimatum der UUP, einer Partei, die immerhin verbal hinter dem Karfreitagabkommen stand. Dieses Kalkül ist aufgegangen.
Überraschend war jedoch der Coup von "New Labour". Bei weitem nicht auf die Stimmen der UUP in Westminster angewiesen übernahm die Blair-Regierung nahtlos die Position der UUP und löste die Selbstverwaltung in Nordirland nach wenigen Wochen auf. Mandelson organisierte diesen Schritt ohne Absprache mit der irischen Regierung.
Die britische Regierung brach einseitig damit internationales Recht. Denn das Abkommen vom 10.April 1998 ist ein internationaler Vertrag zwischen dem "Vereinigten Königreich" und der Republik Irland. Dieser Vertrag wurde bei einer Volksabstimmung im Mai 1998 von 96% der Abstimmenden in der Republik unterstützt. Dieser Vertrag beinhaltete die Änderung der Artikel 2 und 3 der irischen Verfassung und auf britischer Seite die Rücknahme der Sektion 75 des Government of Ireland Act.
Solange die Selbstverwaltung nicht wieder hergestellt wird, solange bricht die britische Regierung internationales Recht und verstößt gegen den Grundsatz "Pacta sunt servanda" (Verträge müssen eingehalten werden). Blair kann nicht dauerhaft Elemente des Abkommens erfüllen, andere nicht.
Die unionistischen Kräfte feierten natürlich das Vorgehen der Regierung Ihrer Majestät. Friedensnobelpreisträger Trimble erscheint nun wieder als Lichtgestalt der traditionellen Kräfte des "No surrender" und nähert sich damit wieder früheren Positionen an.
Für das republikanische Lager kann die neue Entwicklung unangenehmer werden. Den mit der Tradition der physischen Gewaltanwendung verbundenen Republikanern kommt der Schritt der britischen Regierung entgegen. Seit dem Abkommen haben sie Anstrengungen unternommen, ihre politischen und militärischen Potenziale zu bündeln. Kleinere Guerillagruppen wie Real IRA und Continuity IRA haben sich anscheinend unter dem irischen Label der IRA in der Oghlaigh na hEireann reorganisiert und erste Anschläge verübt. Politische Gruppen der "Ablehnungsfront" wie Republican Sinn Féin (RSF) und Organisationen der extremen Linken werden neue Anstrengungen unternehmen, Fronten gegen die Kräfte aufzubauen, die den Friedensprozess am Leben erhalten wollen, nämlich Sinn Féin und die IRA.
Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass es in Zukunft zu größeren Abspaltungen kommen könnte. Für die gesamte Entwicklung wäre es fatal, wenn sich radikale republikanische Strömungen zu einer neuen größeren militärischen Offensive entschließen würden. Solch ein Vorgehen würde den Friedensprozess um viele Jahre zurückwerfen. Umgehend wäre jede politische Initiative blockiert.
Darauf setzen die Ultras bei den Unionisten, die ihrerseits bereits die nächsten Provokationen bei den Märschen im Sommer planen. Zudem kann ein kompromissloser Trimble hoffen, weitere Teile der Unionisten wieder an die UUP zu binden. Der parteienübergreifende sektiererische Oranier-Orden hatte nie seine Abneigung gegen jede Annäherung der beiden Bevölkerungsgruppen verhüllt.
Die nationalistische Bevölkerung, ihre gesellschaftlichen und kulturellen Organisationen, unterstützt jedoch noch in ihrer breiten Mehrheit den Kurs von Sinn Féin und der sozialdemokratischen SDLP. Beide Parteien gingen gestärkt aus den letzten Wahlen hervor und haben dort keine Konkurrenz im nationalistischen Parteienspektrum. Dieses Faktum ist zur Zeit der stärkste Garant dafür, dass der Friedensprozess nicht wie ein Kartenhaus zusammenfällt.
Eine organisatorische Bündelung gemäßigter Unionisten zur Unterstützung des Friedensprozesses ist nicht in Sicht. Zu stark ist die Identifikation mit den Werten ihrer Gemeinschaft. International wird es daraus ankommen, dass die britische Regierung breit mit der Forderung konfrontiert wird, die Suspendierung der Selbstverwaltungsorgane zurückzunehmen und den Weg für die volle Umsetzung des Karfreitagabkommens frei zu machen. Besonders die US-amerikanischen Parteien könnten jetzt in der Vorwahlphase ein Interesse haben, durch eine entsprechende Rhetorik irischstämmige WählerInnen an sich zu binden.
Wenn sich die Blair-Administration nicht in nächster Zeit in diese Richtung bewegt, könnte aus dem Good Friday bald ein "schwarzer Freitag" für die gesamte Region werden.

Paul Stern


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