Sozialistische Zeitung |
Vor einer Woche gelang es einem US-amerikanischen Privatwissenschaftler erstmals, das Genom der
Fruchtfliege praktisch komplett zu entschlüsseln. Auch beim Menschen wird das nur noch einige Monate dauern. Diese Zeit wird eifrig
genutzt, um möglichst viele Patente auf die Forschungsergebnisse zu sichern. Schließlich soll sich das Risikokapital verzinsen, mit
dem die Forschung privat finanziert wurde.
Die Entscheidung darüber, welche Produkte und Verfahren
entwickelt werden und welche nicht, entgleitet dabei immer mehr dem Einfluss der Politik. Denn die ist zu langsam für die rasante
Entwicklung der Biotechbranche: Gerade erst hat der Bundestag eine Enquetekommission "Recht und Ethik der modernen Medizin"
eingesetzt, die sich mit dem Problem der gentechnischen Manipulation befassen und Auswüchse verhindern soll. Über die Zukunft
wird derweil längst an der Börse entschieden. Nach der Regel: Was die Gunst der Anleger und ihrer Analystengurus findet, das
wird gemacht.
Die OECD definiert Biotechnologie als "die Anwendung
naturwissenschaftlicher und technischer Prinzipien auf die Be- und Verarbeitung von Materialien unter Zuhilfenahme biologischer Kräfte
und Wirkungen". Das ist eine sehr allgemeine Definition. Sie reicht nicht mehr aus, um die moderne Biotechnologieindustrie zu erfassen:
Nach dieser Definition würden auch Brauereien, milchverarbeitende Unternehmen und überhaupt fast alle Lebensmittelhersteller
zur biotechnologischen Industrie gehören. Soweit ist die Entwicklung vorangeschritten.
Biotechnologie ist heute: die integrierte Anwendung von Biochemie,
Mikrobiologie, Gentechnologie und der Verfahrenstechnik. Das Ziel ist, die biologischen Möglichkeiten von Mikroorganismen, Zell- und
Gewebekulturen und deren Untereinheiten zu verändern. Die Biotechindustrie in Deutschland setzt sich aus kleinen und mittleren
Unternehmen zusammen, sog. ELISCOs (Entrepreneurial Life Science Companies) und FIPCOs (Fully Integrated Pharmaceutical
Companies).
Die Biotechbranche in Deutschland...
Zur Biotechbranche im engeren Sinn werden nur die ELISCOs
gezählt: Im Jahr 1998 waren in Deutschland 220 (in Europa: 1180) solcher Unternehmen tätig - 30% mehr als im Jahr davor. Auch
die Zahl der MitarbeiterInnen wuchs europaweit im selben Zeitraum um 40% auf mehr als 46000 (in den USA: 150000). Die Umsätze in
den USA und Europa zusammen stiegen um ebenfalls 40% auf rund 21 Milliarden Euro. Die Zahlen zeigen: Die Branche entwickelt sich in
Deutschland rasant, im internationalen Vergleich ist sie aber noch recht klein.
Noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn man nur die
börsennotierten Werte betrachtet und deren Marktkapitalisierung vergleicht: Die deutschen Biotechunternehmen erreichen in diesem
Bereich gerade 1% der weltweiten Börsenkapitalisierung.
Trotz - oder gerade wegen - dieser im internationalen Vergleich schwachen
Entwicklung hat die deutsche Biotechindustrie in den letzten zehn Jahren einen Gründungsboom erlebt. Für smarte AnlegerInnen
sind besonders die börsennotierten Gesellschaften von Interesse, wie zum Beispiel Biotest (Pharma), CyBio (Laborsysteme) oder Evotec
(Wirkstoffforschung). Ihre Geschäftsfelder sind vielfältig. Aber kein Unternehmen deckt das ganze Spektrum ab, sie spezialisieren
sich. Nach Angaben der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) produzieren die deutschen Unternehmen vor allem Technik,
Auftragsforschung und Diagnostika. Weniger stark vertreten sind sie bei Feinchemikalien, Agrobiotechnologie und Nahrungsmittelverarbeitung.
Die Biotechbranche setzt sich aus drei Bereichen zusammen, die in
Deutschland sehr unterschiedliche Bedeutung haben: Agrar/Umwelt, Medizin/Pharma und Diagnostik/Geräte. Der Agrarbereich umfasst
dabei alle Forschungen zur Veränderung der Eigenschaften von Pflanzen und Nutztieren. Die Unternehmen wollen die
Schädlingsresistenz erhöhen. Zugleich sollen Pflanzen höhere Erträge bringen und Tiere schneller und
größer wachsen. Die sogenannten Nutriceuticals, medizinisch wirksame Pflanzen, sind zur Zeit noch selten.
Doch selbst die EU fördert ein Forschungsvorhaben zur Produktion
von sogenanntem "Gelb-Reis". Der enthält im Gegensatz zu herkömmlichem Reis Beta-Karotin und soll angeblich dem
Vitamin-A-Mangel in asiatischen Ländern entgegenwirken. Insgesamt hat dieser Bereich keinen nenneswerten Erfolg: Die deutschen
VerbraucherInnen akzeptieren die gentechnisch veränderten Lebensmittel (noch) nicht. Ein kleiner Erfolg der
Nichtregierungsorganisationen, allen voran Greenpeace.
Dennoch engagieren sich auch deutsche Großkonzerne im Bereich der
Agrobiotechnologie. Dabei wird teilweise eigene Forschung betrieben, teilweise werden einfach spezialisierte Unternehmen akquiriert.
Ein Beispiel: gerade erst kaufte das Hoechst-Schering-Joint-Venture
Agrevo die große US-Forschungsfirma Plant Genetic Systems. Unter den börsennotierten deutschen ELISCOs findet sich aber kein
Unternehmen, das in diesem Bereich tätig ist. Aufgrund der jüngsten Beschlüsse der EU-Umweltminister, vor Inkrafttreten
einer neuen Richtlinie keine neuen Genehmigungen für gentechnisch veränderte Organismen zu erteilen, ist im Bereich
Agrar/Lebensmittel zumindest in den nächsten zwei Jahren nicht mit wesentlichen Änderungen zu rechnen.
...und in den
USA
In den USA gibt es allerdings nach Angaben der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) schon jetzt mehr als 10
Millionen Hektar Anbaufläche für gentechnisch veränderte Soja-Pflanzen. Die Saatguthersteller hindert dort fast nichts auf
dem Weg in die schöne neue Biotechwelt. So stammen in den USA bereits 50% der Sojaernten und 40% der Maisernten aus
Gentechsaatgut. In Kanada wurden 50% der gesamten Rapsanbaufläche mit Gentechraps bepflanzt.
Insgesamt hat sich die Fläche für Gentechsaatgut in den letzten
zwei Jahren verzwanzigfacht. Der Löwenanteil entfällt (noch) auf die USA. Aber auch dort mehren sich die kritischen Stimmen. So
werden beispielsweise die "Unbedenklichkeitserklärungen" der Hersteller immer öfter vor Gericht angefochten. Die
Befürworter können dort regelmäßig keine definitiven Beweise für ihre Sorglosigkeit erbringen.
Nach einer kürzlich erschienen Studie des US-
Landwirtschaftsministeriums ist hingegen empirisch nachgewiesen: Gentechsaaten führen zwar zu verbesserten Erträgen und
Einsparungen bei Pflanzenschutzmitteln. Die tatsächlichen Ergebnisse bleiben aber hinter den ursprünglichen Erwartungen weit
zurück. Außerdem müssen sich US-Getreidegroßhändler mittlerweile zumindest vordergründig auf die
Wünsche ihrer überseeischen Geschäftspartner nach ursprünglichen Getreidesorten einstellen: Archer Daniels Midland
(ADM), einer der größten Soja- und Getreidehändler forderte seine Zulieferer auf, Gentechsaaten und natürliche
Saaten strikt zu trennen und zu identifizieren.
Landwirtschaft, Medizin und Umwelt
Auch der Herbizidbereich der
Agrobiotechnologie floppt aus Sicht der Börsenspekulanten bisher noch. Die Gentechprodukte sind in der Regel teurer als
herkömmliche. Deshalb greifen die Bauern auf traditionelle Produkte zurück. Satte Gewinne bringen dagegen die anderen Bereiche
der Agrobiotechnologie, z.B. Fungizide und Insektizide. Der Grund: hier haben sich die VerbraucherInnen bisher nicht gewehrt. Zum einen ist
der Markt für die Endverbraucher völlig intransparent. D.h., er kann genmanipulierte Produkte fast nicht umgehen. Denn sie werden
schon in vielen Lebensmitteln verwendet, ohne dass eine Kennzeichnungspflicht bestünde, geschweige denn immer möglich
wäre.
Zum anderen hält sich weiterhin hartnäckig die Legende,
genmanipulierte Produkte seien in der Landwirtschaft zwingend notwenig, um die stetig wachsende Weltbevölkerung zu versorgen.
Insgesamt hat der Agrarmarkt derzeit bereits ein Volumen von 26 Milliarden Euro. Für das kommende Jahr errechnen sich die
SpekulantInnen laut einer Studie der baden-württembergischen Landesbank ein Potenzial von 27 Milliarden Euro.
Recht stiefmütterlich behandeln die deutschen Börsianer
dagegen den Bereich Umwelt, mit Techniken zur Reinigung von Abwässern, Böden und Luft und der Produktion biologisch
abbaubarer Materialien. Die OECD schätzt das Weltmarktvolumen in diesem Bereich auf rund 300 Milliarden Euro für dieses
Jahr. In Deutschland jedoch liegt das Potenzial bei etwa 3 Milliarden Euro, das heißt bei 1% des Weltmarkts. Unter den
börsennotierten deutschen Gesellschaften findet sich keine einzige, die auf Umweltbiotechnologie spezialisiert wäre.
Im Bereich Medizin/Pharma wollen die Anleger, angeführt von ihren
Analystengurus, mit aller Macht das große Geld machen. Dieser Bereich umfasst die Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln und
Impfstoffen auf Biotechbasis. Hier bietet die Gentechnologie mit der Sequenzierung des menschlichen Genoms und der Identifizierung von
targets, das sind Zielpunkte im Genom, angeblich Möglichkeiten, Medikamente zielgerichteter zu entwickeln und für den Patienten
unerwünschte Nebenwirkungen auszuschließen. Mit Gentecharzneimitteln werden weltweit jährlich rund 5 Milliarden Euro
umgesetzt.
In Deutschland und den USA sind gegenwärtig jeweils 30
verschiedene Gentechproteine zugelassen. Sie finden in 50 Medikamenten Anwendung. Von den 30 in Deutschland zugelassenen Proteinen
stammen nur 10 aus deutscher Herstellung. In den USA befinden sich zudem 400 weitere Gentechmedikamente in der Entwicklung: Vom
Bereich Medizin wird allgemein das deutlichste Wachstum in der Biotechbranche erwartet.
Laut DIB ist damit zu rechnen, dass in den nächsten Jahren fast alle
neuen Arzneimittel Biotechprodukte sein werden. Schon jetzt stellen sie einen Anteil von 30%. Die deutschen Unternehmen verdienen damit
mehr als 10 Milliarden Euro, das sind 10% dieses Marktes. Schätzungen gehen davon aus, dass dieser Anteil langfristig auf mehr als
20% steigen wird. Die Herren der Börse streben in diesem Bereich einen Umsatz von 100 Milliarden Euro an. Zudem sollen Diagnostika
weitere 20 Milliarden Euro bringen.
Die Biotechunternehmen haben natürlich - wie alle
Wirtschaftsunternehmen - nur dann am Markt eine Überlebenschance, wenn sie langfristig Gewinne erwirtschaften. Aufgrund besonderer
Strukturen, insbesondere kostenintensiver und langfristiger Produktentwicklung, liegen mögliche Gewinne bei Biotechunternehmen oft
weit in der Zukunft.
Das heißt es verbleiben noch einige Jahre, in denen die
Antibiotechbewegung den Unternehmen das Wasser abgraben kann. Wenn es durch Regulierungen unmöglich wird, Gewinne zu
erwirtschaften, dann ist der Ausstieg aus der riskanten Technologie noch möglich. Dazu braucht es Druck von der Straße. Die Zeit
läuft.
Christoph Ruhkamp