Sozialistische Zeitung |
Die Streicheleinheiten, die der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE)
für den von ihm abgeschlossenen Tarifvertrag erhielt, mahnen zur Vorsicht. Die Chemiearbeitgeber spenden ihm Lob, weil er "der
Versuchung widerstand, die gut verdienenden Bereiche wie Pharma und Pflanzenschutz zum Maßstab des Abschlusses zu machen
(Financial Times Deutschland vom 24.3.). Bei den Bombengewinnen dieser Chemiebereiche sind in der Tat magere 2,2% Lohnerhöhung
bei einer Laufzeit von 21 Monaten, die im nächsten Jahr um weitere 2% aufgestockt werden, mehr als schäbig. Aber, so wird
Kollege Schmoldt von der FTD getröstet, damit erhalten "auch die weniger rentierlichen Düngemittel- und Faserhersteller
eine Überlebenschance in unserem Hochlohnland. Die ertragsstarken Chemiebereiche sollten sich bei ihren Investitions- und
Standortentscheidungen erkenntlich zeigen." Wer aber garantiert dem Kollegen Schmoldt, der auf Kosten seiner Gewerkschaftsmitglieder
den Aktionären Geschenke macht, dass sie sich hierfür dankbar erweisen?
Bundesarbeitsminister Walter Riester spendet ebenfalls Lob. Denn der
Abschluss der IG BCE liegt nur wenig über der Preissteigerungsrate von 1,9%. So kann er den Groll der Rentner, denen er in den
kommenden zwei Jahren nicht mehr als den Inflationsausgleich zubilligen will, leichter besänftigen.
Nun gibt es aber noch die Rechnung des Verhandlungsführers der IG
BCE, Werner Bischoff, der das gesamte Volumen des Chemieabschlusses auf 5,7% beziffert. Dies begründet er mit den Verbesserungen
für jene, die vorzeitig aus dem Erwerbsleben in die Altersteilzeit aussteigen. Die Arbeitgeber halten die 5,7%-Schätzung für
übertrieben.
Das Handelsblatt (23.3.) freut sich, weil "das Vorpreschen der
Chemiegewerkschaft den Richtungskampf in der IG Metall verstärken wird. IG-BCE-Chef Hubertus Schmoldt wird dafür von
seinen Gewerkschaftskollegen heftige Prügel beziehen. Das hat er wissentlich in Kauf genommen. Des Bündnis für Arbeit
wegen." So das Handelsblatt.
Doch die IG Metall ließ sich nicht abschrecken. Sie fordert nach wie
vor nicht nur 5,5% mehr Lohn und Gehalt. Sie verlangt auch die rechtsverbindliche Möglichkeit, mit 60 in Rente gehen zu können.
Der Vorsitzende Klaus Zwickel, der vor dem IG-BCE-Abschluss gedroht hatte, eine reine Lohnrunde einzuläuten, wenn die Arbeitgeber
sich hierauf nicht einlassen, hat glücklicherweise eine Wende vollzogen. Er will den Druck auf die stockenden Tarifverhandlungen in der
Metall- und Elektroindustrie erhöhen. Durch Regelung des vorzeitigen Ruhestands mit 60 in einem neuen Tarifvertrag soll diese
Forderung der Gewerkschaft streikfähig gemacht werden. Denn auf der Basis des bestehenden Tarifvertrags für Altersteilzeit oder
des Manteltarifvertrags über die Arbeitszeiten ist das nicht möglich, weil beide ungekündigt und damit nicht streikfähig
sind.
Die IG Metall will auf der Forderung nach einem individuellen
Rechtsanspruch auf den vorzeitigen Ausstieg beharren, was die Arbeitgeber kategorisch ablehnen. An diesem Punkt, warnte Klaus Zwickel,
könnten die Verhandlungen scheitern.
Bisher wollten die Arbeitgeber nur Schichtarbeitern, Schwerbehinderten
und Mitarbeitern mit 30-jähriger Betriebszugehörigkeit einen Rechtsanspruch gewähren. "Das aber legt den Verdacht
nahe", erklärt der stellvertretende IGM-Vorsitzende Klaus Peters, "dass die Arbeitgeber sich nur günstig ihrer
Problemfälle entledigen wollen." Ohne diese Einschränkungen könnten 142000 Metaller den Ausstieg in Anspruch
nehmen - und so auch Arbeitsplätze für Junge frei machen.
Mit dem Paukenschlag von Massenwarnstreiks Ende März wird die
IGM starten. Eine zweite Streikwelle soll Anfang April folgen. Der erste Einigungsversuch beginnt vor Ostern. "Je länger aber die
Verhandlungen dauern, umso günstiger wird die Lage für die IG Metall. An der Börse werden trotz steigender Zinsen
Höchstkurse notiert, die Branchenverbände des Maschinenbaus und der Elektroindustrie klagen über drohenden
Facharbeitermangel." So Wolf Pampel in der Frankfurter Rundschau.
Das schlechte Beispiel von Hubertus Schmoldt hat demnach die guten alten
Sitten der IG Metall noch nicht verdorben, und manchmal ist eben auch Eile mit Weile geboten.