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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.7 vom 30.03.2000, Seite 4

Proteste der ÖTV in NRW

Große Zugeständnisse

Die Beschäftigten des nordrhein-westfälischen Nahverkehrs protestierten am 10.März 2000 landesweit gegen Privatisierungen und für den Abschluss eines Tarifvertrags. Nach Aussagen der ÖTV beteiligten sich über 10000 Beschäftigte der ÖTV-Bezirke Nordrhein-Westfalen I und II an den Protestaktionen, wie Arbeitsniederlegungen, Demonstrationen, Kundgebungen oder außerordentlichen Betriebsversammlungen. Die von der ÖTV initiierten "spontanen Arbeitsniederlegungen" und Unmutsäußerungen führten dazu, dass der Personennahverkehr in vielen Städten und Landkreisen zum erliegen kam oder erst gar nicht anlief.
Die Beschäftigten der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB), bildeten in der Vergangenheit oft die Speerspitze des Protests. Doch am 10.März gab es nur eine Protestdemonstration der ÖTV, mit etwa 800 Teilnehmenden, auf dem Kölner Neumarkt. Die ÖTV hob ausdrücklich hervor, dass es sich bei der Demonstration nicht um einen Streik handele. Aber die Aktion sei eine eindringliche Warnung an den Vorstand der KVB und den Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV).
Die Demonstration war eine Ersatzlösung, nachdem der Vorstand der KVB ein Schreiben in Umlauf gebracht hatte, das Repressalien androhte, falls der Bus- und Bahnverkehr von der Aktion betroffen sein würde.
Die ÖTV und die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) verhandeln gemeinsam seit Monaten mit dem KAV über den Abschluss eines Spartentarifvertrags für den Nahverkehr - bisher ohne Ergebnis. Dass die Gewerkschaften dabei große Zugeständnisse gemacht haben wird deutlich aus einer Fahrgastinformation der ÖTV Köln, in der es heißt: "Dieser Tarifvertrag soll Kostensenkungen für die Unternehmer mit sich bringen. Aber auch betriebsbedingte Kündigungen zur Sicherung der Arbeitsplätze ausschließen."
Der Spartentarifvertrag soll eine Sicherung der Arbeitsplätze vor Neu-, Aus- und Umgründungen, die Tarifflucht zum Ziel haben, gewährleisten. Er soll sich zu einem Branchentarifvertrag für den gesamten Verkehrsbereich weiterentwickeln, sozusagen als Flächentarifvertrag für den gesamten Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
Weitere Forderungen, die an diesem Protesttag mit örtlich unterschiedlichen Akzenten vorgebracht wurden, waren eine Anwendungsvereinbarung, die sicher stellt, dass die Unternehmen sich an den Spartentarifvertrag binden und der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis zum 31.12.09. Weitere Privatisierungen sollen verhindert und der Anteil des Anmietverkehrs - der Einsatz privater Busunternehmer - soll begrenzt werden.
Die EU-Richtlinien zu Liberalisierungen im Nahverkehr, die auch von der Bundesregierung und den Landesregierungen gewollt sind, sehen vor, dass nach einer gewissen Reorganisationszeit alle Verkehrsleistungen europaweit ausgeschrieben werden müssen, soweit sie nicht eigenwirtschaftlich ihre Aufgaben erfüllen. Dabei ist noch unklar, wie die Erträge zur Defizitdeckung aus Zusammenschlüssen mit anderen kommunalen Unternehmungen, wie in Stadtwerken oder der Energieversorgung beurteilt werden. Der ÖPNV ist bekannntermaßen in überwiegendem Maße nicht in der Lage, kostendeckend zu arbeiten.
Von der nordrhein-westfälischen Landesregierung erwarten die Beschäftigten deshalb die Verabschiedung eines Vergabegesetzes. Dieses soll garantieren, dass ausländische Anbieter die deutschen Sozial- und Tarifstandards erfüllen müssen.
Die ÖTV verlangt dass alle künftigen Anbieter im ÖPNV verpflichtet werden, Qualitätsstandards und tarifliche Mindestforderungen einzuhalten. Aber auch Qualitätsstandards über Alter, Sauberkeit der Fahrzeuge sowie Komfort und technische Ausstattung und eine ausreichende Personalbemessung werden gefordert.
- Die Auswirkungen der Liberalisierungen treffen auf die desolate und völlig zersplitterte Tariflandschaft im ÖPNV, dem klassischen Organisationsbereich der ÖTV. Bisher fallen die Nahverkehrsbetriebe überwiegend unter den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) oder den Bundesmanteltarifvertrag für die Gemeinden (BMT-G).
- Hinzu kommen Haustarifverträge mit Nahverkehrsunternehmen, die nicht Mitglied im KAV sind und ein Tarifvertrag für die privaten Personenverkehrsunternehmen im Busbereich. Dieser war ursprünglich von der ÖTV für den Reiseverkehr ausgehandelt worden, findet aber im zunehmenden Maße auch im Linienverkehr Anwendung.
- Das Lohnniveau dieses Tarifvertrags liegt um etwa 30% unter den zuvor erwähnten Tarifverträgen.
- Weiter zu erwähnen ist ein Tarifvertrag, den ÖTV und die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) mit dem Arbeitgeberverband Deutsche Eisenbahnen e.V. (AGVDE) abgeschlossen haben. Das Lohnniveau liegt in der Bezahlung zwischen den privaten Verkehrsunternehmen und der zweiten Tarifebene von BAT und BMT-G.
Die zweite Tarifebene kam 1995 zustande, als die ÖTV mit dem KAV tarifvertraglich festlegte, dass die Löhne für alle Neueingestellten um etwa 15% niedriger liegen. Mit der zweiten Tarifebene wurden weitere Einkommenssenkungen im gesamten Bereich des ÖPNV ermöglicht.
Mit den Protesten hat die ÖTV Nordrhein-Westfalen sicherlich ein Zeichen gesetzt, sollten aber keine weiteren Aktionen folgen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Tarifabschluss einen ähnlich fatalen Kompromiss enthalten wird, wie die 1995 abgeschlossene Niedriglohnvereinbarung.

Hans Peiffer


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