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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.7 vom 30.03.2000, Seite 3

Kosovo

Krieg und Flüchtlinge

Krieg und Flucht hängen eng miteinander zusammen. Kriege und unterdrückerische Gewalt treiben Menschen in die Flucht. Flüchtlinge klagen an - die Kriegstreiber und die Verantwortlichen für unterdrückerische Gewalt. Deshalb wollen solche Gewalthaber in der Regel verhindern, dass die Opfer ihrer Repression fliehen.

Vor dem Hintergrund des grauenhaften Schicksals jüdischer Flüchtlinge, die vor der nationalsozialistischen Verfolgung auf Schiffen flohen, dann aber vielfach nicht an Land gelassen wurden und so zum Teil sogar ins Nazireich zurückkehren mussten, entstand nach dem Zweiten Weltkrieg die Genfer Flüchtlingskonvention. Asyl sollte nicht länger Gnadenrecht sein, über das Regierungen entscheiden, sondern ein Grundrecht.
Seitdem ist viel Zeit verstrichen. Der enge Zusammenhang zwischen reaktionärer Gewalt und dem Kampf um die Verteidigung des Asylrechts ist geblieben.
Dieser Zusammenhang ist den Herrschenden in diesem Land auch bewusst. Bevor sie sich daran machten, erstmals seit 1945 wieder Krieg zu führen, beseitigten sie das Grundrecht auf Asyl.
Wer also gegen reaktionäre Gewalt, wie die NATO-Kriegspolitik, ist, muss - neben vielen anderen, wichtigen Aufgaben - immer auch das Menschenrecht auf Asyl verteidigen.
Der Kosovo-Krieg der NATO und die deutsche Politik gegenüber Flüchtlingen lässt sich fünf Phasen unterteilen.
Die erste Phase umfasst die Zeit bis zum Beginn des Kosovo-Krieges im März vergangenen Jahres. Zu dieser Zeit waren die etwa 300000 Menschen aus Albanien und dem Kosovo bei uns ständiger Repression und Abschiebedruck ausgesetzt. Die meisten waren schon Jahre zuvor als Arbeitskräfte aus Jugoslawien oder Albanien angeworben worden, ein Teil waren Flüchtlinge. Während in Albanien bzw. im Kosovo die UÇK entstand - mit massiver Hilfe der entsprechenden Geheimdienste des Westens - wurde allen neu in die Bundesrepublik fliehenden Menschen das Asylrecht verweigert.
Die allgemeine Politik der Abschottung galt auch für die Flüchtlinge aus dem Kosovo. Die Anerkennungsquote bei Flüchtlingen aus dem Kosovo fiel so stetig von 1995 bis 1998, von 5,5% auf nur noch 1,2% .
Diese Politik wurde auch von der im Oktober 1998 ins Amt gekommenen rot-grünen Bundesregierung fortgesetzt. Die gleiche Regierung, die bereits unmittelbar nach der Bundestagswahl im Bundestag gemeinsam mit CDU/CSU und FDP den Beschluss gefasst hatte, dass auch deutsche Truppen an einen militärischen Angriff der NATO gegen Serbien mitwirken sollten, formulierte noch einen Monat später im regelmäßigen "Lagebericht" der Auswärtigen Amtes: "Die Wahrscheinlichkeit, dass Kosovo-Albaner im Falle ihrer Rückkehr in ihre Heimat massiven staatlichen Repressionen ausgesetzt sind, ist insgesamt als gering einzuschätzen."
Zu exakt der gleichen Zeit, in der Außenminister Fischer und Verteidigungsminister Scharping sich gegenüber der Öffentlichkeit bereits zur Vorbereitung des NATO-Angriffs über "Anzeichen eines neuen Faschismus" und "Hinweise auf Konzentrationslager" ergingen, wurden so von deutschen Behörden und BGS-Beamten Flüchtlinge aus dem Kosovo weiter abgeschoben. Allein im Zeitraum 16.Oktober 1998 (Beschluss des Bundestags zur Beteiligung an einer NATO-Aggression gegen Serbien "zur Vermeidung einer humanitären Katastrophe im Kosovo") und dem 25.März 1999 (Beginn der Luftbombardements der NATO gegen Serbien) wurden so 13352 Asylanträge von Kosovo-Flüchtlingen abgelehnt - das entsprach einer Ablehnungsquote von 99% (Antwort der Bundesregierung auf eine PDS- Anfrage zur Behandlung von Kosovo-Flüchtlingen durch deutsche Stellen vor und nach Beginn der NATO-Luftangriffe, Drucksache 14/1046, 10.5.1999). Ein Teil dieser Flüchtlinge erhielt die Ablehnungsbescheide für ihre Asylanträge sogar erst nach Beginn der NATO-Luftangriffe zugestellt.
Erst zwei Wochen nach Kriegsbeginn änderte die Bundesregierung ihre Politik. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes wurde erst für überholt erklärt, dann durch einen neuen ersetzt. Dieser stellte auf einmal fest, der jugoslawische Präsident Milo?sevi´c betreibe im Kosovo bereits seit 1990 "die Etablierung eines Apartheidsystems".
In der Folge musste, um die Legitimität der NATO-Luftangriffe nicht vollends zu zerstören, auch die Flüchtlingspolitik umgestellt werden. Auf einmal waren die Fernsehsender voll von Berichten über die Leiden der Kosovo-Flüchtlinge - aber auch darüber, wie hier bei uns lebende Kosovo-Albaner zur Unterstützung der NATO-Angriffe nach Albanien abreisten. Trotz allem: Die deutschen Grenzen sollten für Kosovo- Flüchtlinge dicht bleiben. Bund und Länder vereinbarten lediglich die Aufnahme von 10000 Flüchtlingen, die als sogenannte "Kontingentflüchtlinge" vorübergehend aufgenommen wurden. "Kontingentflüchtlinge" bedeutete nur vorübergehende, befristete Aufnahme, solange der Krieg andauerte. Die Flüchtlinge mussten auf einen förmlichen Asylantrag ausdrücklich verzichten, bevor sie in Flugzeuge nach Deutschland geladen wurden.
Kaum war der Krieg zu Ende und die NATO im Kosovo einmarschiert, begann Phase 3: Die Rückführung der Kosovo-Flüchtlinge. Noch während die NATO-Truppen ihre Machtposition im Kosovo festigten, tauchten in der Presse wieder die ersten Berichte über Kriminalität und Gewalttaten von hier lebenden Kosovo- Albanern auf.
Ein noch vor Kriegsende im Bundestag eingebrachter Antrag der PDS- Bundestagsfraktion, in dem diese Asyl für Deserteure aus ganz Jugoslawien, Bleiberecht und die Abschaffung von Grenzkontrollen gegen Flüchtlinge aus dem Kosovo forderte, wurde im Bundestag von der Bundesregierung und der CDU/CSU mit Hohn und Spott überhäuft: Die Flüchtlinge wollten doch alle zurück, in welcher Welt die PDS eigentlich lebe usw. Lediglich im Menschenrechtsausschuss kam es zu einer überraschenden Entscheidung. Einstimmig beschlossen dort die Vertreter aller Parteien, beim Asyl für Deserteure müsse etwas getan werden. Seitdem liegt das Problem im Innenausschuss des Bundestags, wo ihn die Abgeordneten von SPD und CDU/CSU lieber heute als morgen ablehnen und aus der Welt schaffen würden - wenn da nicht der Beschluss des Menschenrechtsausschusses wäre und der Druck aus der Öffentlichkeit.
Ende letzten Jahres berieten dann die Innenminister von Bund und Ländern über eine sog. "Altfallregelung", d.h. Bleiberecht für schon lange hier lebende Flüchtlinge. Im "Gegenzug" zu der angeblich großzügigen Vergabe von Bleiberecht für wenige tausend Flüchtlinge vereinbarten die Innenminister, dass erstens traumatisierte, vergewaltigte Frauen aus dem früheren Jugoslawien, zum Beispiel aus Bosnien-Herzegowina kein Bleiberecht erhalten. Sie könnten angeblich nun in Bosnien behandelt werden, müssten deshalb die Bundesrepublik wieder verlassen. Zweitens: Die Flüchtlinge aus dem Kosovo müssen raus. Alle. Bis Ende 2000 sollten alle hier noch lebenden Kosovo-Flüchtlinge, deren Asylanträge irgendwann in den vielen Jahren bis 1999 abgelehnt worden waren, die Bundesrepublik wieder verlassen. Notfalls mit Gewalt, so Otto Schily. 180000 Flüchtlinge seien davon betroffen, sie müssten nun endlich gehen.
Damit diese massenhafte Abschiebung von Flüchtlingen auch umgesetzt werden kann, verhandelten Vertreter der Bundesregierung seitdem mit verschiedenen "Transitstaaten". Am 21.März, also vor wenigen Tagen, konnte Schily Erfolg melden.
"Vertreter Albaniens, Bosnien und Herzegowinas, Italiens, Österreichs, der Schweiz, Sloweniens und Ungarns haben heute in Berlin eine Vereinbarung über die Gestattung der Durchreise für freiwillig ausreisende jugoslawische Staatsangehörige unterzeichnet. Die Vereinbarung bietet insbesondere den zurückkehrenden Kosovo-Albanern die Möglichkeit einer vereinfachten und unbürokratischen Rückreise auf dem Landweg … Die Unterzeichnung … ist Teil vielfältiger Initiativen des Bundesministeriums des Innern, die freiwillige Rückkehr ausreisepflichtiger Kosovo-Albaner zu fördern."
Die Rückkehr sei "ein wesentlicher Bestandteil des Friedensplans [der NATO] für den Kosovo". Die Lage dort habe sich für die Kosovo-Albaner deutlich stabilisiert. Besorgniserregend sei allerdings die Lage für ethnische Minderheiten.

Fluchtgründe ändern sich…

Dieser letzte Satz der Pressemitteilung des Innenministeriums weist auf eine Entwicklung hin, die faktisch das Fiasko der westlichen Kosovo- Okkupation eingesteht. Tatsächlich hatte parallel zu diesen Abschiebevorbereitungen der Bundesregierung, praktisch unmittelbar nach dem NATO-Einmarsch im Kosovo, von albanischer Seite eine brutale Verfolgung aller anderen Minderheiten im Kosovo eingesetzt. Alle noch in der Provinz lebenden Serben, Roma und andere nichtalbanische Minderheiten waren nun Opfer von Ausschreitungen, von Belästigungen, Brandstiftungen bis zum Mord durch Heckenschützen, sogar auf offener Straße. In der Folge setzte eine neue Fluchtwelle ein - in den serbischen Rest Jugoslawiens, aber auch in andere europäische Länder. Vor allem Roma und Serben flohen seit dem Einmarsch der NATO zu Zehntausenden in die Provinz.
Die grüne Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, hatte wenige Tage vor der oben dokumentierten Bekanntgabe von Innenminister Schily nach einer kurzen Reise durch den Kosovo ebenfalls ein erheblich anderes Bild als Schily gezeichnet. Im Kosovo fehlten nicht nur weiter zehntausende Unterkünfte, berichtete sie. Dort herrsche auch zehn Monate nach dem NATO-Einmarsch "keinerlei soziales Umfeld mehr, in das die 160000 bis 180000 in der Bundesrepublik lebenden Flüchtlinge zurückkehren könnten" (Taz, 11.3.2000).
Vor allem die seit dem Einmarsch der NATO begonnene massive Verfolgung der Roma und der im Kosovo verbliebenen Serben dauere an. Jede Woche würden im Kosovo 20 Menschen ermordet, berichtete die Taz weiter, also die gleiche Zeitung, die Monate zuvor noch die NATO-Luftangriffe als Befreiung des Kosovo bejubelt hatte.
Unabhängige Beobachter wie z.B. der UNHCR sprechen inzwischen offen davon, dass seit Ankunft der NATO-Truppen im Kosovo unter deren Augen insgesamt 100000 Menschen vertrieben worden sind. Die meisten davon waren Roma und Serben.
Angesichts dieser Zustände Flüchtlinge aus dem Kosovo, vor allem Roma, aus der Bundesrepublik gewaltsam abzuschieben, bedeutet für diese Menschen die Abschiebung in erneute Verfolgung, ist also ein klarer Bruch der Genfer Flüchtlingskonvention.

…Flüchtlinge müssen bleiben!

Die NATO-Politik auf dem Balkan beseitigt keinerlei Menschenrechtsverletzung, keine einzige Spannung und keinen einzigen Fluchtgrund. Sie entspannt die Situation in der gesamten Region nicht im geringsten. Sie heizt die Spannungen im Gegenteil sogar an und ersetzt im besten Fall alte Menschenrechtsverletzungen, alte Spannungen, alte Fluchtgründe durch neue. Vor allem im serbischen Rest des früheren Jugoslawien, aber auch in den anderen Teilen des früheren Jugoslawien und der umgrenzenden Länder.
Die Forderung nach einem Bleiberecht für Flüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien, speziell für die Roma aus dem Kosovo, bleibt deshalb weiter auf der Tagesordnung.

Ulla Jelpke

Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion.


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