Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.7 vom 30.03.2000, Seite 2

TIE-Konferenz

Gewerkschafter fordern Papiere für alle

Einhundertsiebzig Betriebs- und Gewerkschaftslinke aus 25 Ländern trafen sich vom 16. bis 19.März in Köln, um ihre Perspektiven im globalisierten Kapitalismus auszuloten. Angesichts der relativen Hilflosigkeit der "traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung" sollten auf der vierten Konferenz des internationalen TIE-Netzwerks (Transnationals Information Exchange) gemeinsam mit der in Offenbach ansässigen Zeitung Express Strategien der "Selbstorganisierung" entwickelt werden. Der Andrang war größer als erwartet. "Hätten wir alle Anmeldungen zur Konferenz angenommen, dann hätten wir dreimal so viele Leute hier", so Heiner Köhnen von TIE- Netzwerk, das außer in Europa Büros in in Asien, Russland sowie Nord- und Südamerika unterhält.
Die traditionellen Organisationen erfassen nicht einmal die prekär Beschäftigten", beschreibt Mamadou Ly von der französischen Gewerkschaft SUD das Dilemma, ganz zu schweigen von Erwerbslosen und Arbeitsmigranten ohne Aufenthaltsstatus. Die SUD, deren Eisenbahnerbranche der Immigrant Ly angehört, hatte nach ihrer Gründung Mitte der 90er Jahre demonstrativ eine Immigrantin an ihre Spitze gesetzt.
Der Rassismus sei ein "großes Problem", denn vor allem viele Einwanderer seien in prekären Beschäftigungsverhältnissen, ergänzte ein Mitglied der Gewerkschaft CGT aus Frankreich. Die Folgen für Normalarbeitsplätze seien hinreichend bekannt: Druck auf das Lohnniveau und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. "Papiere für alle" und gleiche Rechte für Arbeitsmigranten seien deshalb gleichermaßen zentrale Forderungen im Kampf gegen Rassismus wie auch gegen Unternehmer, die von einer rassistischen Spaltung der Lohnabhängigen profitierten.
Angesichts von 120 Millionen MigrantInnen, die es nach UN-Angaben weltweit gibt, stimmte auch David Bacon, ein US-amerikanischen Gewerkschafter, der Haltung des Franzosen zu. Schätzungen zufolge gebe es allein in den USA 3 Millionen ArbeitsmigrantInnen ohne Aufenthaltserlaubnis, die vor allem in der Landwirtschaft, der Verpackungsindustrie und der Reinigungsbranche tätig seien.
In den USA hätten einige Gewerkschaften die Notwendigkeit erkannt, ihr Arbeitfeld auf die prekären Beschäftigungsverhältnisse auszuweiten. Das dokumentiert auch eine Resolution des US- amerikanischen Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO vom vergangenen Februar, die auf Druck von lokalen Gruppen, in denen Arbeitsmigranten eine bedeutende Rolle spielen, zustande gekommen ist. Darin fordert der AFL-CIO einen legalen Aufenthaltsstatus für alle Arbeitsmigranten.
Mit Empörung nahmen die Teilnehmenden die Nachricht auf, dass deutsche Behörden vier türkischen Gewerkschaftern die Einreise in die Bundesrepublik verweigert haben. Neben Solidaritätserklärungen für 1300 nach einem Arbeitskampf entlassenen VW-Arbeiter in Südafrika und britische Beschäftigte bei Rover, deren Arbeitsplätze nun durch das Geschäftsgebaren von BMW gefährdet sind, soll in nächster Zukunft ein Kongress zum Thema "Rassismus" stattfinden.
Dort soll u.a. überlegt werden, welche Wege der Zusammenarbeit mit Arbeitsmigranten gefunden werden können. Für die europäischen Teilnehmer wies ein französischer Delegierter auf die in der zweiten Jahreshälfte stattfindenden "Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, prekäre Beschäftigung, Ausgrenzung und Rassismus" hin. Dann wird die französische Regierung den Vorsitz der EU- Ratspräsidentschaft übernehmen. Unter anderem soll unter der französischen Präsidentschaft eine EU- Grundrechtecharta verabschiedet werden, die jedoch keine Verankerung von sozialen Rechten vorsieht und damit der weiteren Ausbeutung Tür und Tor öffnet.

Gerhard Klas


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