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Eine "neue Internationale" sieht Viraj Mendis in den Flüchtlingslagern der Ersten Welt
entstehen. "Flüchtlinge aus der ganzen Dritten Welt kommen hier im Zentrum der imperialistischen Länder zusammen, zwar
nicht aufgrund einer gemeinsamen Ideologie, sondern wegen gemeinsamer materieller Erfahrungen." Hierin stellt sich für Mendis,
der vor acht Jahren aus Sri Lanka geflohen ist, der Kern des Marxismus dar: "Am Anfang steht die materielle Situation, erst dann kann ein
gemeinsames Bewusstsein entstehen."
Der 43-Jährige vom Internationalen Menschenrechtsverein in Bremen
gehörte zu einer Gruppe von Flüchtlingen, die letzten Sommer ein Büro der nordrhein-westfälischen Grünen
besetzten und dort einen Hungerstreik begannen. Der Menschenrechtsverein organisiert mit The Voice, einer afrikanischen
Flüchtlingsorganisation, den Flüchtlingskongresses "Gemeinsam gegen Abschiebung und soziale Ausgrenzung" der
Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, der vom 21.April bis zum 1.Mai in Jena stattfinden soll.
Die Motivation, einen Flüchtlingskongress zu veranstalten, beruht
laut Mendis aber nicht auschließlich auf den gemeinsamen Problemen der Flüchtlinge in der BRD, wie Rassismus, Abschiebung
oder soziale Ausgrenzung. Sie kommen auch auf Grundlage der Probleme in ihren Herkunftsländern zusammen. Das sei auch ein
Hauptaspekt des Kongresses, der sich in dem Slogan "Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört" manifestiere. Das
Motto, unter dem die Karawane schon 1999 anlässlich des G7/G8-Gipfels in Köln protestierte, soll auch die Rolle der BRD
deutlich machen. Der Aufruf zum Kongress betont einen direkten Zusammenhang "zwischen Deutschlands Wirtschafts- und
Außenpolitik und dem Entstehen von Fluchtgründen". "Diesen Aspekt wollen wir noch stärker betonen, indem wir
Gastredner aus den einzelnen Ländern eingeladen haben."
Die thematischen Schwerpunkte für das Programm des
zehntägigen Kongresses liegen neben der Auseinandersetzung mit Abschiebung und sozialer Ausgrenzung auch bei frauenspezifischen
Fluchtursachen und der Situation von Migrantinnen. Rassismus und Sexismus werden als zusammenhängende Erscheinungen beschrieben,
die nicht getrennt voneinander bekämpft werden können. Die OrganisatorInnen stellen daher als Anforderung an den Kongress,
Umgangsformen zu entwickeln, die sicherstellen, dass "Frauen auch innerhalb der "Karawane" keine sexistische Aggression
und Diskriminierung hinnehmen müssen".
Die einzelnen Themengebiete des umfangreichen Programms werden von
Karawanegruppen aus verschiedenen Städten vorbereitet. Dabei soll sich die Bearbeitung der Themen nicht in der Analyse oder Anklage
der bestehenden Verhältnisse erschöpfen, sondern "jeweils der Frage breiten Raum geben, wie Gegenstrategien aussehen
bzw. welche Ansätze von Widerstand aufgegriffen und weiterentwickelt werden können". Diese Erwartung formulierte ein
Vorbereitungstreffen in Nürnberg an den Kongress.
Am letzten Tag soll zudem noch ein gemeinsames Manifest mit einer
Zusammenfassung der "wesentlichen Resultate, Einschätzungen und Forderungen" verabschiedet werden. Ein weiteres Thema
für den Kongress, der im Wesentlichen von Flüchtlingen und MigrantInnen organisiert wird, ist die weitere Selbstorganisierung von
Flüchtlingen.
Viele Antirassisten sehen in der verstärkten Selbstorganisierung von
Flüchtlingen einen Ausweg aus dem Problem paternalistischer Bevormundung von Flüchtlingen durch ihre mehrheitlich deutschen
UnterstützerInnen. In antirassistischen Zusammenhängen ist zuletzt vor allem in Bezug auf das Wanderkirchenasyl über
Paternalismus diskutiert worden. Paternalismus bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Unterstützung und Bevormundung; Im Handbuch
zur Kampagne "Kein Mensch ist illegal" wird sie als "herrschaftliche Fürsorge" definiert.
Erleichtert wird dies auch durch die Fixierung auf politische
Fluchtursachen vieler Nichtregierungsorganisationen aus dem antirassistischen Bereich, die Armut oder wirtschaftliche Fluchtursachen nicht
gleichermaßen anerkennen. Das trägt dazu bei, dass deutsche UnterstützerInnen ihre Vorstellungen und Erwartungen auf die
Flüchtlinge projezieren. Diese spielen dabei nur noch die Rolle von Bittstellern ohne eigene Vorstellungen.
Für Mendis stellt sich die Frage nach paternalistischem Verhalten bei
den UnterstützerInnen augenblicklich jedoch nicht in dieser Schärfe. Die Frage nach Selbstorganisation sieht er eher als
Notwendigkeit, als "negative Reaktion": "Wir müssen uns selbst organisieren, weil wir sonst kaum noch
Unterstützer haben, nicht einmal die paternalistischen Unterstützer sind übriggeblieben."
Am schwersten sei es, den Transport und die Unterkunft der
Flüchtlinge zu organisieren, vor allem wegen dem fehlenden Geld, so Mendis. "Wir versuchen zwar Geld von linken
Organisationen zu bekommen. Unglücklicherweise sind uns die Grünen nicht mehr wohlgesonnen, seit sie an der Regierung
sind." Ein anderes Problem sind die Flüchtlinge, die illegalisiert sind und keine Papiere haben oder die der Residenzpflicht
unterliegen. Diese verbietet, den ihnen zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Für den Kongress muss die Residenzpflicht in großem
Maße gebrochen werden. Wenn Flüchtlinge deswegen Probleme bekommen, werde die Kampagne sich für sie einsetzen und
sie verteidigen: "Sei es finanziell, juristisch oder politisch." Hier könne die Karawane auf eine ganz gute Bilanz verweisen.
Im Sommer 1998, kurz vor den Bundestagswahlen, zog die Karawane
für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen unter dem Motto "Wir haben keine Wahl, aber eine Stimme" durch die
BRD. In über 40 deutschen Städten wurden Aktionen und Veranstaltungen von Flüchtlings- und Migranteninitiativen
abgehalten. Dabei wurde ebenfalls dazu aufgerufen die Residenzpflicht zu missachten. Der Karawane gelang es, einzelne, die daraufhin von der
Abschiebung bedroht waren, aus der Haft freizubekommen.
In dem Aufruf zum Kongress stellen die OrganisatorInnen der
"deutschen Arbeiterklasse" kein gutes Zeugnis aus: "Wird sie sich endlich einmal solidarisch mit den Flüchtlingen und
MigrantInnen erklären, die das lebende Zeugnis der weltweiten Verwüstungen durch das Kapital sind?"
In Deutschland waren die Obdachlosen die einzige soziale Bewegung, mit
der die Karawane eng zusammengearbeitet habe, so Mendis. "Diese stehen ebenfalls außerhalb der Gesellschaft. "Darauf
sollten sie stolz sein. Es zeigt, dass man etwas richtig gemacht hat, wenn man von der deutschen Gesellschaft nicht anerkannt wird." Dass
in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich jeglicher Raum zur Integration fehle, sei trotz allem auch ein Vorteil: "Es zwingt die Leute zu
kämpfen."
Patrick Hagen