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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.6 vom 16.03.2000, Seite 11

BDA zur Reform des Sozialgesetzbuchs

Zweiter Arbeitsmarkt - zweiter Klasse

Die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) hat sich zu Jahresanfang mit mehreren Stellungnahmen zur Sozialpolitik der Bundesregierung zu Wort gemeldet. Darin unterstreicht sie zum einen ihre allgemeine Zielsetzung, zugleich versucht sie, an die aktuelle Debatte anzuknüpfen und Zwischenschritte zu formulieren, die die Richtung der aktuellen Renten-, Gesundheits-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik beeinflussen sollen. Die Ziele der BDA stehen im Einklang mit den Forderungen der Vereinigung der Europäischen Arbeitgeberverbände (UNICE), die am 10.Juni in Brüssel die Sitzung des Europäischen Rats mit großem Medienspektakel begleiten will.
Die BDA hält die Sozialpolitik der Bundesregierung für "völlig unzulänglich". Zwar unterstützt sie deren in der Koalitionsvereinbarung festgehaltenes Ziel, die Beitragslast für Sozialabgaben noch in dieser Legislaturperiode auf unter 40% zu senken. Doch die bisherigen Maßnahmen der Regierung weisen ihrer Ansicht nach nicht in diese Richtung. Der Gesamtbeitragssatz liege trotz Senkung der Beiträge zur Rentenversicherung immer noch bei 41%. Denn diese seien "nahezu vollständig über neue und steigende Ökosteuern gegenfinanziert". Natürlich sind ihr auch die Rücknahmegesetze aus dem ersten Jahr der Regierungstätigkeit ein Dorn im Auge: die Rücknahme der Meldepflicht für Erwerbslose z.B., oder die Wiedereinführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Die Vorhaben der Regierung, Lohnnebenkosten durch Steuererhöhungen zu finanzieren oder im Alter und bei dauerhafter Erwerbsunfähigkeit eine soziale Grundsicherung einzuführen, hält die BDA für "kontraproduktiv und ordnungspolitisch verfehlt". Sie mahnt eine "nachhaltige Strukturreform" der Sozialversicherung an. In der Regierung macht sie vor allem bei den Grünen einen Bündnispartner aus: "Die Arbeitgeberverbände unterstützen die Forderung von Bündnis90/Die Grünen, die Finanzierung von Leistungen der Rentenversicherung durch Ökosteuern abzubauen und statt dessen nachhaltige Strukturreformen vorzunehmen."

Strukturreformen

Welche sollen das sein? In einem Papier, das sich "Eckpunkte zur SGB-III- Reform" nennt (zur Reform des Sozialgesetzbuchs III), fasst sie ihre Forderungen zusammen. Sie betreffen die Felder Tarif-, Steuer,- Finanz- und Sozialpolitik, wobei die jeweils vorgeschlagenen Maßnahmen im Gesamtzusammenhang gesehen werden müssen und nur aus diesem heraus einen Sinn machen. Wir konzentrieren uns hier auf die Forderungen, die die Lohn-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik betreffen.
Die BDA-Forderung zur Lohnpolitik spielt in der laufenden Tarifpolitik bereits eine Rolle: Die Lohnzuwächse sollen "spürbar hinter den Produktivitätssteigerungen zurückbleiben". "Das Lohngitter muss geöffnet werden, um betrieblichen Bedürfnissen stärker Rechnung zu tragen."
Zweitens beklagt die BDA - und hier setzt sie durchaus an einer weit verbreiteten Kritik an - dass die sog. aktive Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung (AB-Maßnahmen, Beschäftigungsschaffende Maßnahmen [BSM], Strukturanpassungsmaßnahmen [SAM]) viel Geld kostet und trotzdem über 50% der Betroffenen sechs Monate nach Ende der Maßnahme weiter (oder wieder) arbeitslos gemeldet sind. Vor allem stößt ihr auf, dass durch diese Form der Arbeitsförderung das Lohnniveau auf dem zweiten Arbeitsmarkt kaum geringer ist als auf dem ersten, denn auch hier wird nach Tarif entlohnt. Die Betroffenen seien deshalb nicht bereit, schlechter entlohnte Tätigkeiten anzunehmen. Damit würde ein "Konkurrenzdruck für Unternehmen [geschaffen], die mit den auf den Markt drängenden Beschäftigungsgesellschaften um Aufträge konkurrieren müssen. Insbesondere gelte dies für öffentliche Versorgungsgesellschaften, die sich verstärkt über ABM und Mittel nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) finanzieren. Ausdrücklich genannt werden die Unternehmen im Garten- und Landschaftsbau, die einem "erdrückenden Wettbewerb" erlägen.
Die BDA klagt, eine Abkehr von dieser Politik sei deshalb so schwierig, weil die Arbeitsmarktsituation in den neuen Bundesländern sehr prekär sei und die Politik sich nicht traue, den Puffer staatlicher Arbeitsbeschaffung abzuschaffen [wohl aus Angst vor der PDS, aber das steht da nicht geschrieben].
Den Aposteln des Wettbewerbs ist dieser, wenn es um die Löhne geht, gar nicht mehr so recht. So wittert die BDA hinter der bisherigen Arbeitsmarktpolitik, hinter der Politik der Arbeitszeitverkürzung wie auch hinter der sog. "sozialverträglichen Strukturanpassung" (Frühverrentung u.ä.) nur noch eine Politik der künstlichen Arbeitskräfteverknappung, die den Preis der Löhne ungerechtfertigt und "wettberwerbsverzerrend" in die Höhe treibe. Arbeitskräfte müssten trotz Massenerwerbslosigkeit massenhaft verfügbar sein, damit die Löhne sinken können.
Die BDA schlägt deshalb eine vollständige Umstrukturierung der Arbeitsvermittlung wie auch der Arbeitsförderung vor. Oberste Priorität hat dabei der Grundsatz: "Der Vermittlungsprozess ist konsequent an den Bedürfnissen der Unternehmen auszurichten." Konkret heißt das für die Arbeitsmarktpolitik:

- Der zweite Arbeitsmarkt gehört abgeschafft: "Strikt abzulehnen sind rein passiv-versorgende Maßnahmen wie ABM und zu großen Teilen auch traditionelle SAM, also der sog. zweite Arbeitsmarkt. Darüber hinaus darf kein ,dritter‘ Arbeitsmarkt, kein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor entstehen.

- Qualifizierung ist kein Selbstzweck [sprich: sie hat nicht der Fortentwicklung der Beschäftigten zu dienen], sondern sie soll "Bindeglied zu einem neuen Arbeitsplatz sein."

- Strukturanpassungsmaßnahmen, die Arbeitnehmer ab 50 Jahren aus dem Erwerbsleben herausnehmen, gehören abgeschafft. Altersteilzeit wird hingegen als sinnvoll eingestuft, sofern sie rein betrieblich und (für die Unternehmer) freiwillig erfolgt.
"Übergangsweise" schlägt die BDA vor, dass Beschäftigungsverhältnisse, die durch ABM bzw. SAM vermittelt werden, "ihren Charakter als Arbeitsverhältnis verlieren", also nicht den üblichen arbeitsvertraglichen und tariflichen Vereinbarungen unterliegen. Stattdessen sollen sie zu besonderen "sozialrechtlichen Beschäftigungsverhältnissen" gemacht werden, die nicht mehr in den Bereich des Arbeitsrechts fallen. Langjährig erwerbslose ältere Arbeitnehmer sollen von der Förderung durch SAM sogar ausgeschlossen werden, "wenn das Arbeitsentgelt nicht um einen bestimmten Betrag unter dem üblicherweise vereinbarten tariflichen Entglet bleibt".
Andere Instrumente wie Trainingsmaßnahmen und Eingliederungszuschüsse, bei denen die Fördermittel der Bundesanstalt für Arbeit eher an die Unternehmer als an die Betroffenen fließen, sollen Vorrang haben. "Dies wäre ein erster Schritt in Richtung auf eine zielgenaue und erfolgreiche Politik für mehr echte Beschäftigung."

Stütze

Die BDA fordert auch eine grundsätzliche Reorganisation der "organisierten Arbeitsverwaltung": bei den Landesämtern für Arbeit soll die Selbstverwaltung gestrichen werden; in der Hauptstelle der Bundesanstalt soll es eine "echte Parität zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern" geben (der Bund also ausgeschaltet werden); in den Arbeitsämtern vor Ort sollen alle drei Parteien gleichermaßen die steuerfinanzierten Mittel für beschäftigungsschaffende Maßnahmen verwalten können, nicht allein die öffentliche Hand.
Das Arbeitslosengeld soll sich auf eine "befristete Basissicherung bei Arbeitslosigkeit" reduzieren; seine Bezugsdauer und seine Höhe sollen so bemessen sein, dass "mehr Anreize zur Arbeitsaufnahme gesetzt werden".
Die Bezugsdauer soll wieder einheitlich auf zwölf Monate zurückgeführt, d.h. die längere Bezugsdauer für ältere Arbeitslose gestrichen werden.
Die Höhe soll auf 60% (von 63%) gekürzt, Zuschläge wegen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern sollen aus den Berechnungen herausgenommen werden.
Vor allem soll der Arbeitnehmer gesetzlich verpflichtet werden, "sich arbeitssuchend zu melden, sobald ihm die Tatsache einer bevorstehenden Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bekannt wird" - und nicht erst, wenn er seinen Job verliert. Auf diese Weise soll vermieden werden, dass er Arbeitslosengeld überhaupt in Anspruch nimmt. Tut er das nicht, soll ihm ein Monat Leistungsbezug gestrichen werden.
Ein Beschäftigter, dem mit Entlassung gedroht wird, würde auf diese Weise entmutigt, für den Erhalt seines Arbeitsplatzes zu kämpfen - denn damit stünde er ja nicht mehr voll ("subjektiv"!) für die Vermittlung in den Arbeitsmarkt zur Verfügung. So jemand soll deshalb kein Arbeitslosengeld beziehen dürfen. Der entsprechende Paragraf im SGB III, der diesen Anspruch regelt (§428), soll nach Meinung der BDA gestrichen werden. Zur Überprüfung der "subjektiven" Verfügbarkeit" fordert die BDA die Wiedereinführung der Meldepflicht, die die Regierung Schröder in ihrer Anfangszeit abgeschafft hatte.
Verfügbarkeit heißt: Der/die Erwerbslose muss nachweisen, dass er/sie gewillt ist, "jede Arbeit anzunehmen, die die Sicherung des Lebensstandards nach Maßgabe des bisherigen Bezugs von Entgeltersatzleistungen ermöglicht" [also in Höhe von 60% des vormaligen Lohns]. An anderer Stelle heißt es nur: "jede Arbeit anzunehmen". Wer einmal Stütze bezogen hat, kommt nie mehr auf einen grünen Zweig.
Die Arbeitslosenhilfe soll gänzlich gestrichen und in die Sozialhilfe überführt werden. Begründung: Die Sozialhilfe regelt die Zumutbarkeit von Arbeit viel restriktiver als das Arbeitslosengeld bzw. die Arbeitslosenhilfe. BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe sollen sich nicht mehr auf Zumutbarkeitsregelungen berufen können, wie sie für die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld gelten. "Das entscheidende Kriterium für die Abgrenzung zwischen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ist die Anknüpfung an die Zumutbarkeitsregelungen des Arbeitsförderungsrechts … Das Leistungsniveau ist, wie bei steuerfinanzierten Transfers, am Existenzminimum auszurichten und nicht länger am vormaligen Einkommen."
Die Sozialhilfe soll "das Existenzminimum sichern und Hilfe zur Selbsthilfe gewähren". Es bliebe auch von ihr nicht viel mehr übrig, als die Betroffenen vor dem Hungertod zu bewahren; vom Gebot der Deckung des alltäglichen Bedarfs, wie es im BSHG enthalten ist, würden wir uns weit entfernen.
Von der "kräftigen Reduzierung der weit überhöhten Mittel für die sog. aktive Arbeitsmarktpolitik", der Rückführung des Arbeitslosengelds auf eine Basissicherung und einer "Neuordnung der Arbeitslosenhilfe zur Stärkung der Arbeitsanreize" verspricht sich die BDA die Senkung des steuerfinanzierten Bundeszuschusses zum Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit auf Null und die Senkung des Beitragssatzes für die Arbeitslosenversicherung von derzeit 6,5% auf höchstens 5%.

Angela Klein

Quelle: www.bda-online.de.


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